Ja oder nein zu Barroso?

Gäbe es eine realistische Alternative zu Barroso, wäre die Sache anders. Aber weder der konservativ dominierte Rat inklusive den sozialdemokratischen Regierungschefs noch die konservativ-liberale Mehrheit ist zu einem anderen – besseren- Kommissionspräsidenten bereit.
Glücklicherweise beschäftigten wir uns bald nach unserer „Rückkehr“ nach Brüssel bzw. Strassburg mit wichtigen inhaltlichen Themen.

Und immer die gleiche Frage

Dennoch blieb die Frage, ob und wann Barroso wiedergewählt werden sollte, eine viel diskutierte Frage. Für mich war klar, dass ich nicht bereit war, Barroso zu wählen. Ich habe das während des Wahlkampfes immer wieder gesagt. Allerdings war dies auch kein sehr zugkräftiges Argument. Und überdies, eine solche Entscheidung meinerseits bringt nicht wirklich konkrete Ergebnisse für die Menschen, die ich vertrete.
Aus diesem Grunde war es richtig, mit Barroso ins Gespräch zu kommen, um einige wichtige Schritte in Richtung „Soziales Europa“ zu erreichen. Barroso ist ein Konservativer, und die Stimmen der verschiedenen konservativen und liberalen Gruppierungen sind ihm sicher. Aber dazu zählen auch stark antieuropäische Abgeordnete und er hätte natürlich auch gerne Stimmen aus den Reihen der Sozialdemokratie.

Konkrete Vorschläge

Einige Stimmen aus Portugal und Spanien bekommt er auf Grund iberischer Solidarität ohnedies. Aber das ist für eine breite Mehrheit zuwenig. Daher hat Barroso bei seinem Besuch in der Fraktion vergangene Woche in Brüssel einige konkrete Vorschläge gemacht. So soll die Entsenderichtlinie durch Gesetzgebung neu gefasst bzw. klarer geregelt werden. Damit soll eindeutig klargestellt werden, dass in ganz Europa an jedem Standort gleicher Lohn für alle ArbeitnehmerInnen bezahlt werden muss. Ein Unterminieren sozialer Standards und damit auch der Arbeit der Gewerkschaften sollte unterbunden werden. Weiters sollten in Hinkunft alle Gesetzesvorschläge der Kommission auf ihre sozialen Folgen untersucht werden. Auch hat er wesentliche Verbesserungen auf dem Gebiet des Konsumentenschutzes angekündigt.
All dies macht aus Barroso noch keinen Sozialisten, aber diese Hoffnung hatte ich nie. Und überdies hat Barroso immer wieder – und meist zu Recht – darauf verwiesen, dass viele Initiativen am Rat, also den nationalen Regierungen gescheitert sind. Das gilt leider auch für die meisten sozial-demokratisch geführten Regierungen. Auch die sozial-demokratischen Kommissare waren nicht immer die fortschrittlichsten Vertreter des „Sozialen Europas“. Zumindest hätte ich mir manch forscheres Vorgehen gewünscht. Also fand ich manche Kritik an Barroso unfair. Die „Gegner“ sind mehr verteilt, und wir sollten uns daher nicht nur auf seine Person konzentrieren.

Abstimmung kommt zu früh

Die Diskussionen mit Barroso, zuerst in kleinem Kreis mit Martin Schulz und letzte Woche in der Fraktion, haben einige Fortschritte gezeigt. Wir benötigen allerdings sichtbare Zeichen der Umsetzung und vor allem des Willens der gesamten Kommission, Barroso bei seinen sozialen Maßnahmen zu unterstützen. Daher kommt die Abstimmung über den Kommissionspräsidenten zu früh. Wir haben einige Versprechungen, aber wir haben noch keine klaren Entscheidungen all jener, die die relevanten Entscheidungen treffen müssen. Und dazugehört natürlich auch das Parlament, dass auf Grund der Wahlen nicht gerade nach links gerückt ist, sondern eher im Gegenteil.

Im Gespräch bleiben

Aus all dem ergibt sich für mich die Notwendigkeit einer Strategie, die uns Sozialdemokraten im Gespräch lässt, um für unsere BürgerInnen einiges zu erreichen. Ein Ja zu Barroso würde nicht nur meine Wahlaussagen Lügen strafen, sondern auch Barroso zu früh eine breite Mehrheit verschaffen. Ein Nein wiederum macht uns als Gesprächspartner uninteressant, denn so haben wir uns ja bereits entschieden, sein Gesprächsangebot nicht anzunehmen. Aus dieser Überlegung heraus ergibt sich eine Enthaltung – nicht, weil wir nicht wissen, was wir tun sollen, sondern weil wir im Gespräch bleiben wollen. Die wirkliche Entscheidung fällt, wenn wir die Zusammensetzung der Kommission kennen, die Aufteilung der Aufgabenbereiche und das konkrete Programm.

Kein Verrat an den WählerInnen

Gäbe es eine realistische Alternative zu Barroso, wäre die Sache anders. Aber weder der konservativ dominierte Rat inklusive den sozialdemokratischen Regierungschefs noch die konservativ-liberale Mehrheit ist zu einem anderen – besseren- Kommissionspräsidenten bereit. So gilt es, sich auf die Inhalte zu konzentrieren und für die sozialen Anliegen das Beste herauszuholen.
In der Demokratie muss man immer überlegen, wie man Mehrheiten für seine Anliegen erreicht. Und für Europa gilt das erst recht. Gerade im Europäischen Parlament kann man trotz konservativer Mehrheiten einiges erreichen. Ein Verrat an den WählerInnen wäre es, würden wir uns als Sozialdemokraten nicht um konkrete Verbesserungen und um die Entwicklung einer sozialen Gesellschaft in Europa bemühen, sondern uns beleidigt in eine Oppositionshaltung zurückziehen und den Konservativen das Feld überlassen.

Weiter mitbestimmen

Dass uns Sozialdemokraten unsere wenigen Regierungschefs dabei leider oft im Stich lassen, erschwert uns diese Arbeit. Aber mir sind Europa und die Anliegen der Menschen zu wichtig, als dass wir auf die konkrete Arbeit – von der Finanzmarktregulierung bis zu den Fragen der Erweiterung, von der Sozialen Sicherheit bis zu den Klima- und Energiefragen – verzichten könnten und die Gestaltung der europäischen Politik den Konservativen oder gar den Anti-Europäern überlassen können. Nachdem Barroso bei seiner Rede im EU-Parlament seine, der Fraktion ja gemachten Zusagen klar wiederholte, hat sich auch die Fraktion mehrheitlich für eine Enthaltung bei seiner Wahl entschieden. Wie schon gesagt, noch wissen wir nicht, ob Barroso seine Versprechen auch in der neuen Kommission zum Ausdruck bringt. Daher warten wir auf eine gültige Entscheidung bei der Wahl der gesamten Kommission.
Siehe dazu auch meinen blog vom 15.9.2009

Straßburg, 16.9.2009