Jacques Delors, ein großer Europäer

Die klaren, pragmatischen, auf ein gemeinsames Ziel zur Schaffung eines geeeinten Europa gerichteten Worte des über 80 jährigen Delors zu hören, ist beeindruckend.
Heute war Jacques Delors bei uns in der Fraktion zu Besuch. Delors hat vor einigen Monaten seinen 80. Geburtstag gefeiert. Aus diesem Anlass haben wir ihm heute ein Buch mit 80 Bemerkungen sowie mit kurzen Briefen an ihn, vor allem von Mitgliedern der Fraktion, aber auch von Freunden aus der sozialdemokratischen Bewegung, überreicht. Auch ich war eingeladen worden, einige Zeilen zu schreiben.

Begeisterung durch Prägnanz

Wir bereiteten Delors nicht nur einen sehr herzlichen Empfang, sondern gaben ihm auch die Möglichkeit, in einer kurzen Rede sein Bekenntnis zu Europa darzustellen und uns zu erläutern, in welche Richtung sich dieses Europa weiter entwickeln sollte. Es war sehr beeindruckend, die Vision dieses über 80Jährige zu hören, die er in einer klaren und prägnanten Sprache skizzierte.
Beim Mittagessen habe ich Delors meine Begeisterung mitgeteilt. Ich sagte ihm, dass er aus meiner Sicht deshalb auch heute noch so eindruckvoll sei, weil er die Menschen begeistern kann, ohne eine extrem emotionalesierte Sprache zu sprechen. Delors verwendet keine Phrasen oder hohlen Sätze. Es sind klare, pragmatische, auf ein gemeinsames Ziel zur Schaffung eines geeeinten Europa gerichtete Worte. Damit weckt er Begeisterung für dieses Europa, bringt aber auch die Sorge zum Ausdruck, dass heute etwas schief läuft.

Europa braucht Visionen

Jacques Delors meinte, der Kommissionspräsident müsse eine starke Rolle spielen, dürfe aber nicht in Konkurrenz zu den den Staats-und Regierungschefs stehen. Er müsse vermitteln und die Dinge vorbereiten. Und er müsse einerseits eine gute Gesprächsbasis mit den Regierungschefs haben, andererseits aber auch eine eigene klare Vision verfolgen. Delors forderte außerdem – und ich schließe mich ihm an – statutarisch festzulegen, dass kein Regierungschef Kommissionspräsident sein sollte.
Das rief in unserem kleinen Kreis beim gemeinsamen Mittagessen heftigen Widerstand des anwesenden Premierministers Michel Rocard hervor. Dieser kritisierte Delors Forderung als geradezu rassistisch, relativierte seine Aussage allerdings mit einem Lächeln.

Verstärkte Zusammenarbeit

Die Art und Weise, wie Jacques Delors Pragmatismus mit Vision verbindet, ist jedenfalls auch heute noch eine Richtschnur für den europäischen Einigungsprozess. So meinte er etwa auch, dass, je größer die Europäische Union werde, es desto unverzichtbarer sei, dass auch einige Länder – und zwar nicht immer die selben und nicht nur die alten Länder der Gründungsunion – einen Schritt vorangehen und eine Avantgarde bilden, wie etwa bei Schengen und beim Euro.
Ich selbst bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir einen Mechanismus finden müssen, bei dem – in Übereinstimmung mit der Kommission und dem Grundsatz der Union – alle Mitglieder in diese Lösung einschwenken. Will man aus Europa durch eine solche Avantgarderolle eine starke Kraft machen, so gilt es, eine verstärkte Zusammenarbeit einer bestimmten Anzahl von Ländern vorzunehmen – wie es ja auch in der Verfasssung vorgesehen ist.

Brüssel, 22.3.2006