Kein Ende der Krise – kein Ende der Diskussionen

Wir brauchen keinen engstirnigen Nationalismus, der in eine zerstörerische Protektionismusspirale führt, sondern gemeinsame Anstrengungen zur Umstrukturierung der gefährdeten Industrien und gemeinsame Programme, um unsere umweltpolitischen Ziele mit jenen der Wirtschaftsankurbelung zu verbinden.
Es ist noch lange kein Ende der Krise absehbar. Aber auch die Diskussionen über die Ursachen und letztlich über die Möglichkeiten, der Krise Herr zu werden, gehen weiter.

Die „blödeste Idee der Welt“

Fest steht: Der Verzicht auf Regeln für die Entwicklung der Finanzmärkte zu einem Zeitpunkt, wo es immer mehr Regeln für die immer neu entstehenden Finanzprodukte und -pakete geben sollte, war eine Katastrophe – das sieht man heute fast überall. Es war Ronald Reagan, der meinte, die Regierungen seien das Problem und nicht die Lösung. Heut gibt es nur mehr ganz wenige, verstockte Menschen, die diese Meinung vertreten. Obama antwortete Reagan und seinen Anhängern in seiner Einführungsansprache: „Die Frage, die wir uns heute stellen, ist nicht die, ob die Regierung zu viel oder zu wenig tut, sondern ob sie ihren Aufgaben gerecht wird.“
Dabei geht es natürlich nicht nur um den Umfang der Regierungsaufgaben, sondern um die Grundeinstellung zum Markt und zur Bedeutung des Gewinnstrebens. Viele berufen sich dabei auf Adam Smith, wenn sie die optimale Funktionsfähigkeit der Märkte loben. Aber der Nobelpreisträger – und Träger des Bruno Kreisky Preises für das politische Buch – Amartya Sen hat erst kürzlich nachgewiesen, dass diese Interpretation sehr einseitig ist. Smith, der ja ein „Moralphilosoph“ war, hat den Markt immer nur als Instrument gesehen und nicht als oberstes Prinzip. Auch einer der stärksten Vertreter des „shareholder value“, also des maximalen und kurzfristigen Gewinnstrebens, Jack Welch, hat kürzlich eine Kehrtwende vollzogen. Er, der als Chef von General Electric dieses Prinzip zum Exzess betrieb und jedes Jahr automatisch die zehn „schlechtesten“ Angestellten entließ, meinte jetzt das der „shareholder value“ die „blödeste Idee der Welt“ sei. Ein bisschen zu spät allerdings.

Gegenmaßnahmen setzen

So spannend es auch ist, den Wandel, zumindest äußerlich, der Konservativen nachzuvollziehen, so sehr müssen wir uns allerdings auf zwei Fragen konzentrieren. Erstens: Wie kommen wir möglichst rasch aus dieser Krise heraus? Und zweitens: Wie können wir eine ähnliche Krise in Zukunft verhindern? Niemand weiß, ob eine zukünftige Finanzkrise verhindert werden kann. Aber jedenfalls müssen jene Maßnahmen gesetzt werden, die verhindern, dass die gleichen oder ähnliche Faktoren neuerlich einen Kollaps der Finanzmärkte erzeugen.
An der Neufassung und Verstärkung der Regulierung und Überwachung der Finanzmärkte wird gearbeitet. Hoffentlich kommen alle Vorlagen so zeitgerecht, dass wir im Europäischen Parlament noch vor dem Sommer klar Stellung dazu beziehen können. Denn wir müssen so rasch als möglich die „finanziellen Waffen der Massenvernichtung“, wie es der berühmte Investor Warren Buffet einmal ausdrückte, selbst vernichten.

Zu wenig Europa

Schon schwieriger sind die Pakete zur Ankurbelung der Konjunktur zu schnüren. Da zeigt sich wieder einmal die Schwäche der EU mit einem sehr geringen Budget und einer fast nicht vorhandenen wirtschaftspolitischen Koordination. In diesem Punkt hat es Amerika tatsächlich besser, was geradezu grotesk ist, geht doch die Krise von dort aus.
Erst kürzlich meinte die „Herald Tribune“ auf Seite 1: „Zu einem Zeitpunkt, wo die Welt mit Angst die wachsende Finanzkrise wahrnimmt, ist das einzige Land, das es relativ leicht hat, Kapital zu bekommen, das Land, das die ganzen Probleme verursacht hat: die USA.“ Der Dollar ist und bleibt die Leitwährung und genießt das größte Vertrauen bei den Investoren. Was die Möglichkeiten der Wirtschaftspolitik für die Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise betrifft, haben wir also nicht ein Zuviel an Europa, sondern ein Zuwenig.

Protektionismus ist gefährlich und kontraproduktiv

Im Zusammenhang mit der aktuellen Krise meinte der neu wirtschaftliche Chefberater von Präsident Obama: „Die Debatte darüber, ob man sein Land lieben und dessen Regierung hassen kann, hat sich erübrigt, die Antwort ist nein.“ Ähnlich kann man heute sagen: Die Debatte darüber, ob man dem eigenen Land den Vorzug gibt oder Europa, ist fruchtlos. Wir brauchen beide, um aus der Krise herauszukommen und beide, um Ähnliches in Zukunft zu verhindern.
Natürlich wollen uns die Nationalisten einreden, dass jetzt die Zeit gekommen ist, nur auf uns zu schauen. Protektionismus ist in manchen Kreisen angesagt. Der Irrtum bzw. die Illusion, die diesem Ansatz zu Grunde liegt, ist allerdings zu glauben, dass unser Protektionismus nicht von anderen mit gleicher Münze heimgezahlt wird. Protektionismus in einer von Exporten abhängigen Gesellschaft ist gefährlich und kontraproduktiv. Kurzfristige Erfolge werden sofort durch Gegenmaßnahmen der anderen Länder wettgemacht. Darüber hinaus werden die Preise mangels Wettbewerb für die Konsumenten steigen. Vor allem die Preise der nach wie vor notwendigen Importe, auch jene, die als Vorprodukte für Industrie und Gewerbe benötigt werden, werden sich erhöhen und so auch in der Folge die Exporte verteuern. Eine wahre Abwärtsspirale für die verschiedenen nationalen Wirtschaftssysteme würde sich in Bewegung setzten, ähnlich jener der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Umstrukturierung der gefährdeten Industrien

Nein, wir brauchen keinen engstirnigen Nationalismus, der in eine zerstörerische Protektionismusspirale führt, sondern gemeinsame Anstrengungen zur Umstrukturierung der gefährdeten Industrien, wie z. B. der Autoindustrie. Und wir brauchen vor allem gemeinsame Programme, um unsere umweltpolitischen Ziele mit jenen der Wirtschaftsankurbelung zu verbinden, so beispielsweise zur Energiesicherung bzw. zum Energiesparen und zur Erhöhung der Energieeffizienz.
Auf Bitte meiner Fraktion bearbeite ich gerade die Vorschläge der Kommission. Auf Grund der geringen EU-Budgetmittel handelt es sich nur um den sprichwörtlichen Tropfen auf dem heißen Stein. Allerdings: Zusammen mit Mitteln der Europäischen Investitionsbank und anderer Finanzierungseinrichtungen könnte hier schon einiges auf die Beine gestellt werden. Darüber hinaus fordere ich in einigen Abänderungsanträgen nicht nur verschiedene Gaspipelines und das europäische Stromnetz auszubauen sowie einige Modellprojekte zur Abscheidung und Lagerung von CO2 zu fördern, sondern auch Programme zum Energieeinsparen und zur Steigerung der Energieeffizienz zu finanzieren. Vor allem innerhalb der Aktion „Smart Cities“ gibt es interessante Bemühungen, die die EU unterstützen sollte.

Wien, 15.3.2009