Kein Hort der Demokratie

Das System, das sich in Kasachstan entwickelt hat, hat mit einer lebendigen Demokratie wenig zu tun. Allerdings befindet sich das Land in einem Entwicklungsstadium, das nicht mit jenem in Europa vergleichbar ist.
Gestern Nacht flog ich von Moskau aus mit Air Astana, einer kasachstanschen Luftfahrtsgesellschaft, die unter anderem von British Airways gegründet worden ist, nach Almaty. Almaty hieß früher Alma-Ata und ist die alte Hauptstadt Kasachstans, die nur etwa 150 Kilometer von der chinesischen Grenze entfernt ist.

In den Schoss Russlands geflüchtet

Heute ist die Hauptstadt Kasachstans Astana – vielleicht auch deshalb, weil Alma-Ata so nahe an der chinesischen Grenze liegt. Kasachstan wurde bereits während des zaristischen Reiches an Russland angegliedert, und zwar auf Bitte des damaligen kasachstanschen Herrschers. Man wollte sich gegen die Gewalt und die militärische Interventionen aus China entsprechend wehren, erkannte aber, dass das alleine nicht zu bewältigen war. Und so wählte man Russland zu seinem Schutzpatron.
In Almaty sind noch einige Botschafter stationiert, die jetzt nach und nach in die neue Hauptstadt Astana übersiedeln. Einige dieser Botschafter, die sich zum Teil äußerst versiert nicht nur über Kasachstan, sondern über die gesamte Region, also etwa Länder wie Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikien und Kirgisien geäußert haben, haben wir getroffen. So erhielten wir in relativ kurzer Zeit einen hervorragenden und aufschlussreichen Überblick über die Region im Allgemeinen und über Kasachstan im Besonderen.

Dubioser Präsidenten-Schwiegersohn

Es folgte eine Serie von Gesprächen, in erster Linie mit Vertretern der Zivilgesellschaften und mit Medienvertretern, die versuchen, in diesem Land kritisch zu berichten. Am ehesten möglich ist das noch über das Internet, weil man weiß, dass dieses keinen breiten Zugang findet. Wir trafen außerdem Vertreter von Familien, deren Angehörige – im einen Fall der Bruder, im anderen Fall der Sohn – aus politischen Motiven ermordet wurden, ohne dass diese Fälle restlos aufgeklärt worden wären. Auch mit der Frau eines Managers der Nurbank, der verschwunden ist, führten wir ein Gespräch. Es wird angenommen, dass dieser Manager im Auftrag von Aliew, dem Schwiegersohn von Präsidenten Nasarbajew entführt worden ist. Ob er noch lebt, scheint niemand zu wissen.
Aliew gelangte zuletzt auch in Österreich zu Bekanntheit, weil er bereits zum zweiten Mal von Nasarbajew als Botschafter nach Österreich entsandt worden ist. Er war hier insbesondere für die OSCE, also für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zuständig. Der kasachstansche Präsident hat also Wien gewissermaßen als Verbannungsort für seinen Schwiegersohn gewählt – was ja schon einmal bei Molotow, dem früheren sowjetischen Außenminister unter Stalin, der Fall gewesen ist.

Ein wirklicher Bösewicht

Aufgrund dieser Tatsache war Österreich während meines Aufenthaltes in Kasachstan ein relativ präsentes Thema. Ich wurde in zwei Fernsehinterviews gefragt, ob ich der Meinung bin, dass Aliew politisches Asyl erhalten sollte. Nach allem, was ich gehört habe – nicht nur von Vertretern, die der Regierungsseite nahestehen, sondern vor allem von Vertretern, die der Regierung sehr kritisch gegenüberstehen – ist Rachat Aliew ein wirklicher Bösewicht, ein Mann, der sich in den vergangenen Jahren durch Entführungen, Korruption und Drohungen ausgezeichnet hat.
Dass er das nicht ohne Unterstützung aus Kreisen der Umgebung Nasarbajew machen konnte, liegt auf der Hand. Auch, dass er seine Position als Schwiegersohn ausgenützt hat, ist offensichtlich. Ebenso wie nachvollziehbar ist, dass der internationale Haftbefehl, den die Regierung Nasarbajews angestrebt hat, zweifellos mit politischen und persönlichen Motiven zusammenhängt. Man trauert Aliew jedenfalls in seinem Heimatland nicht nach. Im Gegenteil: Alle scheinen äußerst froh zu sein, dass endlich gegen ihn vorgegangen wird und ein internationaler Haftbefehl ausgesprochen wurde.

OSCE-Vorsitz 2009?

Zurzeit befindet sich Aliew in Österreich in Haft. Ob dem Auslieferungsbegehren stattgegeben wird, ist eine juristische Frage. Meine persönliche Einschätzung aufgrund der Gespräche, die ich in Almaty und später in Astana geführt ist allerdings die, dass in mehreren Kreisen um Präsident Nasarbajew Dinge passieren, die absolut unvertretbar sind. Das System, das sich hier entwickelt hat, hat mit einer lebendigen Demokratie wenig zu tun. Es gilt allerdings zu berücksichtigen, und das wurde uns auch immer wieder klar geschildert, dass Kasachstan viel eher demokratischen Grundprinzipien entspricht als seine Nachbarstaaten und dass sich Kasachstan in einem Entwicklungsstadium befindet, das sich nicht mit jenem in Europa vergleichbar ist. Deshalb sollten wir in einem gewissen Ausmaß tolerant sein.
Ob wir aber so tolerant sein sollten, dass wir Kasachstan anbieten, im Jänner 2009 den Vorsitz der OSCE zu übernehmen, ist eine andere Frage, über die wir immer wieder diskutiert haben – mit dem äußerst versierten und eloquenten OSCE-Botschafter in Astana, aber auch mit anderen Botschaftern und Vertretern. Gegen einen derartigen Vorsitz sprich zweifellos die Tatsache, dass das die Sanktionierung des Systems von Nasarbajew bedeuten könnte. Dafür spricht hingegen, dass man dadurch eine Region aufwertet – allerdings eine Region, in der eben Kasachstan noch den höchsten demokratischen Gehalt aufweist.

Schützenhilfe aus Russland

Russland unterstützt Kasachstan in dieser Angelegenheit tatkräftig. Es erhofft sich, dass durch die Präsidentschaft Kasachstans der aus russischer Sicht Überbetonung der Menschenrechts- und Demokratiefrage ein Dämpfer erteilt wird. Diese Erwartung Russlands ist ein weiteres Argument dagegen.
Andererseits, ohne Russland und ohne diese Länder als aktive Mitglieder am Gesprächstisch der OSCE zu sitzen, macht heute wenig Sinn für die OSCE. Denn es geht ja gerade um die Demokratisierungsprozesse in diesen Ländern. Diese Frage ist also gar nicht so einfach zu behandeln, wie man auf den ersten Blick annehmen könnte. Es bedarf allerdings noch gewisser Punkte, die Kasachstan erfüllen und entwickeln muss, bevor eine positive Aussage getroffen werden kann.

Demokratisch orientierte Sozialdemokratie

Heute Abend fand ein ausführliches Gespräch mit dem Parteivorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei statt. Ich hatte ihn und seinen Generalsekretär bereits kurz in Straßburg getroffen. Diesmal hatten wir Zeit für ein intensives Gespräch. Wir, das sind Pasqualina Napoletano aus Italien, Jan Marinus Wiersma aus den Niederlanden und ich selbst. In unserer Funktion als Vizepräsidenten der Fraktion haben wir im Anschluss an unseren Aufenthalt in Moskau zu Dritt Kasachstan besucht.
In diesem Gespräch und auch in den vorangegangenen Treffen, die großteils von den Sozialdemokraten organisiert worden waren, haben wir gemerkt, dass es sich bei den Sozialdemokraten um eine sehr offene, demokratisch orientierte Partei handelt. Zugegeben, in all diesen Systemen mögen alle Parteien, soweit sie sich im Rahmen der Legalität bewegen, punktuell in Dinge verwickelt sein, die nicht gerade begrüßenswert sind. Aber insgesamt scheint mir die Tatsache, dass wir aufgrund der Organisation durch die Sozialdemokratie viele Gespräche mit kritischen Persönlichkeiten führen konnten, eine gute Einstellung zu den Fragen der Demokratie und der Menschenrechte wiederzuspiegeln. Eine Basis, auf der wir auch weitere Gespräche führen wollen.

Almaty, 30.5.2007