Keine Liberalisierung um jeden Preis

Die Tatsache, dass es in der Telefonie nach wie vor ein zersplittertes Europa gibt, hat die Kommission veranlasst, entsprechende Preisregulierungen vorzuschlagen und die Auslands-Roaminggebühren tendenziell abzuschaffen.
Heute Vormittag bin ich zu den Ausschusssitzungen im Europäischen Parlament in Brüssel angereist. In dieser Woche werde ich mich intensiv auf die Ausschussarbeit, insbesondere im Industrie-, Energie- und Forschungsausschuss, konzentrieren.

Roaminggebühren

Wir beschäftigen uns zurzeit unter anderem mit der Frage der sogenannten Roaminggebühren. Das sind jene Gebühren, die EuropäerInnen bezahlen müssen, wenn sie von einem EU-Mitgliedsland in ein anderes reisen und dort Gespräche in Empfang nehmen oder selbst mit jemandem in ihrem Heimatland oder in anderen europäischen Ländern telefonieren. Die Tatsache, dass es in der Telefonie nach wie vor ein zersplittertes Europa gibt, hat die Kommission veranlasst, entsprechende Preisregulierungen vorzuschlagen und die Auslands-Roaminggebühren tendenziell abzuschaffen.
Vom Grundsatz her ist dieses Vorhaben durchaus einzusehen. Es gibt allerdings eine Reihe von Argumenten, die dafür sprechen, nicht alle Telekom-Unternehmen über einen Kamm zu scheren. Die große Anzahl von Roamingaktivitäten, die beispielsweise Unternehmungen in Österreich aufgrund der ausländischen MitbürgerInnen, die sich – in erster Linie aus touristischen Gründen – in Österreich aufhalten, aufweisen, ermöglichen es, jenen Menschen, die in Österreich leben, einen günstigeren Tarif anzubieten. So lautet zumindest die Argumentation zahlreicher Telefongesellschaften.

Marktstörungen und -missbräuche

Wie dem auch sei: Es wird zu entsprechenden Veränderungen kommen. Die bisherigen Gebühren lagen weit über dem notwendigen Limit, um die zusätzlichen Kosten des „Einklinkens“ in ein fremdes Netz zu finanzieren. Wie immer sind es Unbescheidenheit und das Ausnützen von Marktmacht, die letztendlich dazu führen, dass die öffentliche Hand – im konkreten Fall die Kommission – eingreift. Das ruft einen großen Aufschrei hervor, bei dem sich viele über Interventionismus bzw. einen Eingriff in die Marktwirtschaft beklagen.
Ob man gleich so weit gehen muss, wie es die Kommissionsvorschläge vorsehen – bis auf die Ebene der Detailtarife und nicht nur jener Tarife, die sich die Netzbetreiber untereinander verrechnen, ist eine andere Frage. Jedenfalls ist es einmal mehr ein Beleg dafür, dass der Markt nicht so funktioniert, wie die Marktapologethen stets behaupten. Tatsache ist: Es wird ein Markt geschaffen, und in der Folgen zeigen sich die jeweiligen Marktungereimtheiten, die im Endeffekt erst Recht zu einer entsprechenden Regulierung führen. Würde man die potentiellen Marktstörungen und -missbräuche von vornherein miteinbeziehen, könnte man wahrscheinlich langfristiger und geordneter agieren.

Postliberalisierung

Ich für meinen Teil bin beauftragt, für den Industrieausschuss einen Vorschlag zu Postliberalisierung auszuarbeiten. Hierzu bestehen bereits Vorschläge der Kommission. Der hauptsächlich dafür zuständige Ausschuss ist zudem der Verkehrsausschuss. Aber auch einige andere Ausschüsse, wie eben auch der Industrie- und Energieausschuss, beschäftigen sich mit der weiteren Entwicklung. Die Kommission schlägt vor, die derzeitige Situation eines quasi reservierten Bereiches für Postverwaltungen von Briefen unter 50 Gramm aufzuheben und in Zukunft eine vollkommene Liberalisierung umzusetzen. Allerdings sollen die einzelnen Mitgliedsländer die Möglichkeit haben, sogenannte Universaldienste zu schaffen, also klar zu regeln, dass jedem Land eine generelle Versorgung hohen Grades garantiert ist.
Zur Finanzierung dieser Universaldienste können von den Privaten, die diese Universaldienste nicht erfüllen, Gebühren eingehoben werden. Es wird aber auch die Möglichkeit angedacht, alle Anbieter – die öffentlichen wie die privaten – zu zwingen, die Universaldienste und damit die Grundversorgung der Bevölkerung zu erfüllen.

Post ist öffentlicher Dienstleister

Auch zu diesem Vorschlag gibt es jede Menge Einwände. Zu Recht wird festgestellt, dass die Form, wie die Universaldienste finanziert werden sollen, völlig offen ist und dass man nicht von heute auf morgen von einem relativ einfachen und übersichtlichen in ein wesentlich komplexeres System wechseln soll. Vor allem deshalb nicht, weil einige Unternehmungen, insbesondere in Osteuropa, noch keineswegs vorbereitet sind, diese zusätzlichen Schritte der Liberalisierung, sprich der Marktöffnung, zu unternehmen.
Ich habe nun vorgeschlagen, dass man diese weiteren Schritte der Liberalisierung um einige Jahre hinausschiebt. Zunächst muss aus meiner Sicht jedes Land der Kommission Vorschläge über die Finanzierung der Universaldienste unterbreiten, und erst in der Folge können Liberalisierungsschritte gesetzt werden. Dieser Vorschlag ist ungewöhnlich, und ich kann nicht einschätzen, ob der Ausschuss mir hier folgen wird. Mir geht es aber darum, die Besonderheit der Postdienste als öffentliche Dienstleister zu berücksichtigen. Diese sollte man nicht so einfach ohne grundsätzliche Überlegungen hinsichtlich der Finanzierung der Grundversorgung verändern.

Im Dienste der BürgerInnen

Es wird sich zeigen, wie der Ausschuss auf diese Strategie reagieren wird. Jetzt beginnt erst einmal die Debatte darüber, und es bleibt abzuwarten, was sie bringt. Alles in allem handelt es sich um eine heikle politische Frage. Ich sehe einerseits durchaus ein, dass man auch Private an der Erfüllung von Postleistungen beteiligen möchte. Andererseits geht es mir aber in erster Linie darum, dass es günstige Leistungen gibt, mit denen die BürgerInnen und die Klein- und Mittelbetriebe zufrieden sind und dass die Versorgung insgesamt gewährleistet ist.

Brüssel, 26.2.2007