Kleines Land, ganz groß

Slowenien ist ein kleines Land, das sich wirtschaftlich hervorragend entwickelt hat. Mit 1.1.2008 übernimmt es den Ratsvorsitz der EU.
Mit 1. Jänner 2008 übernimmt Slowenien die Präsidentschaft des Rates der EU. Diese Ratspräsidentschaft ist insofern besonders, als zum ersten Mal eines der mit der letzten großen Erweiterungsrunde im Jahr 2004 neu hinzugekommenen Mitgliedsländer den Ratsvorsitz innehat.

Gekränkter Premier

Slowenien ist ein kleines Land, das sich allerdings wirtschaftlich hervorragend entwickelt hat. Politisch gab es in den letzten Wochen aber einige Probleme. Der von den Sozialdemokraten aufgestellte Kandidat Danilo Türk hat die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Und auch wenn der Präsident generell keine besondere einflussstarke Rolle hat, war das für den konservativen Premierminister Janez Jansa ein starker Rückschlag.
Jansa hatte nichts Besseres zu tun, als einerseits, wenige Wochen vor der Übernahme der Präsidentschaft durch Slowenien, seinen Rücktritt anzukündigen und andererseits unseren Parlamentskollegen Borut Pahor, den sozialdemokratischen Vorsitzenden, zu kritisieren und ihm vorzuwerfen, dass er gegen die Interessen des Landes verstoßen habe und unter den europäischen Sozialdemokraten Stimmung gegen Slowenien mache. Das ist natürlich absoluter Unsinn. Premierminister Jansa ist insgesamt eine sehr eigenartige Persönlichkeit. Er wollte auf europäischer Ebene den Sozialdemokraten beitreten, wurde aber aufgrund seiner nationalistischen Anschauungen von uns abgelehnt und hat sich schließlich dem konservativen Block angeschlossen.

Wachstum unter sozialem Aspekt

Unser Fraktionsvorstand wollte noch vor Weihnachten mit der Präsidentschaft diskutieren und wir sind deshalb gestern nach Laibach bzw. Ljubljana gekommen. Unser Fraktionsvorsitzender Martin Schulz konnte erst etwas später dazu stoßen, und so übernahm ich bei den ersten Gesprächen den Vorsitz und übergab beim Arbeitsabendessen mit der Führungsspitze der Sozialdemokratie den Vorsitz wieder an Martin.
Die ersten Gespräche führten wir mit Ziga Turk, dem Minister für Wachstum, der sich in Slowenien vor allem um die Lissabonstrategie kümmert und mit Sozialministerin Marjeta Cotman. In beiden Fällen stand aus unserer Sicht die wichtige Frage, wie die Förderung des Wachstums mit sozialen Aspekten auf einen Nenner gebracht werden kann, im Vordergrund.

Unterschiedliche Zugänge

Die Sozialministerin betonte – aufgrund ihres Jobs, aber, wie ich meine, auch aufgrund ihrer Überzeugung -, dass man die soziale Dimension Europas nicht von heute auf morgen benachteiligen soll, sondern einen weiteren Ausbau der sozialen Systeme bzw. der notwendigen sozialen Unterstützungen vornehmen sollte.
Ein wenig anders klang das beim Wachstumsminister. Ich stimme sehr stark mit seiner Analyse überein, dass wir in einer anderen Wettbewerbssituation stehen – insbesondere hinsichtlich China, Brasilien, Indien, etc. Diese Länder haben eine immense Bevölkerungsdynamik, aber innerhalb der Bevölkerung auch eine starke unternehmerische Dynamik. Europa darf hier nicht zurückfallen, es muss selbst eine größere Dynamik entwickeln und stärker in Forschung und Entwicklung investieren sowie eine stärkere Flexibilität aufzeigen, um auf Veränderungen in der Welt entsprechend reagieren zu können.

Soziale Dimension betonen

Minister Turk hat immer wieder erwähnt, dass ein besonderes Kennzeichen der europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik die Frage des „care“, also des Sorgens ist. Wir sorgen uns um unsere Umwelt und um unsere Mitmenschen. Und dieses Sorgenelement innerhalb der Gesellschaft sei ein Vorteil, den Europa nicht verspielen dürfe. Als ich ihn nach der sozialen Dimension gefragt habe, antwortete er, diese sei selbstverständlich ein Element der Sorgepflicht, die wir in Europa großschreiben, über die man aber nicht so viel reden sollte – denn das würde dazu führen, dass die Menschen nicht jene Flexibilität und jene Arbeitsbereitschaft aufweisen, die notwendig ist, um im Wettbewerb von heute und morgen bestehen zu können.
Nun verstehe ich diesen Gedanken, und es gibt sicherlich einige, die sich lieber zurücklehnen und soziale Unterstützung empfangen als sich anzustrengen. Das ist aber nicht primär ein Effekt der sozialen Dimensionen unserer Gesellschaften, sondern eher eine Folge davon, dass der Anreiz für die Menschen, sich auf neue Situationen umzustellen, neue Jobs zu suchen, etc. zu wenig gegeben ist. Wenn die soziale Komponente nicht genügend ausgebaut ist und es keinen Rückhalt für die Entwicklung dieser Dynamik und einer positiven Aufgeschlossenheit gegenüber Neuerungen gibt, trifft dies umso mehr zu.

Fraktionelle Zusammenarbeit

Am Abend fand das bereits erwähnte Arbeitsessen mit unseren KollegInnen aus der Sozialdemokratie statt. Wir führten eine Diskussion über den Ausbau unserer Zusammenarbeit. Ich saß mit Martin Schultz, dem Parteivorsitzenden Borut Pahor, seiner Stellvertreterin, dem Vorsitzenden der Fraktion im Slowenischen Parlament und dem ehemaligen Ministerpräsidenten Anton Rop gemeinsam an einem Tisch. Ministerpräsident Rop, den ich wenige Wochen zuvor in Wien getroffen habe, wo wir gemeinsam auf einem Podium über die Zukunft Kroatiens diskutiert haben, war ein Liberaldemokrat. Heute ist er zur Sozialdemokratie übergetreten und engagiert sich dort besonders in der Entwicklung eines gemeinsamen Programms für die im Jahr 2008 nach der Präsidentschaft stattfindenden Parlamentswahlen.
Wir vereinbarten eine Zusammenarbeit auch in den nächsten Wochen und Monaten, die nicht im Widerspruch zu unserer klaren Unterstützung für die slowenische Präsidentschaft als solches steht – unabhängig von der Parteizugehörigkeit des Regierungschefs und der einzelnen Minister. Natürlich würden wir uns als Sozialdemokraten freuen, wenn nach der Präsidentschaft eine sozialdemokratische Regierung in Slowenien an die Macht käme, da wir in Europa ohnedies zu wenige Sozialdemokraten unter Regierungschefs haben.

Sicherheitspolitische Kooperation

Heute diskutierten wir ausführlich mit Innenminister Dragutin Mate über die Frage der Schengenzone, über die Visaverpflichtungen, etc. Mate zeigte sich überzeugt, dass die Erweiterung der Schengenzone, die am 21. Dezember in Kraft treten soll – mit Ausnahme der Flughäfen, die im März 2008 folgen sollen -, gut vorbereitet ist und dass es zu keinen größeren Problemen kommen wird.
Er plädierte, was ich sehr unterstütze, für eine größere Zusammenarbeit der Sicherheitseinrichtungen der einzelnen Mitgliedsstaaten. Wir sprachen uns unsererseits für eine Stärkung von Europol aus, parallel dazu allerdings auch für eine stärkere parlamentarische Kontrolle der Aktivitäten von Europol, insbesondere durch das Europäische Parlament.

Liberalisierungstendenzen

Mit Wirtschaftsminister Andrej Vizjak haben wir vor allem Energiefragen erörtert, die ja im Moment ganz oben auf der Tagesordnung des Rates und des Europäischen Parlamentes stehen. Slowenien tritt für eine stärkere Liberalisierung ein als manch andere Mitgliedsländer. Zumindest hat sich Minister Vizjak sehr offen für eine Debatte über Einzelheiten und das Ausmaß dieser Liberalisierung gezeigt. Dabei ist insbesondere die Frage der Trennung von Netz und Energie, Produktion und Versorgung ein heißes Eisen, über das derzeit in Madrid diskutiert wird.
Ich habe für eine an den Zielen orientierte Neuregelung der europäischen Energiewirtschaft plädiert. Das Ziel muss der freie Marktzugang, die Herstellung eines integrierten europäischen Energiebinnenmarktes sein. Das kann ebenso mit einer stärkeren Harmonisierung der Regulierung erreicht werden wie durch eine Europäisierung der Regulierung, d.h. ein stärkeres europäisches Zusammenarbeits- und Kontrollelement für die Regulierungen.

Bei Janez Jansa

Dann folgte schließlich die ausführliche Diskussion mit Ministerpräsident Jansa. Er wurde von seinem Staatssekretär begleitet, mit dem ich schon seit einiger Zeit intensiver in Kontakt bin. Der Ministerpräsident zeigte von seiner ruhigen und überlegten, proeuropäischen Seite. Offensichtlich kann er letztendlich doch zwischen der innenpolitischen Debatte in seinem Land und seiner europäischen Aufgabe unterscheiden – was für den Erfolg der Präsidentschaft sehr positiv zu sehen ist. Eine Reihe von Fragen wurde im Gespräch mit Jansa angeschnitten, von innen- bis außenpolitischen Themen, wobei vor allem die Kosovofrage eine entsprechende Rolle gespielt hat.
Wir trafen außerdem noch Umweltminister Janez Podobnik. Ich kenne ihn bereits aus jener Zeit, als er als Mitglied des slowenischen Parlaments und ich als Mitglied des Europäischen Parlaments in der gemischten parlamentarischen Delegation zusammenarbeiteten Wir haben damals vor dem Beitritt diesen entsprechend mit vorbereitet. Mit Podobnik hat sich der Kreis der Gespräche, die wir in einem Messezentrum in Laibach geführt haben, geschlossen.

Bei Außenminister Dimitri Rupel

Ich habe darauf bestanden, dass wir im Zuge unseres Besuches in Laibach auch Außenminister Dimitri Rupel treffen, den ich schon seit langer Zeit kenne und mit dem ich auch als Wiener Stadtrat in Rupels damaliger Eigenschaft als Bürgermeister von Ljubljana zusammengearbeitet habe. Er war allerdings so beschäftigt, dass er keine Zeit hatte, uns zu besuchen. Es gelang mir stattdessen, ein kurzes Treffen mit ihm, Martin Schultz, Jan Marinus Wiersma und mir knapp vor unserer Fahrt zum Flughafen im slowenischen Außenministerium arrangieren, bei dem wir die Kosovoproblematik diskutierten. Aus meiner Sicht war dieses Treffen äußerst wichtig. Wir stimmten überein, dass wir jetzt verhindern sollten, dass es nach der Nichteinigung zwischen Serben und Kosovoalbanern zu keiner überstürzten, einseitigen Unabhängigkeitserklärung kommt.
In der derzeit schwierigen Phase muss die EU Einigkeit zeigen. Wir müssen unsere Präsenz im Kosovo aufgrund eines Mandates der Vereinten Nationen sicherstellen, sodass wir dann den Schritt in die Unabhängigkeit entsprechend begleiten können. Nichts wäre schlimmer, als in der derzeitigen Situation neuerlich in Uneinigkeit und Zwiespalt zu verfallen – eine Uneinigkeit, die unsere aktive Position im Kosovo vor allem auch im Interesse der serbischen Minderheit verhindern würde. Minister Rupel war hier völlig unserer Meinung und möchte die nächsten Schritte mit uns im Europäischen Parlament absprechen. Er geht davon aus, dass wir durch unseren Einfluss bei den verschiedenen KollegInnen mithelfen können, dass es zu einer gemeinsamen Haltung der EU kommt. Das scheint mir auch sehr wichtig zu sein und insofern war auch unser letzter auf die Kosovofrage konzentrierter Besuch äußerst wertvoll.

Ljubljana, 4.12.2007