Kooperation mit Bedingungen

Wir müssen gegenüber Russland klare Standpunkte vertreten, die nicht aus einem Rachegefühl aus der Vergangenheit heraus abgeleitet werden sollten.
Ein anderes Thema, das uns in dieser Brüssel-Woche vermehrt beschäftigt hat, war Russland. Es ging dabei nicht nur um den furchtbaren und leider erfolgreichen Mordanschlag gegen die russische Journalistin Anna Politkowskaja, der in den Medien breit kommentiert worden ist und natürlich auch bei uns mit hineingespielt hat.

Inakzeptable Entwicklung

Es gibt zwar einige Abgeordnete, die nichts anderes im Kopf haben, als Russland permanent zu attackieren. Aber auch wir, die wir für eine vernünftige Kooperation mit Russland eintreten, können nicht akzeptieren, dass dort immer wieder politische oder auch ökonomisch motivierte Morde passieren, selten entsprechende Aufklärungen stattfinden und die Hintergründe und die Hintermänner kaum beleuchtet werden.
Wenn auf bestimmten Websites ganze Listen von Personen aufscheinen, die ermordet werden sollen, weil sie gegen die Interessen des Staates und somit anti-russisch agieren, dann ist das in höchstem Maß bedenklich. Aus Russland kommen von den Spitzen des Staates und der Regierung zu wenig klare Reaktionen. Sie treten diesen Entwicklungen nicht mit der ihnen zur Verfügung stehenden Macht entgegen.

Parallele Wege anstreben

In dieser Situation die Balance zu halten, ist zweifellos nicht einfach. Trotzdem glaube ich, dass wir klare Standpunkte vertreten müssen, die nicht aus einem Rachegefühl gegenüber Russland aus der Vergangenheit heraus abgeleitet werden sollen. Es gilt auf der einen Seite, die Anerkennung der Menschenrechte, der Toleranz und der Meinungsfreiheit einzufordern und auf der anderen Seite in diesem riesigen Land eine Basis der Kooperation zu entwickeln. Und das hängt natürlich auch mit Erdöl und Erdgas zusammen.
Ich bin immer verwundert über verschiedene Kommentare, die argumentieren, die Europäische Union bzw. der Westen beuge sich Russland wegen des Erdgases. Unsere Bevölkerung hätte kein Verständnis, wenn wir nicht auch auf die Versorgungsinteressen Europas, der Wirtschaft, der Industrie und der Versorgung der Haushalte Rücksicht nehmen würden. Aber das heißt ja nicht, dass wir auf dem Gebiet der Menschenrechte schweigen können. Hier muss eine parallele Entwicklung erfolgen. Und man darf nicht davon ausgehen, dass man alles auf einmal lösen kann, dass man sowohl gleichzeitig die Interessen unserer Bevölkerung vertreten als auch von heute auf morgen die Verhältnisse in Russland verändern kann.

Bergab statt bergauf

Mich stimmt es traurig, dass manche meinen – wahrscheinlich nicht zu Unrecht – darlegen zu können, dass die Entwicklung in Russland keineswegs bergauf geht, sondern auf manchen Gebieten Rückschläge zu vermelden sind. Wenngleich Putin im Inneren anders gesehen wird als von Außen. Für viele Menschen in Russland selbst symbolisiert Putin heute Stabilität und mehr Selbstbewusstsein. Etwas, was im Äußeren nicht gefällt, wenn dadurch europäische Interessen oder eben auch die Menschenrechtslage weniger berücksichtigt werden.

Mehr Verantwortung wäre gefragt

Im Zusammenhang mit Russland stellt sich außerdem die Frage, wie die Situation in Georgien weitergeht. Georgien bzw. Präsident Saakaschwili hat in den vergangenen Wochen einige Taten gesetzt, die die Spannungen mit Russland vergrößert haben – völlig unnötiger Weise. Vor allem die Art, wie das erfolgt ist, hat mehr mit der Innenpolitik und den zurück liegenden Wahlen als mit den realen Verhältnissen zu tun. Die Reaktion von Russland, die teilweise Verfolgung von Menschen mit georgischem Namen oder offensichtlichen Georgiern in verschiedenen Städten Russlands ist inakzeptabel.
All das könnte man vermeiden, würden verantwortungsvolle Persönlichkeiten an der Spitze von Staaten stehen, die bestehende Konflikte – und diese betreffen die abtrünnigen Provinzen in Abchasien und Südosetien – behandeln und zu lösen versuchen würden, indem sie Hasstiraden und damit einhergehende Aktionen auf beiden Seiten nicht zulassen.

Nicht die Augen verschließen

Wir haben im zuständigen gemischten parlamentarischen Ausschuss ein Gespräch mit der Botschafterin Georgiens geführt. Ich habe dabei klar zum Ausdruck gebracht, dass ich das Verhalten Russlands in den beiden fraglichen Provinzen, in denen es die abtrünnigen Gruppierungen militärisch unterstützt wie auch in Russland selbst nicht akzeptieren kann. Ich habe aber auch davor gewarnt, so zu tun, als sei Georgien ein Musterknabe und bloßes Opfer und nicht ebenfalls ein aktiver Teil dieser Entwicklungen.
Auch Georgien hat seinerseits nicht alles unternommen, um die bestehenden Probleme zu lösen. Es hat den Menschen in den abtrünnigen Provinzen kein Angebot gemacht und ihnen nicht vermittelt, dass sie sich bemühen sollten, nach Georgien zurückzukehren, weil sie dort ein besseres Leben als Angehörige der Minderheit führen könnten anstatt in der permanenten Rolle eines Spielballes der russischen Außenpolitik zu sein.

Dialog mit dem Iran

Ich habe mich mit dieser Region auch in einem anderen Zusammenhang beschäftig, und zwar als eine Delegation des iranischen Parlaments uns in Brüssel besucht hat und ich sie im Rahmen der Fraktion begrüßt habe. Die Beziehungen zum Iran sind zweifellos sehr schwierig. Dennoch bin ich froh, dass der Austausch zwischen dem iranischen und dem Europäischen Parlament jetzt begonnen hat. Für mich ist der Iran eine Schlüssel-Land, ein äußerst wichtiger Staat in einer sensiblen Region. Aus diesem Grund müssen wir alles unternehmen, damit der Iran eine entsprechend verantwortliche Politik führt.
Leider ist das nicht immer der Fall. Und leider tragen auch insbesondere die Vereinigten Staaten ihr Scherflein dazu bei, dass der Iran sich gefährdet fühlt und entsprechend unverantwortlich reagiert. Dem Iran ist durch die Vereinigten Staaten in den letzten Jahren indirekt sehr viel geholfen worden. Das Regime der Taliban in Afghanistan ist verschwunden. Das Regime von Saddam Hussein im Irak ist verschwunden. Den Schiiten im Irak wurden bedeutend mehr Möglichkeiten der Entfaltung gegeben, sie spielen heute eine ungleich größere Rolle als das unter Saddam Hussein möglich gewesen ist. Und dennoch haben es die Vereinigten Staaten nicht zuwege gebracht, mit dem Iran eine verbesserte Beziehung aufzubauen.

Die Unterschiede klar machen

Im Gespräch mit der iranischen Delegation, der auch eine Frau angehörte, habe ich klar gemacht, wo unsere Unterschiede liegen. Ein Dialog macht nämlich nur dann Sinn, wenn klar ist, was uns vom Iran unterscheidet und in welchen Bereichen wir uns Fortschritte wünschen würden. Ein ganz zentraler Punkt ist die Menschenrechtslage. Die Unterdrückung der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit im Lande ist für uns inakzeptabel. De facto leben viele Menschen unbehelligt und empfinden das so. Aber für die Entwicklung einer Gesellschaft ist es wichtig, dass sich alle Menschen frei entfalten können, insbesondere jene, die dem Regime kritisch gegenüber stehen. Die Religion und vor allem die Religionswächter des Staates dürfen deshalb nicht in einem derartigen Ausmaß in das alltägliche Leben der Menschen eingreifen.
Außerdem wünschen wir uns einen positiveren Beitrag des Irans zum Friedensprozess im Nahen Osten. Es genügt nicht, die Hisbollah nicht mehr militärisch zu unterstützen. Ausschlaggebend ist ein generelles Interesse an mehr Frieden und Stabilität. Der Iran könnte auf diese Weise eine zentralere Rolle in dieser Region spielen, als wenn er immer nur als derjenige auftritt, der zwar formell erklärt „Was die Palästinenser akzeptieren werden wir auch akzeptieren“, aber innerhalb Palästinas jene Gruppierungen unterstützen, die nicht den Frieden mit Israel suchen, sondern maximal einen Waffenstillstand. Hier ist der Iran aufgerufen, sich wesentlich positiver zu entwickeln.

Schlüsselfaktor Nukleartechnologie

Ausschlaggebend ist in Zusammenhang mit dem Iran die Nuklearfrage. Ich habe deutlich gemacht, dass wir die Rechte aus den internationalen Verträgen, die dem Iran zustehen, anerkennen. Gemeint ist damit das Recht auf zivile Nukleartechnologie inklusive der Anreicherung des Urans. Der Iran hat allerdings in der Vergangenheit ein zweideutiges Verhalten an den Tag gelegt. Deshalb wünschen wir uns, dass er die Anreicherung zumindest unterbricht, um entsprechende Verhandlungen zu ermöglichen.
Ich bin nicht besonders glücklich über die frühere amerikanische Position. Hätten die Amerikaner von Beginn an eine andere Einstellung gehabt, wäre es auch für Europa einfacher gewesen, bereits in der Vergangenheit entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Ich hoffe trotzdem, dass derartige Vereinbarungen noch zustande kommen – nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass höchstwahrscheinlich in Nordkorea ein Nuklearversuch unternommen worden ist.

Angst und bang

Dazu hatten wir in dieser Woche im Europäischen Parlament auch eine Debatte mit Javier Solana. Das Durchbrechen der Beschränkungen der Nutzung der Nukleartechnologie für den militärischen Weg und der Entwicklung der Atombombe macht uns alle tief betroffen. Wir können uns nur wünschen, dass es in dieser Frage zu einer Entwicklung kommt, bei der die Welt insgesamt und vor allem auch die großen Nuklearmächte dafür Sorge tragen, dass es zu keiner Weiterverbreitung kommt.
Das würde zweifellos leichter umzusetzen sein, würde eine entsprechende nukleare Abrüstung hinter diesen Bemühungen stehen. Zu Recht verweisen viele darauf, dass das Monopol auf Nuklearwaffen nicht ohne weiteres in der Weltöffentlichkeit gerechtfertigt werden kann. Die Sicherheitslage wird allerdings nicht besser, je mehr Regime über atomare Bewaffnung verfügen. Denn dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass verrückte und völlig fehl geleitete Staatsmänner auf jenen Knopf drücken, der ein Bombardierung mit nukleare Waffen auslöst. Das kann uns eigentlich nur Angst und Schrecken einjagen.

Brüssel, 13.10.2006