Kosovo am richtigen Weg?

Was die Menschen hier am dringendsten benötigen, ist Hilfe bei der Bewältigung ihrer Alltagsprobleme.
Noch immer wird die Frage diskutiert, ob die Anerkennung der Selbstständigkeit des Kosovo eine richtige Entscheidung z.B. Österreichs gewesen ist. Nach wie vor bin ich überzeugt, dass kein besserer Weg beschritten werden konnte. Jetzt aber geht es darum, den Menschen im Kosovo zu helfen, eine multiethnische Gesellschaft mit gegenseitigem Respekt, mit Toleranz und Solidarität aufzubauen und die Gräben der Vergangenheit hinter sich zu lassen.

Großes Verantwortungsbewußtsein

Dieser „teilnehmenden Beobachtung“ der aktuellen Entwicklung, aber auch der kritischen Durchleuchtung der Handlungen der EU im Kosovo diente unser jüngster Besuch in der Region. Fünf Vertreter des EU-Parlaments fuhren Donnerstag über Wien nach Pristina und flogen Samstagnachmittags wieder über Wien zurück in ihre Heimatorte. Im Mittelpunkt unseres Besuches standen die Gespräche mit kosovarischen Poltitikern und mit den Vertretern der EU und der UNO, der KAFOR, also der Militärs im Auftrag der UNO, etc. Vom Präsidenten des Landes über dem Ministerpräsidenten bis zu einzelen Ministern und Abgeordneten der albanischen Mehrheit zeigte man großes Verantwortungsbewusstsein.
Aus meiner Sicht besteht der feste Wille, die verschiedenen Minderheiten in das Land zu integrieren. Allerdings glaube ich nicht, dass alle wissen, was dabei zu tun ist und insbesondere wie man die Herzen der Serben gewinnen kann. Dabei sind allerdings „Belgrad“ und vor allem die Rechten der Radikalen und von Premierminister Kostunica nicht hilfreich, im Gegenteil: Sie betreiben eine katatsrophale Politik, die vor allem der serbischen Bevölkerung schadet. Anstatt die Rückkehr möglichst vieler Serben zu betreiben, motivieren sie die Serben de facto zur Abwanderung. Vor allem betreiben sie die Abspaltung des Nordens, was die vielen Serben im Süden des Landes – und das ist die Mehrheit – noch mehr in die Minderheit bringt.

Auf das Wesentliche konzentrieren

Aber nicht nur die Serben sind eine Minderheit, wobei sie in einer besonderen Situation sind, waren sie doch im Kosovo, das zu Serbien gehörte, Vertreter der Mehrheit und sind nun in einer extremen Minderheit. Es gibt noch eine Reihe anderer Minderheiten, so die Bosnier und die Gorani, die Roma, Ashkali und Ägypter, also verschiedene Roma-Gruppierungen und eine türkisch sprechende Minderheit. Es ist ein sehr buntes Bild, das sich hier auftut. Hand in Hand damit werden unzählige Debatten über die Anerkennung der jeweiligen Sprachen, ihrer Verwendung in den Schulen bzw. auf den Universitäten, auf Ämtern, etc. geführt. Und das alles in einem Land, das das ärmste Europas ist und ungeheuer viele wirtschaftliche und soziale Aufgaben zu bewältigen hat.
Eine dieser Aufgaben ist die Überwindung der Energieknappheit. Leider scheint man im Kosovo kein umfassendes und dezentrales Energieversorgungskonzept zu haben. Ein Riesenkraftwerk mit 2100 Megawatt soll auf der Basis von Braunkohle gebaut werden. Es benötigt einen ungeheuren Wasserverbrauch zur Kühlung, ohne dass gesichert ist, dass die entsprechenden Wassermengen für das Kraftwerk vorhanden sind. Man will die neuesten Technologien verwenden, um kein CO2 auszustossen, obwohl die Technologien dafür nicht ausgereift sind. Bedauerlich ist, dass vor allem die USA dieses Projekt favorisieren. Die EU sollte darauf drängen, dass ein vernünftigeres, flexibleres Konzept verwirklicht wird.

Bei der KAFOR-Truppe

Am Abend des ersten Tages haben wir ein sehr interessantes Gespräch mit dem Minister für Dezentralisierung geführt. Diese ist für die Serben besonders wichtig, würden sie durch sie in vielen Heimatgemeinden ein stärkeres Mitspracherecht bekommen. Unser Eindruck nach dem ausführlichen Gespräch war äußerst positiv. Ich hoffe, der Minister handelt in der Praxis dermassen überlegt und verantwortungsvoll wie er sich uns gegenüber ausdrückte.
Am zweiten Tag unseres Aufenthaltes trafen mit internationalen Vertretern zusammen. Im Mittelpunkt sdtand aber vor allem unser Besuch im Hauptquartier der von der NATO geführten Militärtruppe KAFOR. Auch 700 Österreicher machen bei der KAFOR-Truppe mit. Wie mir der stellvertretende Kommandant, ein deutscher Offizier berichtete, funktionert die Zusammenarbeit mit den Österreichern sehr gut.

Tiefe Betroffenheit

Danach besuchten wir ein „serbisches“ Dorf in der Nähe von Pristina. Dort sprachen wir zuerst mit vielen SchülerInnen, die auf den Schulbus warteten, um – mit miltärischer Begleitung – in die Schule zu fahren. Nach kurzen Gesprächen mit einigen unglaublich nationalistisch orientierten Serben kam eine Frau auf uns zu, die uns ihr Leid geschildert hat. Sie stammt aus dem nur wenige Kilometer entfernten Nachbardorf, in dem sie allerdings seit ihrer Vertreibung vor neun Jahren nicht mehr gewesen ist. Sie erzählte uns, dass sie ohnedies auf ihr Eigentum, das Haus und die Felder, verzichtet. Sie wolle wenigstens die Gräber ihrer Eltern und ihres Bruders besuchen, aber traue sich nicht. Wir luden die Frau kurzer Hand ein und fuhren mit dem Auto ins Nachbardorf, das durch die albanische Flagge geschmückt war, obwohl es ja in der Zwischenzeit eine neutrale, offizielle Kosovo-Flagge gibt.
Alle Gräber waren zum Teil bis zur Unkenntnis zerstört. Man konnte eigentlich nicht mehr von einem Friedhof sprechen. Auch sämtliche Häuser der Serben waren zerstört, und von der orthodoxen Kirche war praktisch nichts mehr zu sehen. Wir waren alle tief betroffen. Besonders berührt hat uns die Aussage der Frau, dass sie niemandem die Schuld geben möchte – es läge an den damaligen Umstände. Sie berichtete aber in aller Offenheit, dass die Zersörung des friedlichen Zusammenlebens mit einer Aktion der jugoslawischen Volksarmee begonnen hat. Diese tötete mehrere Albaner aus ihrem Dorf. Darauf reagierten diese mit der Vertreibung der Serben und der Zerstörung ihrer Häuser, der Kirche, des Friedhofs, etc. Das geschah vor neun Jahren und seither wurde nichts unternommen, um wieder zusammenzukommen. Jedenfalls wurde den Serben nicht geholfen, wenigstens einigermassen wieder zu ihrem Recht zu kommen bzw. den Friedhof wieder herzurichten und Besuche durch die Hinterbliebenen zu organisisieren.

Menschen bei Alltagsproblemen unterstützen

Anschliessend besprachen wir diese Situation mit dem serbischen Ortsvorsteher, einem serbischen, mangels Wahlbeteiligung allerdings ernannten Abgeordneten und dem kosovarischen Arbeitsminister, der ebenfalls Serbe ist. Sie berichteten von mangelnder Unterstützung durch die albanische Mehrheit und der Gemeindeverwaltung, durch das Parlament oder die Regierung. Jetzt bekommen sie wenigsten durch die neue EU-Vertretung, mit der sie in gutem Kontakt stehen, Unterstützung. Was sie vor allem brauchen, ist jedoch Hilfe zur Entwicklung der Landwirtschaft. Kosovo hat einen sehr fruchtbaren Boden, führt allerdings einen Großteil der Nahrungsmittel ein. Genau hier muss die EU ansetzen.
Keine wirkliche Hilfe erfahren sie von „Belgrad“. Wie überall in Europa und der Welt heizen die Nationalisten die Stimmung an, aber sie helfen den Menschen nicht bei der Bewältigung ihrer Alltagsprobleme. Genau das aber benötigen die Menschen am dringendsten. Je mehr ihnen dabei geholfen wird, desto eher bleiben sie im Lande bzw. desto eher kehren die Flüchtlinge zurück und geben damit der nun in die Minderrheit geratenen Bevölkerung Unterstützung. Serbien und Russland sollten sich mehr daran orientieren, wie man die Lage der Serben verbessern kann und sollten die UNO ermächtigen, der EU zu erlauben, genau dieses Ziel aktiv zu verfolgen.

Pristina, 19.4.2008