Kultur als Seele Europas

Ich kann mir Europapolitik ohne eine kulturpolitische Dimension nicht vorstellen.
Anlässlich einer Podiumsdiskussion am 4. März in Wien, veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Kulturpolitik und der Deutschen Kulturpolitischen Gesellschaft, diskutierten wir mit dem neuen Kulturkommissar Jan Figel die zukünftigen Schwerpunkte in der europäischen Kulturpolitik.

Politik braucht kulturelle Dimension

Für mich war und ist die kulturelle Dimension der Politik äußerst wichtig, auch wenn ich nie im engeren Sinne kulturpolitisch tätig war. Aber ob als Stadtrat oder jetzt als EU-Abgeordneter: Die Kultur bleibt für mich ein wesentlicher Bestandteil des politischen Geschehens.
So ist für mich auch, wenn Kulturpolitik nationale Kompetenz bleibt, Europapolitik ohne eine kulturpolitische Dimension nicht vorstellbar. Das sieht auch die neue EU-Verfassung vor. Schon der Leitspruch der Verfassung „In Vielfalt geeint“ erinnert daran. Und gemäß Artikel III – 280 ist die Union verpflichtet, „einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedsstaaten“ zu leisten, bei „gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes“. Man hätte natürlich hinzufügen können, ja müssen: „und zur Förderung des kulturellen Dialoges innerhalb der Union und mit Drittstaaten insbesondere in der Nachbarschaft der Union“. In diesem Sinne bin ich sehr froh, dass Kommissar Figel bei unserer Diskussion angeregt hat, im Jahr 2008 ein „Jahr des interkulturellen Dialoges“ auszurufen. Ich hoffe, er kann auch die Mitliedsstaaten davon überzeugen.

Europa zum schöpferischen Kontinent machen

Für mich ist die kulturelle Dimension unseres gesellschaftlichen Lebens allerdings nicht nur ein Wert an sich, sondern sollte dazu beitragen, insgesamt aus Europa einen „schöpferischen Kontinent“ zu machen. Gerade im Zusammenhang mit dem Lissabon-Ziel der verstärkten Wettbewerbsfähigkeit durch die Förderung des Wachstums darf die kulturelle Seite nicht vergessen werden.
Heute ist mir auch in der jüngsten Ausgabe der „Zeit“ ein Artikel des früheren Kulturministers von Deutschland, den ich aus der Zeit meiner Tätigkeit für die Neugestaltung der historischen Mitte Berlins kenne, aufgefallen.

Geistige Perspektive fehlt

Nida Rümelin, der wieder als Ordinarius für politische Theorie und Philosophie in München tätig ist, meint darin, dass Deutschland gerade auch in Hinblick auf die wirtschaftlichen Ziele wieder eine Kulturnation werden muss. Im Zusammenhang mit den Reformdiskussionen nach der Veröffentlichung der Pisa-Studie sagt er: „Was fehlt, ist eine geistige Perspektive, der es nicht um Organisationsformen, sondern um die Erneuerung dessen geht, was man als humanistische Substanz unseres Bildungswesens bezeichnet.“
Und, so Rümelin, wenn man dabei „am wenigsten an den unmittelbaren ökonomischen Nutzen denkt, wird dieser am größten sein. Bildung darf nicht lediglich der Ausbildung dienen, nein paradoxerweise ist Bildung spätestens heute zur besten Ausbildung geworden“. Nun mag dies etwas überspitzt sein, aber ich glaube fest daran, dass schöpferische Kraft und Kreativität gesellschaftlich unteilbar sind und die Kulturpolitik wesentlich zur Kreativität in der Gesellschaft und damit auch in Wissenschaft und Forschung und folglich in der Wirtschaft beitragen kann.

„Soft power“ kulturelle Vielfalt

Europa steht heute aber auch in einem vielfachen globalen Wettbewerb. Und dabei geht es auch um unsere Möglichkeit und Kraft, die globalen Verhältnisse zu beeinflussen. Nach sehr kritischen Stimmen dazu gibt es auch einige optimistische, europafreundliche Äußerungen. So schrieb unlängst Mark Leonard ein Buch mit dem Titel „Why Europe will run the 21st Century“. Seine These ist, dass Europa durch die Anwendung seiner jüngst erworbenen Fähigkeiten des Verhandelns und Konsenserzielens und des sanften Druckes die globalen Verhältnisse erfolgreicher beeinflussen wird als die USA mit ihrem großen Militärpotential und der Anwendung von „roher“ Gewalt.
Zu dieser „soft power“ Europas gehört aber sicherlich auch die Anerkennung und Förderung der kulturellen Vielfalt, des interkulturellen und interreligiösen Dialoges, etc. Und dies sollte meiner Meinung nach auch in der Außen- und Entwicklungspolitik verstärkt zum Ausdruck kommen. So sollte unsere Entwicklungspolitik auch das „fremde“ kulturelle Erbe bewahren und im eigenen, aber auch im Interesse unserer Partner sollte nicht alles dem Markt geopfert, sondern eine nachhaltige Entwicklung unter Beachtung der kulturellen Dimension betrieben werden.

Reflektierter Kosmopolitismus

Es geht also nicht um einen ohnedies aussichtslosen Kampf gegen die Globalisierung, sondern um einen „reflektierten Kosmopolitismus“, wie dies Tyler Cowen in seinem Buch „Weltmarkt der Kulturen“ über „Gewinne und Verluste durch Globalisierung“ ausgedrückt hat: „Eine kosmopolitische Kultur führt zu den besten Ergebnissen, wenn der Kosmopolismus das gesellschaftliche Bewusstsein nicht vollständig beherrscht.“
Das europäische Gesellschaftsmodell, das wir unter großen Schmerzen errungen haben und das auch bei uns noch nicht abgesichert ist, muss also mit Sensibilität und Respekt auch vor anderen Kulturen und Gesellschaften weiter vermittelt werden.
Wien, 5.3.2005