Lechts und rinks

Wir dürfen den 11. September nicht als Anlass dafür akzeptieren, dass die Rechte ihre Hegemonie, die sie in einem Teil der Gesellschaft hat, noch verstärkt. 
Es gibt ein bekanntes Gedicht von Ernst Jandl: „Lechts und rinks“. Jandl wollte darin zum Ausdruck bringen, dass sich rechts und links immer mehr vermischen und man die Dinge nicht mehr so genau unterscheiden kann.

Klarere Fronten

Ich glaube, dass gerade nach dem 11. September einiges wieder klarer geworden ist. Es gibt absolut nichts, das die Attentate vom 11. September rechtfertigen oder entschuldigen könnte. Und es gibt auch einen Konsens darüber, dass dieser Terrorismus bekämpft werden muss. Wie in vielen anderen Fragen gibt es aber durchaus Dissens zwischen rechts und links, wobei die Rechte zum Teil von reaktionären Ideologien und vom Ultraliberalismus geprägt ist, die Linke jedenfalls nicht von einem primitiven Antiamerikanismus. Die Linke etwa weiss: Der Terrorismus, der nicht zu entschuldigen ist, hat vielfältige Ursachen. Er hat politische, wirtschaftliche und soziale Nährböden, die nur immer wieder neue Namen tragen.

Eine andere Welt

Die Rechte sagt: Wir leben seit dem 11. September in einer anderen Welt. Sie ist weniger frei, weniger offen, sie muss stärker kontrolliert sein. Die Linke muss sagen: Hoffentlich leben wir in einer anderen Welt. Wir müssen auch in einer anderen Welt leben, aber es muss eine Welt der sozialen Marktwirtschaft sein, mit positivem, internationalem Engagement für die Schwächeren und Ärmeren.
Die Rechte sagt: Wir sind jetzt alle Amerikaner. Die Linke sagt: Wir sind Europäer und Freunde, Partner der Amerikaner. Aber wir haben andere Vorstellungen von der Welt. Wir wollen die Führerschaft einer einzelnen Nation, zum Beispiel von Amerika, nicht anerkennen. Wir wollen auch keine eigene Führerrolle auf Kosten anderer spielen. Gerade wo wir ja den Terrorismus bekämpfen wollen, muss uns klar sein, was wir als Europäer wollen. In einer Partnerschaft, aber nicht als Anhängsel der Amerikaner.

Neue Wege gehen

Die Rechte sagt: Es ist die Stunde der NATO-Erweiterung, denn es ist die Stunde der militärischen Aktionen. Die Linke muss sagen: Wir müssen andere, globalere Wege finden, um den Terror zu bekämpfen und Frieden herzustellen. Und vor allem die Vereinten Nationen, als wirklich weltumspannende Organisation, müssen hierbei eine besondere Rolle spielen.
Die Rechte sagt: Menschenrechte sind angesichts des Terrors, des Bündnisses gegen den Terror nicht mehr so wichtig. Wir müssen uns alle auf dieses Bündnis einschwören. Die Linke muss sagen: Ein Bündnis gegen den Terror ist wichtig. Wir müssen allen eine Chance geben, daran teilzunehmen. Aber die Menschenrechte und die Sorge um die Menschenrechte müssen ebenso wichtig bleiben und wir müssen diesen Weg jedenfalls parallel gehen.

Keine neuen Kreuzzüge

Die Rechte sagt: Jetzt hat sich erwiesen, dass unsere Kultur wertvoll ist. Sie ist den anderen Kulturen überlegen. Die Linke sagt: Wir haben in unseren eigenen Kulturen lange um viele unverzichtbare Grundrechte gekämpft. Errungenschaften, die wir durchgesetzt haben, wie vor allem die Emanzipation der Frau, wollen wir nicht aufgeben. Aber es geht jetzt nicht darum, neue Kreuzzüge gegen andere Kulturen und neue Religionen zu führen, denn Kreuzzüge haben wir genug gesehen. Wir brauchen einen Dialog, einen kritischen Dialog, einen Dialog aus der Festigkeit, unseren Anschauungen heraus und einen Dialog, in dem wir auch die anderen und ihre Werte verstehen und mit ihnen diskutieren können, einen Dialog, in dem wir von guten Willen getragen sind.

Diskriminierung schafft neue Diskriminierung

Die Rechte schliesslich meint: Wir brauchen keine Grund- und Freiheitsrechte, da müssen wir jetzt zurückstecken. Die Linke meint: Ein erfolgreicher Kampf gegen den Terrorismus ist nur bei voller Aufrechterhaltung der Grund- und Freiheitskämpfe möglich. Und vor allem kann er nicht geführt werden, indem man versucht, die Grund- und Freiheitsrechte oder das Recht auf Asyl einzuschränken. Die Diskriminierung von Menschen, die aus arabischen oder moslemischen Ländern kommen, ist keine Grundlage für den erfolgreichen Kampf gegen den Terrorismus, sondern eine Grundlage für neue Diskriminierung, neue Ungerechtigkeiten, neue Spaltungen und damit die Grundlage für weiteren Terrorismus.

Stopp für rechts

Und so meine ich, dass wir durchaus zwischen rechts und links unterscheiden müssen. Wir dürfen den 11. September nicht als Anlass akzeptieren, dass die Rechte ihre Hegemonie, die sie in einem Teil der Gesellschaft ohnedies hat, noch verstärkt. Dass sie uns einen scheinbaren Konsens aufzwingt, als die einzig mögliche Form gegen den Terrorismus zu kämpfen. Und dass sie schließlich eine gesellschaftliche und ideologische Struktur herstellt, die Errungenschaften zurückschraubt, die Gesellschaft spaltet und nicht aus der Geschichte lernt, sondern die Fehler der Geschichte blind wiederholt.  
Wien, 15.10.2001