Mit- statt gegeneinander

Unsere Aufgabe, eine multikulturelle Gesellschaft der Toleranz und Akzeptanz zu ermöglichen, ist keineswegs erfüllt. 
Die Situation in Mazedonien war auch in den letzten beiden Wochen sehr angespannt. Die UCK oder mit der UCK verwandten sympathisierenden Rebellen haben immer wieder Attentate durchgeführt und die mazedonische Armee hat gegen den Versuch, die Stadt Tetova im Nordwesten des Landes zu besetzen, Gegenschritte gesetzt.

Politische statt militärischer Lösung in Mazedonien

Dennoch geht die Debatte über politische Lösungen weiter. Beim Gipfel von Stockholm war auch der mazedonische Präsident, Boris Trajkovski, eingeladen. Er nahm sowohl die Unterstützung der Europäischen Union mit nach Hause als auch die Forderungen, nach einer politischen Lösung zu suchen und sich weiter militärisch zurückzuhalten.
Ähnlich argumentierte ich selbst im Außenpolitischen Ausschuss des Europaparlaments, wo ich als Berichterstatter über das ausverhandelte Assoizierungs- und Stabilisierungsabkommen berichtet habe. Um Mazedonien eine klare und eindeutige Unterstützung zu geben, habe ich ausserdem vorgeschlagen, über das Abkommen bereits unmittelbar nach der ersten Debatte abzustimmen. Dieser Vorschlag wurde angenommen und vom überwiegenden Teil der Abgeordneten auch sofort gut geheißen.

Albaner dürfen nicht übergangen werden

Allerdings habe ich auch gemeint, dass es bei aller Unterstützung für die Regierung, die sicherlich viel geleistet hat, um die Minderheitenrechte auszubauen, notwendig ist sich zu überlegen, ob nicht ein neues Verhältnis zwischen der albanischen und der slawisch-mazedonischen Bevölkerungsgruppe gefunden werden muss.
Die albanische Bevölkerung ist mit ca. 25-30 Prozent keine wirkliche Minderheit, und die etwa 70 Prozent Mazedonier können nicht als Mehrheit die Lage der grössten Minderheit bestimmen. Vielmehr müssen beide Bevölkerungsgruppen zusammen eine entsprechende gemeinsame Politik betreiben, zumindest was die Position der verschiedenen Bevölkerungsgruppen bei der Verwendung der Sprache, der kulturelle Entwicklung etc. betrifft.
Aus meiner Sicht ist ein idealer Zugang eher einer, der sich auf die Menschenrechte konzentriert und jedem Einzelnen entsprechende Rechte zuerkennt – unabhängig von seiner ethnischen Herkunft und Zuerkennung. De facto bildet sich die Persönlichkeit eines Menschen aber sehr oft nicht nur auf Grund seiner individuellen Rechte und seiner nationalen Zugehörigkeit, sondern auch seiner ethnischen Zugehörigkeit.
Die Betonung der ethnischen Zugehörigkeit ist ein unheimlich gefährlicher und sprengender Faktor, insbesondere auf dem Balkan. Aber es ist eine Tatsache, dass sich viele Menschen – nicht zuletzt auf Grund der ethnischen Zugehörigkeit, was immer das im Einzelfall bedeutet – miteinander identifizieren. Mit einem Verleugnen wird es also nicht gehen. Ein Konzept, das noch vor ein, zwei oder drei Jahrhunderten anwendbar war, nämlich die Nation eindeutig vor alle anderen Identifikationsmerkmale zu stellen und aus dem Bekenntnis zur Nation eine Unterordnung, ein Zurückdrängen und ein Verbieten ethnischer Besonderheiten abzuleiten, wird heute kaum mehr möglich sein.

Überholtes Nationalbewusstsein

Diese Ideen lagen etwa dem Konzept der französischen Nation zu Grunde. Etwas derartiges bringt heute grosse Probleme mit sich, weil es zu einem verstärkten Nationalbewusstsein führt. Und eben dieses starke Nationalbewusstsein in einer europäischen Gemeinschaftskonstruktion aufgehen zu lassen und zum Teil aufzulösen, ist sehr schwierig. Diese Konstruktion stösst schon in der Türkei auf enorme Schwierigkeiten – dort, wo es um die kurdische Bevölkerung geht. Und diese Konstruktion der einheitlichen Nationenbildung ist natürlich auch auf dem Balkan äußerst umstritten, ebenso wie etwa auch im Baskenland.
Einen gesunden Weg zwischen der starken Betonung und Priorität für die individuellen Menschenrechte einerseits und dem Respekt und der Anerkennung ethnischer Zugehörigkeit andererseits zu finden, ist eine der delikatesten europäischen Aufgaben. Wir brauchen in dieser Frage Augenmaß und Fingerspitzengefühl, um neue Konflikte und letztendlich kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern.

Integration statt Vorurteile

Diese Problematik stellt sich natürlich auch zum Teil jenen Bevölkerungsgruppen, die zugewandert sind. Solchen Bevölkerungsgruppen, die über viele Jahrhunderte – von sich aus und zum Teil gezwungenermaßen – jenseits der Nationenbindung quer über viele Länder verstreut leben. Gerade verschiedene Diskussionen in Österreich während des Wiener Wahlkampfs haben deutlich gemacht, dass die Multikulturalität in unseren Ländern, sicherlich vor allem in einer Großstadt wie Wien, zu Auseinandersetzungen führt – insbesondere dann, wenn Vorurteile geschürt werden.
Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie man mit Menschen, die aus der Türkei oder dem früheren Jugoslawien zugewandert sind, umgeht und wie und wieweit man ihnen einen ethnisch begründeten Status zuerkennt. Auch der Respekt der Religion und ethnischer sowie kultureller Besonderheiten ist eine zentrale Frage. Für mich besteht allerdings kein Zweifel, dass die von Haider geäusserten Worte über den Präsidenten der israelitischen Kultusgemeinde von Antisemitismus getragen sind und Antisemitismus schüren sollen. Das spielt sich jenseits der Grenze einer möglichen Diskussion oder Akzeptanz ab.

Streitfrage Religion

Anders ist es natürlich mit der Frage, inwieweit Religion Toleranz zuerkannt werden kann, wenn sie im Widerspruch zur staatlichen Ordnung steht – etwa wenn es um die Frage der Akzeptanz des Kopftuchtragens oder des Nichtbeherrschens der deutschen Sprache geht. Ich vertrete hier einen eher toleranteren Standpunkt, weil ich meine, dass sich gewisse Dinge im Laufe der Zeit von selbst erledigen werden. Ich bin aber dann nicht mehr tolerant, wenn gesellschaftliche Werte verletzt werden, die wir uns im Laufe der Zeit schwer erkämpft haben.
So bin ich etwa in Gesprächen mit türkischen Vertretern selbst darauf aufmerksam gemacht worden, dass wir nicht so naiv sein sollten, die Tätigkeit arabischer mohammedanischer Geistlicher in Österreich zu unterschätzen – vor allem, was deren fundamentalistische Ausrichtung betrifft. Da ich ein Gegner jeglicher fundamentalistischer Weltanschauung bin, nehme ich diese Warnung durchaus ernst. Es muss ja nicht gleich zu solchen ungeheuerlichen, unmenschlichen und antikulturellen Aktivitäten wie bei den Talibanen in Afghanistan kommen, die nach der massiven Diskriminierung vor allem von Frauen nun auch daran gegangen sind, Statuen des Weltkulturerbes zu zerstören.
Auch eine schleichende Fundamentalisierung der islamischen Bevölkerung kann für das Zusammenleben in Österreich problematisch werden, wobei ich betonen möchte, dass es ja nicht nur darum geht, den islamischen Fundamentalismus zu kritisieren. Es gilt natürlich genauso, unseren katholischen Fundamentalismus in Frage zu stellen, der derzeit zwar etwas ruhiger geworden ist, der aber aus meiner Sicht ebenfalls für das friedliche Zusammenleben in Österreich problematisch ist.

Absage an Haider-Mechanismen

Abgesehen von diesen Fragen sind die Wahlen in Wien so ausgegangen, dass sie ein wirklicher Anlass zur Freude waren. Die Freude war dabei nicht nur auf Seiten der Sozialdemokraten, die in Wien die absolute Mehrheit im Gemeinderat erringen konnten. Auch für viele andere bürgerliche Kreise, denen der permanente Aufstieg der FPÖ bei verschiedenen Wahlen im vergangenen Jahrzehnt ein Greuel war, war das Ergebnis durchaus positiv.
Die Versuche Haiders, nicht nur erneut die Ausländerfrage zu schüren, sondern auch Antisemitismus als Wahlkampfmittel einzusetzen, sind unmissverständlich gescheitert. Inwieweit sie zusätzliche Wähler für die SPÖ und zum Teil für die Grünen gebracht haben, kann ich nicht beurteilen. Aber sie haben auf jeden Fall Haider nicht geholfen, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Und das allein ist ein positives Zeichen in der jedenfalls in Wien stattfindenden Auseinandersetzung zwischen einer modernen, liberalen und fortschrittlichen Auffassung des Zusammenlebens von Menschen und Haiders Auffassung, die aus dem Schüren von Hass politische Gewinn ziehen möchte.

Ein erster Schritt

Unsere Aufgabe, eine multikulturelle Gesellschaft der Toleranz und der Akzeptanz, die die Menschen zusammenführt und ethnische und religiöse Grenzen überschreitet, zu ermöglichen, ist keineswegs erfüllt. Die Tatsache, dass es etliche Mitglieder im Gemeinderat und in den Bezirksvertretungen gibt, deren Herkunft aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen anderer Länder resultiert, die türkischer oder arabischer Abstammung sind, ist aber ein gutes Zeichen. Sie ergibt die Möglichkeit, eine Politik zu definieren und zu betreiben, die auch Frauen, Männer und Kinder anderer Religionen und Kulturen in unserer Heimat Platz bieten kann. Und das ist der Garant dafür, dass unsere Heimat nicht eine Heimat der Mehrheit, sondern auch der Minderheiten ist. 
Wien, 26.3.2001