Miteinander statt gegeneinander

Die einzig richtige Variante in der Kosovo-Frage wäre aus meiner Sicht eine schrittweise Lösung , was voraussetzt, dass die Serben und die Kosovoalbaner bereit sind, von ihren Extremstandpunkten abzugehen.
In den vergangenen zwei Wochen hat uns und insbesondere mich persönlich einmal mehr die Region Süd-Osteuropa stärker beschäftigt. Das ist in erster Linie auf meine offiziellen Funktionen als stellvertretender Vorsitzender der Süd-Osteuropa-Delegation, als Vorsitzender der Balkan-Arbeitsgruppe im Rahmen des Außenpolitischen Ausschusses des Europäischen Parlaments und als Fraktionssprecher in diesen Belangen zurückzuführen.

Lösung ist nur gemeinsam möglich

In Straßburg besuchte uns der stellvertretende serbische Ministerpräsident Bozidar Djelic. Er ist ein junger und sehr dynamischer Politiker. Er zeigte sich nicht nur in seiner Muttersprache, sondern auch im Englischen und Französischen äußerst wortgewandt. Djelic versuchte uns zu überzeugen, dass wir an Serbien glauben und den serbischen Standpunkt in der Kosovo-Frage verstehen sollten. Es war angenehm, einmal einen serbischen Politiker zu erleben, der sich nicht auf die üblichen Schlagworte beschränkt, sondern Überzeugungsarbeit zu leisten versucht und seine Position in einer Form vorträgt, die auch eine Diskussion zulässt und mehr als eine rein nationalistisch engstirnige Haltung zum Ausdruck bringt.
Trotzdem, einiges bleibt offen. Ich gehe davon aus, dass wir noch weit mehr Kompromisse brauchen werden, wenn es überhaupt zu einer Lösung zwischen den Kosovo-Albanern und den Serben im Kosovo bzw. Serbien kommen soll. In unserer Fraktionssitzung habe ich klar festgehalten, dass es drei Verantwortliche gibt: die Serben, die Kosovo-Albaner und die Europäische Union. Nur diese Drei gemeinsam können Schritt für Schritt eine Lösung des komplexen Problems herbeiführen.

Staatenunion Serbien-Kosovo

Ich verstehe die Ungeduld der Kosovo-Albaner und kann nachvollziehen, dass sie endlich „Herr im eigenen Haus“ sein wollen. Aber sie müssen akzeptieren, dass eine Loslösung von Serbien nicht automatisch eine breite Zustimmung in Europa und darüber hinaus finden kann. Was würde eine Unabhängigkeit tatsächlich bedeuten, selbst wenn sie von den USA und einigen europäischen Ländern anerkannt werden würde, wenn Russland den Zugang zu den Vereinten Nationen und einige europäische Mitgliedsländer den Zugang zur Europäischen Union blockieren würden? Unabhängig davon müssen wir nach einer legalen Grundlage unserer militärischen, aber auch zivilen Präsenz im Kosovo suchen. Solange die Resolution 244 Gültigkeit hat, ist der Kosovo rechtlich gesehen ein Bestandteil Serbiens.
Derartige Fragen können ganz einfach nicht mit Ja oder Nein beantwortet werden, sondern müssen – wenn sie überhaupt gelöst werden können – in einem langsamen und konsensualen Prozess gelöst werden. Es wäre vorstellbar, dass es zu einer Art Staatenunion zwischen Serbien und dem Kosovo kommt. Diese könnte gemeinsame Lösungen ausarbeiten und gemeinsam an die Europäische Union herantreten. Und wir sollten präsent sein, unabhängig davon, ob der Kosovo ein unabhängiger Staat wird bzw. sich als unabhängig erklärt, jedoch die Begrenzung seiner Souveränität recht deutlich wird.

Jede Grenzziehung ist künstlich

Es kann Änderungen der Grenzen geben, allerdings nicht ohne einen entsprechenden Konsens. Und niemand sollte eine Region oder ein Volk zwingen, innerhalb der eigenen Staatsgrenzen zu bleiben, wenn der feste Wille besteht, sich abzutrennen, weil dieses Volk keine gemeinsame Grundlage für einen gemeinsamen Staat sieht. Es gilt aber zu bedenken, dass auch die Serben in Nord-Mitrovica ähnlich denken und sich ähnlich verhalten können.
Jede Grenzziehung in diesen gemischten, ethnisch durchwachsenen Regionen wie jene des Balkans ist eine künstliche. Sie kann gar nicht ethnisch rein gezogen werden, denn das würde letztendlich einer ethnischen Säuberung gleichkommen. Daher bin ich der festen Überzeugung, dass die einzig richtige Variante eine schrittweise Lösung wäre, was voraussetzt, dass die Serben und die Kosovoalbaner bereit sind, von ihren Extremstandpunkten abzugehen und eine Lösung zu suchen, die vielleicht jenseits der bisher gedachten Wege zu finden ist.

Unvollständiger Ahtisaariplan

Der Ahtisaariplan, den Martti Ahtisaari und Albert Rohan ausgearbeitet haben, ist aus meiner Sicht unvollständig, weil er genau diese zusätzlichen Wege nicht auslotet und zu wenig bedenkt, dass die Unabhängigkeit weder in der Region selbst zu Lösungen führt noch genügend Rücksicht auf Situationen in anderen Regionen, die von ähnlichen Abspaltungstendenzen bedroht sind, nimmt.
Ein Grundproblem ist die Frage der ethnischen Zugehörigkeit und des Versuches von ethnischen Mehr- oder Minderheiten (was letztendlich relativ ist, sind doch Kosovoalbaner im Kosovo eine Mehrheit und in Serbien eine Minderheit), sich abzutrennen und ein Selbstbestimmungsrecht für sich zu verlangen. Ein Selbstbestimmungsrecht, das auf anderes Recht stößt, nämlich auf jenes der Unverletzbarkeit der Grenzen. Auch das zeigt, dass es nur auf dem Weg des Kompromisses gelingt, diese beiden Prinzipien zu verwirklichen bzw. beide Prinzipien aufzuweichen und zu verbinden.

Ethnische Parteien

Auch in Cavtat, einem wunderschönen Ort nahe vor Dubrovnik am Meer gelegen, in dem man eher verleitet ist, am felsigen Strand zu liegen oder einen Spatziergang an der frischen Luft zu machen, wurden diese Themen im Rahmen einer Konferenz mit Parlamentariern aus der Region ausführlich diskutiert. Es ging dabei darum, Wege zu finden, die Kompromissfähigkeit im Einzelnen umzusetzen und nicht nur prinzipiell zu bejahen. Unter anderem wurde dies am Breispiel Kosovo erörtert.
Ich habe dabei die generelle Frage gestellt, ob ethnische Parteien wie in Mazedonien, aber auch in der Slowakei, überhaupt vernünftige Elemente einer Demokratie sind. Schaffen diese Gruppierungen nicht eher zusätzlich Probleme, weil es nicht um eine offene Diskussion von Armut, Wirtschaftswachstum oder Arbeitsplatzbeschaffung geht, sondern die Situation von vornherein in unterschiedliche ethnische Gruppen gespaltet wird, in Ungarn und Slowaken in der Slowakei, in Albaner und Nicht-Albaner in Mazedonien? Was machen Länder, in denen es gemischte Strukturen gibt?

Konsens ist gefragt

Auch in Österreich ist das vielfach so. Meine Mutter beispielsweise wurde in Ungarn geboren, mein Großvater in Böhmen und ich selbst in Österreich. Und ich fühle mich auch voll als Österreicher, wenngleich ich auch meine anderen Wurzeln sehr schätze. Aber das bestimmt nicht mein Leben. Mein Leben bestimmt meine politische Anschauung und nicht meine ethnische Herkunft.
Das ist allerdings in bestimmten Regionen anders, vor allem dort, wo die ethnische Organisation im Vordergrund steht. Bei all der Kritik an der Existenz der ethnisch strukturierten Partei kann man allerdings nicht verlangen, dass diese aufgelöst werden. Man muss stattdessen versuchen, in einer vernünftigen Form miteinander umzugehen und einen Konsens zu finden, vor allem, solange das Kosovoproblem nach wie vor offen ist.

Problemmanagement

Es bestehen Ängste, dass in den verschiedenen Nachbarländern des Kosovo, in Mazedonien, in Serbien betreffend die Vojvodina und in Bosnien-Herzegowina betreffend die Republika Srpska, neue Absetzbewegungen entstehen können. Ich glaube nicht, dass diese Absetzbewegungen große Kraft bekommen werden. Dennoch kann es zu Unruhen, Divergenzen und Rückschlägen in der Staatenbildung kommen, wenn das Kosovoproblem simpel, einseitig und im Konflikt „gelöst“ wird.
Ich bin mir sicher: Auch eine Konsenslösung auf der politischen Ebene führt zu einer Reihe von Schwierigkeiten, da sollte man sich keine Illusionen machen. Allerdings denke ich, dass diese Schwierigkeiten leichter zu managen sind, wenn die EU, Serbien und die albanische Mehrheit, aber auch die serbischen Minderheitskräfte im Kosovo, erkennen, dass sie eine gemeinsame Verantwortung zu tragen haben. Die USA tun sich leicht, sie sind weit weg und haben abgesehen vom formalen Akt der Anerkennung keine Verantwortung und keine Konsequenzen zu tragen. Wir hingegen müssen vor Ort sehr wohl die Konsequenzen tragen und verkraften – finanziell, aber auch durch neue Flüchtlingsströme, durch Schwierigkeiten im Aufnahmeprozess der einzelnen Länder in die EU, etc.

Cavtat, 6.10.2007