Nach dem Gasdisput

Die Europäische Union muss sich im Energiebereich eine langfristige Strategie zulegen, getragen sowohl von Realitätssinn als auch von der Entwicklung von Alternativen, die eine Risikostreuung ermöglichen.
Der Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland scheint beigelegt zu sein. Und damit wird für die EU die Versuchung groß, dass sie sich beruhigt zurücklehnt, das Gas strömt ja wieder.

Langfristige Strategie

Dem sollte keineswegs so sein, insbesondere da die inneren Auseinandersetzungen in der Ukraine – wie jüngste Äußerungen von Präsident Juschtschenko zeigen – nicht zu Ende sind. Und die Auseinandersetzungen zwischen der Ukraine und Russland sind ebenfalls nicht zu Ende, zu viele Fragen sind offen, und das betrifft nicht nur die Energiebeziehungen zwischen diesen beiden Ländern.
Die Europäische Union muss sich eine langfristige Strategie zulegen, getragen sowohl von Realitätssinn als auch von der Entwicklung von Alternativen, die eine Risikostreuung ermöglichen. Alles, was die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, insbesondere von Gas, reduziert und keine neuen Risken mit sich bringt, wie die Atomenergie, muss intensiv verfolgt werden. Vom Energiesparen bis zur Entwicklung nachhaltiger Energieproduktionen gilt es noch stärker als bisher, eine „alternative“ Energiepolitik zu verfolgen. Die EU ist diesbezüglich weiter als alle anderen Regionen dieser Welt, allerdings kann noch etliches gemacht werden. Wir müssen auch die diesbezüglichen Forschungsanstrengungen erhöhen.

Die „östliche“ Problematik

Als zweites gilt es, die Lagerung, also das Anlegen von Gasreserven zu forcieren. Einige Länder, so auch Österreich, haben bereits einen hohen Stand solcher Gasreserven erreicht, andere Länder müssen erst nachziehen. Das ist zwar nicht billig, aber absolut notwenig, um für Krisensituationen jeglicher Art besser gerüstet zu sein. Solche Reserven müssen nicht unbedingt im eigenen Land angelegt, aber sie müssen für jedes Land geschaffen werden und im Notfall verfügbar sein. Parallel dazu gilt es, die Verbindungen zwischen den einzelnen Pipelines auszubauen und damit ein dichteres und flexibleres Netz in Europa zu schaffen.
All diese Maßnahmen machen aber eine genaue Analyse und Überprüfung der Art und Weise, wie das Gas nach Europa kommt, nicht hinfällig. In Nachfolge des Gasstreits zwischen Ukraine und Russland möchte ich mich dabei auf die „östliche“ Problematik konzentrieren. Dabei liefert Russland „nur“ 25 Prozent des allerdings wachsenden Gaskonsums. Aus historischen und geografischen Gründen ist die Versorgung bzw. Abhängigkeit der einzelnen EU Staaten sehr unterschiedlich. Besonders stark ist die Abhängigkeit bei den neuen Mitgliedstaaten – mit Ausnahme Rumäniens – gegeben sowie bei Griechenland, Österreich und von den größeren EU Staaten bei Deutschland und Italien.

Russische Alternativen

Die Gasversorgung durch Russland ist dabei nicht leicht und vor allem nicht kurzfristig zu reduzieren. Vor allem deshalb nicht, weil Russland es verstanden hat, sich auch bei den gegenwärtigen und potentiellen Gasversorgern, insbesondere in Zentralasien, einen Startvorteil zu verschaffen. Es geht also nicht nur um die Versorgung mit russischem Gas, sondern auch darum, ob die EU-Staaten direkt oder nur via Russland bzw. Gazprom zu mittelasiatischem Gas – inklusive iranischem – kommen. Und zweitens geht es um die Frage, ob eine direkte Verbindung zu den russischen Gasquellen unter Umgehung von Transitländern für die europäische Versorgungssicherheit besser ist.
Was die zweite Fragestellung betrifft, so hat Russland bereits zwei Alternativen angeboten: eine nördliche Verbindung über die Ostsee namens Nord Stream und eine südliche Verbindung durchs Schwarze Meer namens South Stream. Jedenfalls würden die Nicht-EU-Transitländer Ukraine und Weißrussland politisch und wirtschaftlich verlieren. Die Abhängigkeit der EU Staaten von russischem Erdgas würde zwar nicht verringert, aber jene von Transitstreitigkeiten sehr wohl. Auf einzelne Mitgliedsländer der EU bezogen würde vor allem Polen, das über das Transitland Weißrussland versorgt wird, ebenfalls umgangen werden, falls es sich nicht doch entschließt, direkt von Nord Stream versorgt zu werden, wie es Polen, allerdings nach der Grundsatzentscheidung durch Russland und Deutschland, angeboten wurde. Die süd-östlichen Länder wie Griechenland und Bulgarien und in weiterer Folge die Länder des Balkans und Mitteleuropas würden an Versorgungssicherheit gewinnen. Es sei denn, man geht davon aus, dass Russland ein unsicherer Partner ist, weil es eventuell aus politischen Gründen die Versorgung in Frage stellt oder mangels ausreichender Gasreserven nicht versorgen kann.

Nabbucco

Transitländer schaffen immer „Probleme“ bzw. stellen einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor dar – außer es gibt klare, unzweideutige Vereinbarungen zwischen allen drei Geschäftspartnern, das heißt zwischen dem Lieferanten, dem Konsumenten und dem Transitpartner. Am besten ist für den Abnehmer bzw. Konsumenten natürlich eine volle Teilnahme an der Organisation des Transits. Dies kann entweder durch ein gemeinsames Konsortium geschehen, das zum Eigentümer der Transitinfrastruktur wird. Oder einem solchen Konsortium wird eine langfristige Konzession gewährt bzw. es wird mit diesem Konsortium ein Managementvertrag vereinbart. Und wenn die Ukraine wirklich ein Interesse an einer späteren Mitgliedschaft in der EU hat, dann sollte sie auch offen für solche Modelle sein, die im Interesse aller drei Partner wären.
Auch wenn die Transitfrage besser gelöst wird, ist eine Diversifizierung der Gaslieferungen an die EU im Sinne einer Risikostreuung sinnvoll. Deshalb gibt es schon lange die Idee, eine Pipeline aus dem Südkaukasus bzw. aus Zentralasien über die Türkei zum Verteilzentrum Baumgarten in Niederösterreich zu bauen. Diese Pipeline mit dem klingenden Namen Nabucco sollte Gas aus Aserbeidschan und einigen Ländern jenseits des Kaspischen Meeres bzw. der Kaspischen See (je nach dem sind die Anrainerrechte unterschiedlich) wie z. B. Turkmenistan nach Mitteleuropa liefern. Als es ein bisschen ernster mit diesem Projekt wurde, hat Russland sofort einen Gegenvorschlag gemacht, nämlich die South Stream Pipeline unter dem Schwarzen Meer und Bulgarien und Griechenland dafür gewonnen.

Bessere Verhandlungsposition

Vergleicht man die beiden Pipelines hinsichtlich Schwierigkeiten bei der Umsetzung und Kosten, so ergeben sich eindeutig Vorteile für die Nabucco Pipeline. South Stream benötigt eine 900 km lange Pipeline in einer Tiefe von 2 km am Boden des Schwarzen Meeres. Man rechnet mit Gesamtkosten von 15 Milliarden Euro gegenüber etwa 8 Milliarden für Nabucco. Überdies stellt sich die Frage, ob durch South Stream überhaupt zusätzliches Gas fließen würde. Natürlich wäre eine billigere Pipeline mit zusätzlichem Gas aus Aserbeidschan und Mittelasien und in späterer Folge hoffentlich aus einem gemäßigteren Iran und in der Folge eventuell auch aus dem Irak für die europäischen KonsumentInnen sinnvoller. Nabucco ist also South Stream eindeutig vorzuziehen.
Wenn Russland zusätzlich auch einen Teil „seines“ für den europäischen Markt bestimmten Gases in diese Pipeline einströmen lassen möchte, dann kann man sicherlich darüber reden. Aber primär geht es um eine von Russland bzw. Gazprom unabhängige Verbindung von neuen Gasquellen nach Europa. Wenn die EU bzw. die entsprechenden Energiefirmen unter der Federführung der OMV ein solches Projekt verwirklichen könnten, würde unsere Verhandlungsposition mit Russland und der Ukraine deutlich verbessert werden. Allerdings brauchen wir jedenfalls die Türkei als einen Partner für dieses Projekt. Das sollten all jene wahrnehmen, die die Türkei möglichst fern von Europa sehen wollen.

Globalen Spielraum verschaffen

Die Energieversorgung aus den östlich der EU gelegenen Regionen kann also nicht ersetzt, sondern sollte diversifiziert werden – auch wenn Russland ein wichtiger Lieferant bleibt. Allerdings, alles was diese Versorgung durch weitere Versorgungsstränge aus dem Süden (Afrika) bzw. durch verflüssigtes Gas ergänzen kann, sollte ernsthaft in Betracht gezogen werden. Die EU kann sich nur durch eine sehr vielfältige Energie- und insbesondere Gasversorgung einen möglichst großen globalen Spielraum verschaffen und gleichzeitig den Bedarf der Bevölkerung und der Wirtschaft sicherstellen.

Wien, 25.1.2009