Naher Osten: Europas Wege aus dem Dilemma

Sich über die Ursachen zu streiten und den beiden Streitparteien Schuld zuzuschieben, bringt nichts. Es ist Zeit zu handeln.
Der Nahe Osten kommt nicht zu Ruhe.

Es geht nicht um Schuldzuweisungen

Die israelschen Regierungsparteien nutzten die Gunst der Stunde eines Machtvakuums in Washington, um sich vor den kommenden Wahlen in Israel als starke Verteidiger der nationalen Interessen zu profilieren. Und die permanenten Raketenabschüsse seitens der Hamas im Gazastreifen gaben ihnen Grund genug für die massiven – und unverhältnismäßigen – Militäraktionen. Aber jetzt geht es nicht um Schuldzuweisungen, sondern um dauerhafte Lösungen.
Meine Gespräche mit dem israelischen Botschafter und der palästinensischen Botschafterin haben in Brüssel haben gezeigt, dass es diesbezügliche Möglichkeiten gibt, dass es aber Hilfe und Unterstützung von Außen bedarf. Vor allem Europa ist gefordert. Uns betreffen nämlich die katastrophalen Entwicklungen im Nahen Osten am meisten.

Traurige Farce

Von einer Reise mit einer Delegation aus dem EU-Parlament nach Israel knapp vor dem Abzug der Israelis aus dem Gazastreifen sind mir noch zwei Begegnungen in Erinnerung. Eine mit Ehud Olmert, der damals stellvertretender Ministerpräsident war. Er hat uns Europäer eindringlich davor gewarnt, uns in diese Entscheidung der israelischen Regierung einzumischen.
Die andere Begegnung war jene mit Yossi Belin, dem kurzzeitigen Außenminister, damals noch der Arbeiter-Partei angehörend. Er warnte uns ebenso eindringlich davor, den einseitigen, nicht verhandelten Rückzug als einen Schritt Richtung Frieden zu akzeptieren. Ohne einen palästinensischen Partner in Gaza zu haben und ohne klare Linie für einen späteren Rückzug aus dem übrigen Palästina könne dieser „Rückzug“ nur ins Chaos führen. Wir meinten, dass Yossi Belin übertreibe, aber er hat Recht behalten. Leider. Im Übrigen blieb Israel nach Völkerrecht weiter für die Menschen im Gazastreifen verantwortlich. Und die verschiedenen Maßnahmen der Isolierung des Gazagebietes haben den Rückzug zur Farce gemacht.

Zwei Grundfehler

Ein Grundfehler auch der Europäischen Union war also das Akzeptieren des einseitigen Rückzugs als Friedensinitiative. Ein zweiter Fehler kam hinzu, als nach den Wahlen in Palästina eine Koalitionsregierung zwischen Fatah und Hamas gebildet wurde. Die Vertreter der Kommission und des Rates der EU boykottierten auch jene Mitglieder der neuen Regierung, die nicht aus der Hamas kamen, aber von ihr nominiert worden sind. Nur das EU-Parlament signalisierte die Bereitschaft, zu allen Mitgliedern dieser Regierung Kontakt aufzunehmen, wenn sie zum Dialog bereit waren. Aber das war zuwenig. Nicht zuletzt diese Weigerung der führenden Vertreter der EU führte zum Zusammenbruch der gemeinsamen Regierung und zur Herrschaft der Hamas in Gaza.
Zwischenzeitlich meldeten sich aber etliche prominente Israelis, die die Meinung vertraten, dass ohne Gespräche mit der Hamas kein Frieden und kein Ende der Raketenangriffe auf Israel zu haben sein wird. Und fast alle Kommentatoren, die auch durchaus Verständnis für Israels jüngste Offensive haben, meinen, dass auf diese Weise kein Frieden zu erreichen sei. Wie soll es also nach dem – vorerst vielleicht nur vorübergehenden – Schweigen der Waffen weitergehen?

Eine andere „Geschichte“ erzählen

Europa muss mit all seinen bitteren Erfahrungen darauf drängen, dass die Israelis und die Palästinenser beginnen, eine andere „Geschichte“ für die Zukunft zu erzählen – und zwar ohne Reservationen und Bedenken hinter vorgehaltener Hand. Der israelische Historiker Dan Diner hat mit Recht darauf hingewiesen, dass das Konzept der Schaffung zweier unabhängiger Staaten von beiden Seiten sehr ambivalent vertreten wird: „Die israelischen wie die palästinensischen Ambivalenzen des jeweils anderen haben ihre Quelle in einem verhohlenen Anspruch auf das ganze Land.“ Um diesen Anspruch aufzugeben, bedarf es einer klaren Botschaft aus Europa. Nur so konnte auch in Europa Frieden hergestellt werden.
Zweitens: Europa muss daran arbeiten, dass es zu einer umfassenden palästinensischen Regierung kommt, die für alle Teile und alle BürgerInnen des zukünftigen Staates sprechen kann. Nur eine solche Regierung kann auch in der heiklen Flüchtlingsfrage eine Lösung anpeilen. Aber vorerst geht es ja nicht um einen vollkommenen Friedensprozess. Als erstes muss erreicht werden, dass der Zyklus der Gewalt unterbrochen wird. Wie es der palästinensische Schriftsteller Samir EL-Youssef ausdrückt: Israel und Hamas müssen sich einigen „Feinde ohne Kämpfe zu beleiben“. Dass dies möglich ist, zeigen das Verhältnis zwischen Israel und Syrien sowie die jüngste Entwicklung zwischen Israel und der Hisbollah.

Zweierlei Unterstützung

Europa muss auf zweierlei Weise mithelfen. Einerseits muss den Menschen im Gazastreifen und natürlich auch in den anderen Gebieten Palästinas ermöglicht werden, ein einigermaßen erträgliches Leben zu führen. Es braucht Arbeitsplätze, Exportmöglichkeiten und eine Minimalversorgung der Bevölkerung. Aber das Geld der europäischen Steuerzahler einzusetzen ist nur dann gerechtfertigt, wenn man mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen kann, dass unsere Investitionen nicht immer wieder zerstört werden.
Und dazu bedarf es einer internationalen Überwachung des Waffenstillstandes und damit auch eine Verhinderung bzw. Kontrolle der Waffenlieferungen an die Hamas. Der Druck auf Ägypten muss entsprechend stark sein, dabei mit zu helfen. Und es besteht kein Zweifel, dass an einer solchen von der UN gestellten Truppe die Europäer stark beteiligt sein müssen.

Es ist Zeit, zu handeln

Auch wenn die USA generell geschwächt sind, ohne sie wird es kaum möglich sein, Frieden im Nahen Osten zu machen. Mit Präsident Obama wird es vielleicht leichter sein, eine koordinierte Strategie zu entwickeln. Und dazu braucht es einer gemeinsamen, klaren Vorgangsweise der EU.
Sich über die Ursachen zu streiten und den beiden Streitparteien Schuld zuzuschieben, bringt nichts. Es ist Zeit zu handeln. Nicht zuletzt auf Grund unserer eigenen Schuld an den Entwicklungen im Nahen Osten generell und gegenüber Juden und Palästinensern.

Wien, 10.1.2009