Neoliberale Rülpser

Für uns Sozialdemokraten und für mich persönlich ist es inakzeptabel, dass Politiker wie McCreevy ohne Gefühl und Sensibilität für die Bedürfnisse der Bevölkerung ihre wirtschaftsliberalen Interessen durchsetzen können.
In dieser Woche hatte ich erneut die Gelegenheit, Kommissionspräsident Emmanuel Barroso zu treffen. Gemeinsam mit dem Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei Hans Pöttering und dem früheren polnischen Außenminister Bronislaw Geremek, der jetzt Abgeordneter der Liberalen ist, besuchte ich Barroso, um mit ihm über eine Kulturinitiative zu sprechen, bei deren Grundsteinlegung er selbst dabei gewesen ist: die so genannte Berliner Konferenz vom November 2004, eine Initiative des früheren Berliner Kultur- und Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer.

Europa eine Seele geben

Auch Hassemer war beim jetzigen Treffen mit Barroso dabei. Wir wollten wissen, ob der Kommissionspräsident auch weiterhin bereit ist, diese Initiative zu unterstützen und mithilft, eine neue Aktion mit ins Leben zu rufen: Intellektuelle, Wissenschaftler, Kulturschaffende und Künstler sollen neue Visionen für Europa entwerfen und dabei von den politischen Repräsentanten mit Barroso an der Spitze unterstütz werden. Es sollen außerdem regelmäßig weitere Konferenzen stattfinden, auf denen das Motto der Berliner Konferenz „Europa eine Seele geben“ weiter verbreitet und mit Inhalt gefüllt werden kann.
Bei dieser Gelegenheit erwies sich Barroso als angenehmer, versierter und engagierter Gesprächspartner. Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass sein äußeres, eher britisch-kühles Erscheinungsbild weit hinter dem zurückbleibt was er in einem individuellen Gespräch zum Ausdruck bringt. Das finde ich sehr schade.

Inakzeptable McCreevy-Äußerung

In einem ganz anderen Zusammenhang haben wir als sozialdemokratische Fraktion in einer heftigen Debatte darauf bestanden, dass Barroso vor dem Parlament erscheint und konnten uns auch durchsetzen. Anlass dafür war eine Äußerung des extrem konservativen irischen Kommissars McCreevy. Er hatte das schwedische sozialpartnerschaftliche Modell aus einem wichtigen Anlass heraus kritisiert und als unvereinbar für Europa bezeichnet. Das hat uns über alle Maßen erzürnt.
Wir befürworten das nordische Modell der gesellschaftlichen Entwicklung kompromisslos. Es ist ein Modell, das erhöhte Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt bietet und zugleich über ein starkes Sicherheitsnetz verfügt. Auf diese Weise können Höchstleistungen erbracht werden, ohne auf das soziale Gewissen zu vergessen. Dass gerade dieses Modell von einem neoliberal orientierten Kommissar kritisiert wird, ist für uns absolut inakzeptabel.

Klare Distanzierung

Auch der Kommissionspräsident muss klar machen, dass er diese Aussage nicht akzeptieren kann. Der Vorfall hat ja nicht nur in Schweden großen Unmut hervorgerufen, sondern auch in anderen Ländern. Ich hoffe, dass diese Debatte, wenn sie in Straßburg stattfindet, für Klarstellung sorgt und einiges von dem Schaden, den McCreevy angerichtet hat, wieder gut gemacht werden kann.
Für uns Sozialdemokraten und für mich persönlich ist es inakzeptabel, dass Politiker wie McCreevy ohne Gefühl und Sensibilität für die Bedürfnisse der Bevölkerung ihre wirtschaftsliberalen Interessen durchsetzen können. Das muss entschieden bekämpft werden. Und das sage ich gerade auch aus der Sicht eines Ökonomen, der durchaus Verständnis für wirtschaftliche Interessen hat, aber nicht dafür, dass die wirtschaftlichen gegen die sozialen Interessen ausgespielt werden. Das europäische Modell besteht ja gerade darin, wirtschaftliche und soziale Interessen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

Brüssel, 13.10.2005