Neuordnungen im Nahen Osten

Sollte Israel nicht bereit sein, deutliche Einschnitte zu machen und sich im Wesentlichen auf die Grenzen von 1967 zurückzuziehen – was das Internationale Recht und die Resolution der Vereinten Nationen ohnedies vorsehen – dann wird es keine Ruhe geben können, weder für die Palästinenser noch für die Israelis.
In den vergangenen Tagen hat sich das Bild im Nahen Osten durch den deutlichen Wahlsieg mit einer absoluten Mehrheit der islamistischen Hamas dramatisch verändert.

Die Hamas hat gesiegt

Noch vor ein oder zwei Jahren versicherte man mir, es sei unmöglich, dass die Hamas Stimmenzuwächse verzeichnen wird, da die Palästinenser laizistisch orientiert seinen und mit islamistischen Bewegungen nichts zu tun haben wollten. In der letzten Zeit hat sich aber bereits klar abgezeichnet, dass die Wahlen auch ganz anders ausgehen können. Und genau so ist bei der Wahl zum Parlament Palästinas gekommen.
In Kombination mit den negativen Entwicklungen im Iran, insbesondere den massiven und völlig inakzeptablen Drohungen gegen Israel und der Wiederaufnahme der Urananreicherung im Land – angeblich ausschließlich für zivile und friedliche Zwecke – darf man diese Entwicklung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es könnte allerdings auch sein, dass der Wahlsieg der Hamas – sollte diese in die Regierung kommen – zumindest temporär die Gewalt und den Terrorismus eindämmt und die faktische Anerkennung Israels zumindest langfristig bewirkt. Das, was die Fatah getan, aber auch nicht immer nachvollzogen hat, könnte jetzt in einem größeren Spektrum zur Realität werden.

Wahlmotivation

Das wird weder leicht sein noch von heute auf morgen passieren. Die Chance, aus einer terroristischen Bewegung eine nicht korrupte Regierungspartei zu machen, die die Unterstützung der Bevölkerung erhält, sollte allerdings unbedingt wahrgenommen werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Hamas das auch wirklich will und ihre Entscheidungsträger bereit sind, auf einen religiösen Radikalismus zu verzichten.
Die Menschen in Palästina haben nicht prinzipiell eine religiöse Gruppierung gewählt. Man wählte eine Gruppierung, die gegen die Korruption aufgetreten ist und die – ähnlich wie Sharon auf der anderen Seite – aus einer Position der Stärke mit Israel verhandeln sollte, sodass sich unter günstigen Voraussetzungen und geschicktem Verhandeln Europas und der USA im Endeffekt etwas Positives entwickeln könnte.

Der Nahe Osten ist wirklich nah

Wir wissen nicht, ob das so sein wird. Wir müssen die Gesamtsituation neu durchdenken und Strategien ausarbeiten, wie wir weiter vorgehen. Ich hoffe, dass wir dabei einheitlich agieren werden und uns angesichts dieser schwierigen Situation im Nahen Osten nicht zerstreiten oder gar spalten lassen.
Es ist tatsächlich der Nahe Osten, die Region liegt sehr nahe bei Europa. Was wir jedenfalls verhindern müssen, ist ein Wiederaufleben des Terrorismus, der aus dieser Region kommt. Alles, was wir tun können, um Konflikte vor Ort einzudämmen, muss deshalb getan werden.

Nachwehen des Arafat-Todes

Im Übrigen zeigt sich, wie „großartig“ die Intervention Amerikas, Großbritanniens und anderer Länder im Irak gewesen ist und wie wenig sie wirklich geholfen hat. Es wirkt sich heute katastrophal aus, dass Amerika nichts unternommen hat, um den Friedensprozess voranzutreiben. Auch die Tatsache, dass Israel unter Sharon nichts unternommen hat, um die Vereinbarung hinsichtlich des Abzugs aus Gaza gemeinsam mit der Fatah durchzuführen, hat ihre Spuren hinterlassen.
Die Fatah, also die Bewegung Arafats, hatte demnach keinen Erfolg vorzuweisen, auf dem sie aufbauen konnte. Das führte dazu, dass die Menschen nach dem Tod ihres Idols Arafat keinen Grund mehr hatten, bei den Parlamentswahlen die Partei Arafats zu wählen. Wählte die Bevölkerung unmittelbar nach Tod Arafats noch dessen Nachfolger Abu-Masen, so entschied sie sich jetzt sehr deutlich, bewusst und absichtlich für jene Gruppierung, die versprochen hat, der Korruption ein Ende zu setzen, soziale Unterstützungen zu geben, die Armut zu bekämpfen und eine klare Sprache mit Israel zu sprechen.

Hoffnungen

Nach meiner Einschätzung versteht die Mehrheit der Bevölkerung unter dem Begriff der klaren Sprache nicht den Einsatz von Bomben, sondern das Vereinbaren von Maßnahmen mit Israel, die die Lebenssituation der PlaästinenserInnen tatsächlich verbessern. Wenn das auch bei den Führern der Hamas als eine Möglichkeit gesehen wird, dann sollten sowohl Europa als auch Amerika flexibel darauf reagieren.
Auch wenn die EU die finanzielle Unterstützung für Palästina aussetzen sollte: die Hamas wird sich das Geld trotzdem organisieren. Es gibt genug arabische Länder, die bereit sind, sie zu finanzieren. Und es gibt genug andere, kriminelle Quellen, die das ebenfalls tun würden. Die Einflussmöglichkeiten der Europäischen Union wären hingegen gänzlich abgeschnitten.

EU-Einfluss erhalten

Natürlich können wir die Hamas nicht bedingungslos unterstützen. Wir werden keinen Terrorismus finanzieren. Die Grundsätze für klare Regelungen der Finanzströme müssen aufrechterhalten bleiben. Wir können jetzt nicht etwas zulassen, was wir der früheren Fatah-Regierung untersagt haben. Unsere Forderungen nach Legalität und Transparenz müssen aufrecht bleiben und verwirklicht werden.
Unter diesen Voraussetzungen müsste es möglich sein, einen gangbaren Weg zu finden. Es muss allerdings eine klare Vision darüber geben, wohin die Reise geht. Israel muss diesen Warnschuss verstehen.

Zugeständnisse sind notwendig

Sollte Israel nicht bereit sein, deutliche Einschnitte zu machen und sich im Wesentlichen auf die Grenzen von 1967 zurückzuziehen – was das Internationale Recht und die Resolution der Vereinten Nationen ohnedies vorsehen – dann wird es keine Ruhe geben können, weder für die Palästinenser noch für die Israelis.
Das wäre unverantwortlich für das Leben jener Menschen, die dabei auf der Strecke bleiben. Und es wäre unverantwortlich für den Frieden in der Region, aber auch für die Stabilität in Europa.

Wien, 29.1.2006