November 1939, 1989, 2009 und die Zukunft Europas

Berlin

Berlin

In der Nacht vom 8. auf den 9. November 1939, also vor 70 Jahren, scheiterte einer der vielen Attentatsversuche gegen Adolf Hitler. Hitler verließ wegen schlechten Wetters vorzeitig den Bürgerbräukeller in München, in dem er eine Rede zum gescheiterten Putschversuch am 9. November 1923 gehalten hatte. Wäre das Attentat erfolgreich verlaufen, hätte die Geschichte wahrscheinlich einen anderen, friedlicheren Verlauf genommen. Aber das Attentat misslang, und ein furchtbarer Krieg zerstörte unseren Kontinent und tötete Millionen von Menschen. Den Krieg verloren Hitler und seine Verbrecherbande. Aber nicht für alle EuropäerInnen brachte das Ende des Krieges Freiheit und Wohlstand.
Die Befreiungstruppen der Sowjetunion wurden bald zu Besatzungstruppen. Und in den meisten Ländern nicht nur vorübergehend. Sie waren dazu auserkoren, die Herrschaft der Sowjetunion und der lokalen kommunistischen Parteien zu schützen. Aus der von der Mehrheit der Bevölkerungen willkommenen Befreiung wurde immer mehr eine abgelehnte und zum Teil verhasste Besetzung. Auch dort, wo die Rote Armee wieder abzog, war die kommunistische Herrschaft sichergestellt. Eigentlich war es nur Österreich gegönnt, die besetzenden Befreier wieder relativ bald los zu werden und die Demokratie durch freie Wahlen zu bewahren.

 Fall der Berliner Mauer

In den anderen Ländern und im besetzten Teil Deutschlands hat es Jahrzehnte gedauert, bis die nach dem Krieg hergestellten Herrschaftsstrukturen zusammenbrachen. Der 9. November 1989 war dabei ein besonders symbolträchtiger Tag. Der Fall der Berliner Mauer signalisierte nicht nur die Wiedervereinigung Berlins und Deutschlands, sondern auch das Ende der Teilung Europas. Manche sprachen in der Folge von der Wiedervereinigung Europas.
Nun, ich habe immer wieder darauf verwiesen, dass Europa niemals in seiner wechselvollen Geschichte vereinigt war und dass das heutige Europa durch die Bildung der Europäischen Union etwas Einzigartiges, noch nie da Gewesenes darstellt. Dennoch verstehe ich die Gefühle derjenigen, die nach Jahrzehnten der Trennung ein Gefühl der Wiedervereinigung empfunden haben. Und ich bedauere, dass insbesondere in Österreich oft gegenteilige Gefühle geweckt und geschürt wurden. Der Abbruch des Eisernen Vorhangs und die Öffnung der Grenzen wurden alsbald negativ besetzt und mehr als Gefahr denn als Chance gesehen.

 Eine neue Ära

70 Jahre nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler und 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer wurde nun der Europäischen Union eine neue Vertragsgrundlage gegeben. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen und nach intensivem Bemühen hat auch der tschechische Ratspräsident Anfang November den Vertrag von Lissabon unterzeichnet und die Vertragsurkunde wurde in Rom hinterlegt.
So beginnt mit dem November 2009 eine neue Ära der europäischen Geschichte. Friedrich Schiller, der übrigens im November vor 250 Jahren geboren wurde, drückte zwar schon in seiner vor 220 Jahren, also 1789 gehaltenen „Antrittsvorlesung“ die Hoffnung auf einen ewigen europäischen Frieden aus, wenn er meinte: „Die europäische Staatengesellschaft scheint in eine große Familie verwandelt. Die Hausgenossen können einander anfeinden, aber hoffentlich nicht mehr zerfleischen.“ Und er fügte hinzu, dass die „Selbstliebe eines Staates ihn zum Wächter über den Wohlstand des andern“ einsetzt. Aber erst durch die Überwindung der unnatürlichen Spaltung Europas wurden die Vorraussetzungen dafür geschaffen, Schillers Utopie zu verwirklichen. Und der in wenigen Wochen in Kraft tretende Reformvertrag schafft die Möglichkeit, diesem geeinten Europa auch global Gehör zu verschaffen und es mit entsprechender Handlungsfähigkeit auszugestalten.

 Das „neue“ Europa umsetzen

Auch mir ist bewusst, dass noch nicht alle Einzelprobleme der Umsetzung des Vertrags gelöst sind. Und noch nicht alle politischen Kräfte sind bereits im Vertrag von Lissabon und der Neugestaltung der EU „angekommen“. Vor allem die Hetze mancher Medien wird nicht aufhören. Für den englischen „Daily Express“ bedeutete die Ratifizierung des Vertrags das „Ende von Großbritannien“, und die „Krone“, aber auch andere Medien, nützten die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – der nichts mit der EU zu tun hat – bezüglich der Kruzifixe in Schulen, um wieder einmal gegen die EU zu polemisieren. Eine Mischung aus Dummheit und böser Absicht wird uns auch weiterhin bei der Neugestaltung Europas begleiten.

Wir müssen allerdings nach den letzten Finessen der institutionellen Neugestaltung Europas, insbesondere des Auswärtigen Dienstes und der Benennung und Wahl der Mitglieder der neuen Europäischen Kommission, die wichtigen Sachprobleme angehen. Vom Klimawandel bis zur Neuregelung der Finanzmärkte gibt es genug zu tun, um dieses neue, erstarkte Europa auch den BürgerInnen gegenüber zu begründen und es letztendlich auch populär zu machen.

Brüssel, 9.11.2009