In Odessa I

Odessa_theatreEs war nichts vom bekannten und berühmten milden Klima des Schwarzen Meeres zu spüren, als ich gestern von Wien kommend in Odessa ankam. Vielleicht war es auch eine Schnapsidee, im Winter hierher zu fliegen, aber meine Einladung zu einer Konferenz nach Kiew legte es nahe, meinen geplanten Besuch in Odessa damit zu verbinden.

Über 100 Muttersprachen

Immerhin war der Tag meiner Ankunft der Tag der Muttersprachigkeit, und dieses Thema passt genau zu dieser Stadt, in der Menschen mit über 100 Muttersprachen leben. Odessa ist eine Gründung von Zarin Katharina der Zweiten, die eine Art südliches Petersburg schaffen wollte. Und in diesem Sinne lud sie auch Menschen aus ganz Europa ein, bei ihrem Experiment mitzumachen. Viele folgten dieser Einladung im Laufe der Zeit: Griechen, Bulgaren, Juden etc.
Die Sowjetisierung überlagerte diese Vielfalt und die Herrschaft der Nazis vernichtete sie zum Großteil. Heute allerdings wird sie wieder herausgestrichen und es gibt auch eigene Budgetlinien im städtischen Budget, um diese Vielfalt zu fördern. Dabei bleibt die Hauptsprache das Russische, das aber ohne Schwierigkeiten und sehr pragmatisch mit dem Ukrainischen abgewechselt wird. Das dürfte hier jedenfalls keine ideologische Frage sein.

Die Partei der Regionen

Weniger Vielfalt gibt es in der Region und in der Stadt beim politischen Spektrum. Hier dominiert die Partei der Regionen von Präsident Janukowytsch. Wie der Gouverneur der Odessa-Region meinte, kann jetzt endlich regiert werden. Die Streitereien zwischen Präsident Juschtschenko und Premierministerin Timoschenko gehören der Vergangenheit an. Präsident und Ministerpräsident gehören jetzt einer Partei an, wobei selbstverständlich der Präsident das Sagen hat.
Es ist jetzt genau ein Jahr her, dass der neue Präsident im Amt ist und seine Erfolge sind naturgemäß sehr umstritten. Einerseits gibt es die oben erwähnte Stabilisierung der Macht, anderseits permanente Konflikte zwischen Regierung und Opposition mit häufigen Handgreiflichkeiten im Parlament. Dabei versucht sich die Opposition in einer Fundamentalopposition gegen Reformen, die vielfach vom Währungsfond vorgeschrieben und von der EU verlangt werden. Anderseits sind die Anklagen gegen PolitikerInnen der Opposition wegen Korruption bzw. Amtsmissbrauch auch nicht immer frei von Rache und politischen Zielsetzungen.
Was den Versuch eines Gleichgewichts zwischen Russland und der EU betrifft, so dürfte das relativ gut gelungen sein. Jedenfalls versuchen gerade auch die Polen, diese Politik besonders zu unterstützen. So hat auch der polnischen Außenminister Sikorski auf meine Frage nach der Priorität Polens in ihrer Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2011, die Unterzeichnung des Partnerschaftsabkommens EU-Ukraine an erster Stelle genannt. Ob es dazu allerdings schon im Herbst kommen wird, hängt sehr vom Reformwillen und vom demokratiepolitischen Verhalten der neuen Macht in der Ukraine ab.

Die neue Generation

Das Gespräch beim Gouverneur von Odessa drehte sich hauptsächlich um die wirtschaftlichen Probleme und die Versuche, Investoren in die Region zu bekommen. Dabei sollen sowohl moderne Businessparks geschaffen als auch ein großes Solarenergieprojekt verwirklicht werden. Durch besondere Begünstigungen sollen die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden.
Auf meine Frage nach der Korruption meinten der Gouverneur und seine MitarbeiterInnen, dass sie jederzeit für die Klagen der Investoren zur Verfügung stehen. Ob das ausreicht bezweifle ich, aber das Bemühen scheint mir vorzuliegen. Insgesamt machten die VertreterInnen der Region einen sachlichen und bemühten Eindruck. Sie scheinen alle einer neuen und meist jüngeren Generation anzugehören.

Odessa, 21.2.2011