Ortstafel-Mission

Die „Intergroup“ für Minderheiten im Europäischen Parlament besuchte Kärnten, um verschiedene slowenische VertreterInnen zu treffen und sich ein Bild, vor allem über die Ortstafelfrage, zu machen.
Gestern Nachmittag bin ich von Brüssel über Wien nach Kärnten geflogen.

Europa-Diskussion

Am Abend fand an der Universität in Klagenfurt eine Podiumsdiskussion statt, an der Heinrich Neisser von der ÖVP, Fritz Breuss vom Europainstitut der WU Wien und ich selbst teilgenommen haben. Die Moderation hatte Michael Jungwirth von der Kleinen Zeitung übernommen, zweifellos einer der ambitioniertesten EU-Korrespondenten in Brüssel.
Am Podium waren wir uns im Wesentlichen über die Notwendigkeit des europäischen Einigungsprozesses einig. Beim Publikum war das anders, es gab sehr gemischte Stellungnahmen. Insgesamt war es aber eine spannende und interessante Debatte.
Schon während dieser Debatte ist mir allerdings, wie bei früheren Gesprächen, aufgefallen, dass zumindest einige TeilnehmerInnen in hohem Maß das Deutsche betont haben und etwa meinten, die deutsche Sprache fiele dem Sprachimperialismus anderer Länder in der EU zum Opfer. Im persönlichen Gespräch konnte man manches Vorurteil korrigieren. Aber der Konflikt zwischen den Slowenen und den Deutsch-Kärntnern, wie sie sich selbst bezeichnen, leuchtete unübersehbar auf.

Intergroup für Minderheiten

Am nächsten Tag besuchte die „Intergroup“ für Minderheiten im Europäischen Parlament Kärnten, um verschiedene slowenische VertreterInnen zu treffen. Leider treten die Slowenen selbst nicht geschlossen auf, sondern es gibt mehrere Organisationen. Eine dieser Organisationen hatte uns eingeladen, nach Kärnten zu kommen und die Situation der Slowenen vor Ort zu beurteilen.
In der Früh fand mit sozialdemokratischen Mitgliedern der Intergroup, allen voran deren Vorsitzendem Csaba Sándor Tabajdi, ein Arbeitsfrühstück bei Peter Kaiser, dem Klubobmann der SozialdemokratInnen im Kärntner Landtag statt. Aufgrund seines jugendlichen Alters, aber vor allem aufgrund seiner politischen Überzeugung hat Peter Kaiser wesentlich dazu beigetragen, dass die Kärntner SPÖ heute eine viel offenere, gemäßgtere und konsensorientiertere Position in der Ortstafelfrage – sie war der unmittelbare Anlass unseres Besuches – vertritt. Ich persönlich hatte bereits im Jänner 2006 Bundeskanzler und Ratsvorsitzenden Schüssel in meiner Rede zur EU-Präsidentschaft auf die Ortstafelfrage angesprochen und gemeint, dass man auch im eigenen Land dafür Sorge tragen muss, dass die Minderheitenrechte akzeptiert und die Minderheiten als Bereicherung und nicht als Gefährdung gesehen werden.

Beim Drava Verlag

Im Anschluss an das Treffen mit Peter Kaiser besuchten wir den Drava Verlag. Dieser Verlag hatte unter meinem Vorsitz den diesjährigen Bruno Kreisky Preis für Verlagsarbeit im Rahmen der Preisverleihungen für das politische Buch zuerkannt bekommen. Ich konnte leider nicht persönlich an der damaligen Preisverleihung in Klagenfurt teilnehmen, weil ich terminliche Verpflichtungen in Brüssel hatte.
So holte ich meinen Besuch nun bei dieser Gelegenheit nach. Wir besuchten auch andere Verlage, und fuhren dann weiter in die Gemeinde Ferlach, wo wir einen zweisprachigen Kindergarten besuchten und ein Gespräch mit dem Bürgermeister führten.

Im Gasthaus Petritsch

Mittags fand ein Arbeitsessen mit VertreterInnen mehrerer slowenischer Volksgruppenorganisationen statt – und zwar in einem Landgasthaus, das von der Schwester von Wolfgang Petritsch geführt wird. Petritsch ist derzeit Botschafter Österreichs bei den Vereinten Nationen in Genf und ist einer der rennomiertesten Balkanspezialisten. Er war Hoher Beauftragter der Internationalen Gemeinschaft und der Europäischen Union in Sarajewo, der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas, er fungierte als Botschafter in Belgrad, und er hat an den Kosovo-Verhandlungen in Rambouillet teilgenommen.
Leider sind seine Kenntnisse und Fähigkeiten von der Regierung in Österreich nicht immer anerkannt bzw. genützt worden. Petritsch´ – nicht zuletzt sprachliche – Kompetenz rührt aus seiner Herkunft aus einer Familie slowenischen Ursprungs. Es war für mich wirklich überraschend, dass wir bei unserer „Fact finding mission“ gerade in dieses Gasthaus geraten sind, das Wolfgang Petritsch´ Schwester gehört – und wo man übrigens hervorragend essen kann.

Aufgeheiztes Pressegespräch

Auf unserer Fahrt zurück nach Klagenfurt begleiteten uns entlang der Bundesstraße slowenischsprachige Jugendliche, die an den Ortsein- und -ausgängen zweisprachige Ortstafeln in die Höhe gehalten haben. In Klagenfurt angekommen stellte sich unsere Intergroup einem Pressegespräch. Dieses schien allerdings etwas aus dem Ruder zu laufen. Vor allem unser Vorsitzender Csaba Sándor Tabajdi schlug in seiner Kritik an der Situation und der Assimilierung der Slowenen ein bisschen über die Stränge.
Die anwesenden JournalistInnen wiederum waren zum überwiegenden Teil nicht bereit, Kritik an der Minderheitenpolitik Kärntens zu akzeptieren. Sie meinten, man sei ohnedies auf dem besten Weg zu einem Kompromiss und diese Kompromissbereitschaft würde durch unsere Aktivitäten gestört werden.

Kompromiss als Übergangslösung

Ich habe selbst während und nach dem Pressegespräch versucht, die Dinge ins rechte Licht zu rücken. Ich habe mich bemüht deutlich zu machen, dass es nahezu grotesk ist, dass es heute – Jahrzehnte nach dem Staatsvertrag – noch immer zu keiner Lösung, zum Beispiel in der Ortstafelfrage, gekommen ist. Ich machte aber auch klar, dass wir uns keineswegs gegen Kompromisse wehren, sofern die Rechte, die im Staatsvertrag verankert sind, auch entsprechend gewährleistet werden.
Wir haben uns in diesem Sinn auch nicht gegen den Vorschlag der Regierung gewandt. Aber wir sehen diesen als Übergangslösung, die offen lassen sollte, dass aufgrund der Verfassung und des Staatsvertrages berechtigte und begründete Ansprüche zu einem späteren Zeitpunkt geltend gemacht werden können. Nur so wird eine positive Entwicklung möglich sein.

Extrem schwieriger Dialog

Die Berichterstattung über unseren Besuch war gemischt, und es gab auch einige Kritik. Allerdings wurde erwähnt, dass ich versucht hatte, einen mäßigenden Einfluss auszuüben. Wir hatten uns auf das Pressegespräch wohl auch nicht gut genug vorbereitet. Außerdem konnte Kollege Sepp Kusstatscher aus Südtirol, der unsere Position am überzeugendsten vertreten hätte können, nicht am Pressegespräch teilnehmen, da er schon früher abreisen musste. Daher konnte sein Argument, dass in Kärnten das gleiche geschehen müsste, was in Südtirol durch Österreich durchgesetzt worden ist, nicht entsprechend vorgebracht werden.
Trotzdem bin ich überzeugt davon, dass der Besuch richtig und wichtig war und unsere Argumente gestimmt haben. Die europäischen Maßstäbe sind allerdings weitaus ambitionierter als die Kärntner Realität und auch als die derzeit laufenden Kompromissversuche. Und genau das macht einen Dialog äußerst schwierig – leider auch heute noch. Manche – leider auch sozialdemokratische – Bürgermeister argumentieren, dass zweisprachige Ortstafeln in ihren Dörfern oder Städten zur „Slowenisierung Kärntens“ beitrage würden. Diese Sprache ist dermaßen abstrus und unfassbar, dass man eigentlich viel heftiger dagegen auftreten möchte. Aus taktischen Gründen hält man sich dann aber doch eher zurück.

Klagenfurt, 9.6.2006