Ostern in Marokko

Die Regierungen im Mittelmeerraum haben eine doppelte Angst – vor den übermächtigen Amerikanern und vor der eigenen Bevölkerung.
Essaouira ist eine kleine marokkanische Stadt an der Atlantikküste zwischen Agadir und Casablanca. Auf einer privaten Reise in der Osterwoche, nach einem Besuch der Königsstädte Rabat, Meknes, Fes und Marakesch kamen wir in diese von den Portugiesen gegründete Stadt. Das europäische Erbe ist nach wie vor deutlich zu sehen.

Viele unterschiedliche Welten

Im Verlauf dieser Reise bin ich immer wieder auf europäische – vor allem französische, spanische und Fall Essaouiras portugiesische – Einflüsse gestoßen. Die arabische Welt und die Welt der Berber stand oftmals in friedlichem oder gewaltsamen Kontakt mit der europäischen, ebenso wie die Welt des Islams mit der Welt des Christentums und beide mit der Welt des Judentums. Es existiert nichts in diesen unterschiedlichen kulturellen und religiösen Welten, was grundsätzliche Gegensätze oder gar Feindschaft bewirkt.
Und dennoch war unsere gemeinsame Geschichte von vielen Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen gekennzeichnet. Heute, nach der Entkolonialisierung und dem Aufbau eines neuen Europas, wäre die Gelegenheit gekommen, zwischen diesen Religionen und Kulturen Brücken zu schlagen und eine gemeinsame Zukunft zu suchen.
Aber der Krieg im Irak bzw. gegen den Irak hat es uns nicht leichter gemacht. Und leider nahmen auch einige europäische Länder an diesem Krieg teil bzw. haben ihn gutgeheißen und unterstützt. Nun ist er zu Ende gegangen. Von den Opfern und den Zerstörungen spricht man schon kaum mehr. Vor allem, da die Amerikaner sich die Beute, sprich die Aufträge für den Wiederaufbau, schon aufteilen. Und im übrigen haben sie schon Syrien im Visier, zumindest die Extremisten in Washington – und sie haben den entscheidenden Einfluss.

Hass und Angst

So wie unsere Begleiter und unser Fahrer, der eigentlich Berber ist, verspüren viele „Araber“, ja Islame überhaupt einen großen, wenngleich resignativen Hass auf die amerikanische Regierung und speziell auf Präsident Bush. Viele haben aber eine ebenso große, ja oftmals noch größere Wut auf ihre eigenen Regierungen, die ihre Versprechungen – Demokratie, Jobs, soziale Hilfe etc. – nicht einhalten, ja vielfach das Gegenteil bewirken.
Und dem gemäß haben die Regierungen eine doppelte Angst – vor den übermächtigen Amerikanern und vor der eigenen Bevölkerung. Und islamistische Kräfte fördern die Wut der Menschen auf Amerika und die arabischen Regierung und machen diesen noch mehr Angst.

Viele Aufgaben, wenige Antworten

Europa hat darauf wenige Antworten, obwohl es schon im eigenen Interesse eine große Aufgabe zu erfüllen hätte. Wir müssen unsere „südlichen“ Nachbarn immer wieder zu mehr Demokratie drängen, ohne ihre Wachsamkeit gegenüber islamistischen Kräften aufzugeben. Wir müssen sie zu Wirtschaftsreformen bewegen, und schrittweise unsere Märkte öffnen. Aber diese Reformen müssen durch den Ausbau eines vernünftigen und finanzierbaren Sozialstaates begleitet werden. Wir müssen den kulturellen und religiösen Dialog intensivieren. Wir müssen Sicherheitspartnerschaften zur Bekämpfung des Terrorismus eingehen. Und wir müssen die Emanzipation der Frauen unterstützen.
Das alles sind keine leichten Aufgaben, aber notwendige Voraussetzungen für eine Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft ohne allerdings den sozialen Zusammenhalt allzu schnell und allzu stark aufzulösen.

Den Islamisten den Boden entziehen

Einiges davon ist in Marokko schon geschehen, anderes wieder müsste mit mehr Energie und demokratischer Partizipation geschehen, gerade um den Islamisten den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Allerdings wird hier befürchtet – und nicht nur hier – dass der Krieg im Irak den Islamisten Auftrieb geben wird. Die Verantwortung der eigenen Führungskräfte sollte dabei aber keinesfalls aus den Augen verloren gehen.
Essaouira, 18.4.2003