Palästina hat gewählt

Wir müssen abwarten, wie sich die Hamas mit der Macht arrangiert und ob sie sich an eine „normale“ Regierungsverantwortung annähert.
Bei den jüngsten Wahlen in Palästina hat die Hamas, eine islamistische Bewegung, die absolute Mehrheit gewonnen. Für viele kam dies überraschend. Aus meiner Sicht musste man nach den Entwicklungen in jüngster Zeit allerdings mit dieser Möglichkeit rechnen.

„Herrenlose“ Fatah

Die Fatah des früheren Präsidenten Arafat hat sich wirtschaftlich und politisch korrumpiert. Wirtschaftlich haben sich einige frühere Vertreter „ordentlich“ bereichert, und politisch waren sie oft doppelzüngig. Sie haben Gewalt in den eigenen Reichen geduldet, andererseits – um Israel zu gefallen – Gewalt allgemein bzw. den Terrorismus der Hamas verurteilt.
Als Arafat von der politischen Bühne und von der Bühne dieser Welt verschwunden ist, stand die Fatah plötzlich ohne ihren großen Heroen da. Übrig blieben verschiedene Clans, die sich mühsam im Gleichgewicht hielten. Der neue Präsident Abu Mazen dürfte zwar nicht in diese Machenschaften verwickelt sein. Er war und ist aber zu schwach, um der Fatah in den Augen der enttäuschten Palästinenser eine neue Glaubwürdigkeit zu geben.

Punkt – Satz – Sieg

Israel hat das Seinige dazu getan, um die Glaubwürdigkeit Arafats und der Fatah zu untergraben. Arafat wurde als – zugegebenermaßen schwieriger und nicht immer leicht zu durchschauender – Gesprächspartner demontiert und der Abzug des israelischen Militärs und damit der Besatzung aus dem Gazastreifen explizit nicht mit den Palästinensern bzw. der vor der Fatah geführten Behörde vereinbart bzw. koordiniert. So stand die Fatah mit leeren Händen vor der Bevölkerung und hatte bei den Wahlen nichts an Leistungen vorzuweisen.
In dieser Situation konnte die Hamas, die mit den einfachen PalästinenserInnen immer eng in Verbindung stand und auch viele soziale Unterstützungsmaßnahmen leistete, punkten.

Schwierige Ausgangsbasis für Europa

Wie soll nun der Westen, insbesondere Europa reagieren? Die Hamas als Bewegung hat sich auch bisher auf anderen Wegen finanziert. Ihr hat es an Waffen und sozialen Diensten nie gemangelt.
Wenn sie nun aber die Behörde – sprich die Regierung Palästinas – leitet, soll Europa die Verwaltung, die Sicherheitskräfte, die Investitionen in die Infrastruktur weiter finanzieren? Eines muss klar sein: Wir dürfen und können Terrorismus nicht finanzieren, das wäre absurd. Aber eine Verweigerung der Finanzierung der „öffentlichen Dienste und Investitionen“ in Palästina – zusätzlich zu den eigenen Einnahmen – würde die Hamas noch weiter in die Arme der Extremisten treiben. Daher sollten wir abwarten, wie sich deren Vertreter mit der Macht arrangieren und ob sie sich – zweifellos langsam und mit vielen Hindernissen und Rückschlägen – an eine „normale“ Regierungsverantwortung annähern.

P.S.

Gerade jetzt, da wir vor schwierigen Entscheidungen im Nahen Osten stehen und die Entwicklung im Iran uns große Sorgen bereitet, sorgt eine Karikatur des Propheten Mohammed in einer dänischen Zeitung für Zorn und Unruhe in der arabischen Welt.
Und der dänische Premierminister Anders Fogh Rasmussen hat es nicht verstanden, rechtzeitig und mit Vernunft zu reagieren. Er weigerte sich, die arabischen Botschafter in seinem Land zu empfangen und einen vernünftigen Dialog zu beginnen. Die Unterstützung seiner Regierung durch eine weit rechts stehende Partei hat ihn in Geiselhaft genommen. Dieser Konflikt hat uns wir in der jetzigen prekären Situation gerade noch gefehlt!

Brüssel, 26.1.2006