Partnerschaft mit Russland

Die Zusammenarbeit mit Russland wird eines der zentralen außenpolitischen Themen der EU in den nächsten Jahren sein.
Zwei Konferenzen, auf denen ich jeweils einen Redebeitrag hallten sollte, führten mich nach Berlin bzw. Potsdam. In Potsdam traf sich ein Gesprächskreis EU – Russland, der in der Folge kontinuierlich zu einem Meinungsaustausch zusammenkommen will.

Zusammenarbeit in der Nah-Ostpolitik

Mein Redebeitrag betraf die Möglichkeit, mit Russland in der Nah-Ostpolitik zusammenzuarbeiten. Ich konzentrierte mich dabei auf den Israel-Palästina Konflikt im engeren Sinne.
Dabei gibt es kaum gemeinsame, zum Teil sogar widersprüchliche Interessen. So hat Europa sowohl zu den Israelis als auch zu den Palästinensern ein sehr emotionelles Verhältnis. Für Russland ist es eher auf die russisch-jüdische Einwanderung nach Israel beschränkt. In der Terrorbekämpfungspolitik setzt Russland – ähnlich wie die Regierungen in Washington und Israel – auf die militärische Bekämpfung, während Europa eher die Ursachen und das Umfeld des Terrorismus positiv beeinflussen möchten.

Unterschiedliche, aber auch ähnliche Interessen

Für Europa steht im Verhältnis zum arabischen Raum zudem die Eindämmung der Migration im Zentrum der Politik. Für Russland ist dies keine wichtige Frage, ähnliches gilt für die gesamte wirtschaftliche, soziale und demokratiepolitische Entwicklung. Und was nun die Ölversorgung betrifft, ist Europa als großer Konsument an einer sicheren Versorgung zu niedrigen Preisen interessiert, Russland hingegen als großer Energieversorger in einer anderen, manchmal vielleicht konträren Situation. Insgesamt ist die Nah-Ost Region und Nordafrika Bestandteil – Objekt und Subjekt – der EU-Nachbarschaftspolitik – nicht so für Russland.
Wenn wir allerdings Iran und Afghanistan betrachten, dann ändert sich dieses Bild. Dann stoßen die europäischen und die russischen Interessen wieder aufeinander. So wurde von einem russischen Kollegen das wachsende Drogenproblem in Afghanistan angesprochen und von deutscher Seite die Versuche der atomaren Aufrüstung im Iran. In der Tat sollten beide Probleme sowohl Russland als auch der EU Sorgen bereiten, und eine nähere Zusammenarbeit könnte von großem Interesse für beide sein.

Akutfall Ukraine

Angesichts der aktuellen Ereignisse nach der umstrittenen Stichwahl in der Ukraine war es selbstverständlich, dass auch diese Thema auf die Tagesordnung kam.
Die Ukraine ist heute der Staat schlechthin, in dem die beiden Interessensphären sich begegnen und zu einer ideellen oder realen Spaltung des Landes führen können. Dabei meinte ein russischer Vertreter zur Kritik an Russland, dass wir die schwierige Lage des Landes und seiner führenden Vertreter nicht verstehen. Denn die USA und die EU expandierten politisch und geographisch, während Russland unter permanentem Druck stünde, weil es Einflusssphären verliert.
Nun wissen wir, dass es sich um eine Art Dekolonialisierungsprozess handelt. Aber im Falle Russlands betrifft dies vielleicht auch das Herzstück dieses Imperiums selbst: Russland. Daher sollten wir eine möglichst objektive eindeutige, klare und nachvollziehbare Haltung haben. Und wir sollten nicht einen Kandidaten gegen einen anderen unterstützen. Uns müsste es vor allem um die Garantie von freien, transparenten und korrekten Wahlen gehen. Und wenn Russland kein Interesse an einer Spaltung des Landes und an einem Bürgerkrieg hat, dann sollte es dieses Prinzip anerkennen und ihm zum Durchbruch verhelfen.

Top-Thema der nahen Zukunft

Die Zusammenarbeit mit Russland wird eines der zentralen außenpolitischen Themen der EU in den nächsten Jahren sein. Manche, vor allem aus einigen neuen Mitgliedsländern, drängen auf eine härtere Haltung der EU gegenüber Russland, andere wieder appellieren an die gemeinsamen Werte und Interessen.
Vielleicht – so meinte ich in meinem Schlusswort auf der Potsdamer Tagung – sollten wir nicht nach dem Motto „die gemeinsamen Werte und Interessen bestimmen die Zusammenarbeit“ handeln, sondern eher darauf bauen, dass die „Zusammenarbeit in konkreten Einzelfragen auch zu gemeinsamen Interessen und Werten führt“. Dieser pragmatische Ansatz würde uns vor so manchen Illusionen und Enttäuschungen bewahren.
Berlin, 27.11.2004