Partnerschaft mit Zentralasien?

asghabatVergangene Woche leitete ich für das EU-Parlament eine Delegation in ein Land, in dem Gas, Strom, Wasser, Salz und 120 Liter Benzin pro Jahr für die BürgerInnen kostenlos sind. Das muss zweifellos ein paradiesisches Land sein. Oder?

Kein Paradies…

Um die Spannung zu lösen, es ich war in Turkmenistan. Sicher ist es für die Menschen dort angenehm, diese Güter kostenlos zur Verfügung zu bekommen. Und die Landwirtschaft wird überdies massiv subventioniert. Aber dafür fordert der Staat auch eine totale Abhängigkeit und die Akzeptanz einer permanenten Kontrolle. Wie auch immer, es ist nicht leicht, dieses Land und sein politisches System zu bewerten und zu beurteilen. Man muss natürlich auch die asiatische Tradition, die Geschichte des Landes und nicht zuletzt die geografische Lage bei der Beurteilung zur Kenntnis nehmen.

Turkmenistans Bevölkerung setzt sich aus Menschen zusammen, die verschiedenen Stämmen angehören und natürlich gibt es aus der russischen bzw. sowjetischen Zeit viele RussInnen im Land und die russische Sprache ist weit verbreitet. Turkmenistan ist auch in der sowjetischen Zeit nicht besonders gut behandelt worden, im Gegenteil: Es hat immer eine untergeordnete Rolle gespielt. Nach der Unabhängigkeit hat der neue Präsident, der sich Turkmenbashi nannte, eine völlig nach Innen gerichtete Politik der Isolierung betrieben. Er entwickelte eine eigene „Philosophie“, die er in einem Buch als Staatsideologie (Rukhnama ) festlegte. Diese Morallehre mussten alle studieren und über sie werden auch noch heute unter seinem Nachfolger die SchülerInnen unterrichtet. Erst langsam wurde unter dem neuen Präsidenten eine sehr vorsichtige Öffnung begonnen, ohne die „Errungenschaften“ Turkmenbashis total zu verdrängen. Die goldenen Statuen des Turkmenbashi gibt es noch, aber sie sind nicht mehr so prominent plaziert.

Die geografische und geopolitische Lage

Man muss aber auch die geografische/geopolitische Lage Turkmenistans berücksichtigen. Neben Kasachstan und Usbekistan sind der Iran und Afghanistan die Nachbarländer. Diese Staaten sind keine Demokratien, zumindest nicht im westlichen Sinn. Und dann gibt es noch zwei große einflussreiche Länder in der Nachbarschaft: Russland und China. Beide tragen nicht zur demokratischen Entwicklung der Region und insbesondere von Turkmenistan bei. Daher ging auch die Frage einer Kollegin, was denn der Unterschied zwischen Weißrussland, das von der EU sanktioniert wird und Turkmenistan, das ein Partnerschafts und Kooperationsabkommen mit der EU bekommen soll, sei, an den Realitäten vorbei.

Auch Weißrussland hat ein autoritäres Russland im Rücken, aber es hat potentielle Partner im Westen, mit denen ein demokratischer Dialog entwickelt werden könnte. Diesen will Präsident Lukashenko aber eigentlich gar nicht, wie die jüngsten Maßnahmen gegen die Opposition einmal mehr klar machten. Der weißrussische Präsident war übrigens zu gleichen Zeit in Ashgabat und wohnte im selben Hotel wie wir. Ich weiß nicht, ob das ähnliche Verständnis von Demokratie oder die Energiebeziehungen die beiden Staatschefs mehr zusammengebracht hat, aber ich mag keines der beiden Systeme. Trotzdem erwarte ich mir von einem weißrussischen, also europäischen Land mehr als von einem asiatischen Land mit seiner speziellen Geschichte und einer Hauptstadt, die nur wenige Kilomater von der iranischen Grenzen entfernt liegt.

Einparteiensystem

Die so anders geartete Auffassung von Gespräch und Dialog zeigte sich gleich bei unserem ersten Treffen mit den „Parlamentariern“ des Landes. Bisher gibt es in Turkmenistan nur eine Partei. Zwar hat der Präsident des Landes das Parlament aufgefordert, die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Mehrparteiensystem zu schaffen, aber bisher ist das noch nicht geschehen. Und der Außenminister, den wir am nächsten Tag treffen sollten, meinte, schon jetzt könnten Personen eine andere Partei gründen, allerdings wollte das bisher niemand.

Aber zurück zum Gespräch mit den Parlamentariern. Dieses bestand in erster Linie in einem Vortrag der Parlamentspräsidentin über die Vorzüge des turkmenischen Systems, begleitet von weisen Anordnungen des Präsidenten. Lebendiger wurde es erst, als wir einige konkrete Menschenrechtsfragen anschnitten. Aber auch hier antworteten ausschließlich die Präsidentin und der ebenfalls anwesende erste stellvertretende Außenmister. Die Antworten fielen im Übrigen recht allgemein aus und waren defensiv gehalten. Ich ersuchte daraufhin, den Außenminister über unser Anliegen zu briefen, so dass wir am nächsten Tag ein produktives Gespräch führen könnten.

Langsame, aber eindeutige Besserung

Den Nachmittag und den Abend benutzten wir für Gespräche mit Vertretern der UN-Organisationen, die hier im Lande Projekte durchführen sowie mit Leitern von EU-Projekten. Alle diese Informationen bestätigten den Eindruck, dass die Verantwortlichen des Landes nur sehr widerwillig und zögerlich zu einer offenen und transparenten Zusammenarbeit bereit sind bzw. bereit sein dürfen.

Auch die Vertreter der anwesenden Wirtschaftsunternehmen klagten über Probleme, meinten aber, dass Unternehmungen mit einem entsprechenden finanziellen Rückhalt hier durchaus reüssieren können. Alle stimmten aber überein, dass sich die Lage – wenngleich sehr langsam, aber doch eindeutig – zum Besseren gewendet hat. Und alle waren – ebenso wie die BotschafterInnen aus den EU Ländern – sehr froh über unseren Besuch. Nur so könne man das Land zu weiteren Maßnahmen der Öffnung überzeugen.

Beim Außenminister

Am nächsten Tag besuchten wir eine russisch-turkmenische Schule, einige landwirtschaftliche Betriebe und das Landwirtschaftsministerium. Am wichtigsten jedoch war unser Gespräch mit dem Außenminister, das für eineinhalb Stunden angesetzt war, aber schließlich zweieinhalb Stunden dauerte. Manche Botschafter waren sogar überrascht, dass uns der Außenminister überhaupt persönlich zu einem Gespräch empfing. Auf die einzelnen vorgebrachten Fälle von verurteilten und gefangenen Menschenrechtsaktivisten ging er im Detail ein. „Natürlich“ waren das alles Kriminelle, die Menschenrechtsaktivitäten nur vorgaben. Ein Einziger, der aber angeblich auch seine Frau umgebracht hat, wurde am Tag zuvor aus der Psychiatrie entlassen. Auch sonst war das Gespräch nicht leicht und zum Teil heftig. Nur bei Fragen der Energieversorgung und der regionalen Entwicklung, inklusive der Zusammenarbeit bei der wichtigen Frage der Wasserversorgung, konnten wir eine große Übereinstimmung erzielen.

Selbstverständlich handelt es sich hier um wichtige Frage. Insbesondere die Frage der Diversifizierung der Energieversorgung ist mir ein großes Anliegen und das brachte ich auch in den Gesprächen zum Ausdruck. Dabei gibt es auch Schwierigkeiten, die Diversifizierungswünsche der Turkmenen hinsichtlich der Gaslieferungen mit jenen der EU hinsichtlich der Gasversorgung auf einen Nenner zu bringen. Denn auf europäischer Seite gibt es jedenfalls drei Player: Neben der EU sind das einzelne Mitgliedsstaaten und das Nabucco-Konsortium der einzelnen Gasunternehmungen. Und ich verstehe auch, dass Turkmenistan die Russen nicht verärgern möchte, bevor es fixe Zusagen für die Abnahme von Gas seitens der EU hat. Das Land will sich nicht zwischen zwei Sessel setzen und einen Abnahmeboykott von Gazprom provozieren.

Partnerschafts- und Assoziierungsabkommen: ja oder nein?

Für uns ParlamentarierInnen steht eine schwierige Entscheidung an: sollen wir dem ausgehandelten Partnerschafts- und Assoziierungsabkommen zustimmen oder nicht? Nun, der Name verspricht mehr, als das Abkommen in der Realität bedeutet. Es geht im Wesentlichen um eine verstärkte Zusammenarbeit. Für uns oder jedenfalls für mich stellt sich die Frage, wie wir am besten zu einer demokratischen Entwicklung in diesem Land beitragen können. Dabei habe ich keine Illusionen, dass es sich dabei um einen sehr langsamen Prozess in kleinen Schritten handelt. Alles andere wäre ein Wunder. Ich bekenne, dass ich immer für ein starkes Engagement bin, allerdings müssen die Menschenrechtsfragen dabei eine große Rolle spielen. Und natürlich sind dabei die besonderen Bedingungen und Gegebenheiten zu berücksichtigen. Wir müssen uns außerdem hüten, als Oberlehrer aufzutreten, die alles besser wissen. Darüber hinaus müssen wir auch immer jene vor Ort ausfindig machen, die im Lande selbst die Demokratie voran bringen wollen und diese Menschen nach Kräften unterstützen.

Die Entwicklung in Nordafrika und dem Nahen Osten haben an dieser meiner Haltung nichts geändert. Wir hätten in manchen Fällen mehr Kontakte zu den potentiellen Oppositionellen knüpfen können. Aber auch diese waren nicht immer leicht verifizierbar. Unser Engagement in mehreren Ländern hat jedenfalls keineswegs revolutionäre Entwicklungen verhindert. Ein Mangel von Engagement und Dialog, auch mit den offiziellen Stellen autoritär regierter Länder, ist keine Garantie für eine rasche Entwicklung in Richtung Demokratie und Menschenrechte. Nochmals, ich kann nicht erkennen, dass es zu mehr Respekt gegenüber den Menschenrechten und der Meinungsfreiheit kommen würde, würden wir die Turkmenen den Chinesen und den Russen als deren wichtigste Partner überlassen.

Behutsame Öffnung ist notwendig

So verließ ich die in den letzten Jahren aus dem Boden gestampfte turkmenische Hauptstadt Ashgabat mit gemischten Gefühlen. In Turkmenistan erkenne ich gewissermaßen eine „Wohlfahrtsdiktatur“: Kostenloses Wasser, Gas, Salz und kostenlose Energie (inklusive Treibstoff) gegen Überwachungsstaat und politisches Monopol des Präsidenten. Wer sich dem nicht fügt, muss mit Gefängnis rechnen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dieses System – vor allem nach den Erfahrungen in der Sowjetunion – derzeit(!) auf großen Widerstand stößt. Mit einer Öffnung des Landes wird sich das ändern. Darum auch der Widerstand gegen eine allzu rasche Öffnung. Wir sollten dabei helfen, dass es diese Öffnung gibt, aber auch ich habe kein Interesse daran, dass alle positiven Traditionen verloren gehen. So zum Beispiel die genossenschaftlichen Traditionen in der Landwirtschaft und die gemeinschaftlichen familiären Strukturen. Vielleicht sind das fromme Wüsche, aber ich würde das jedenfalls dem Land und seinen Menschen wüschen. Nicht alles, was vom „modernen“ Europa kommt, ist ein Fortschritt.

Postscriptum

Auf dem Weg nach Turkmenistan machte ich einen Zwischenstopp in Istanbul. Langsam beginnt auch hier der Wahlkampf seine Spuren im Straßenbild zu hinterlassen. Als visionäres Projekt – oder als Wahlkampfgag, wie die Opposition meint – hat Premierminister Erdogan einen Bosporus Kanal angekündigt, der den durch den Schiffsverkehr überlasteten Bosporus entlasten soll. Es ist ein Mega-Projekt, das schon einige Male vorgeschlagen wurde, das aber nun von einer auch wirtschaftlich starken Türkei verwirklicht werden soll.

Istanbul ist nun wesentlich moderner, aufgeschlossener und kulturell vielfältiger als die zuvor von mir besuchte Region Süd-Ost-Anatolien. Und vor allem die Rolle als Europäische Kulturhauptstadt 2010 hat deutliche Spuren hinterlassen. Aber sowohl die Renaissance und Renovierung des islamischen Erbes als auch die nationalistische Tradition, die Atatürk begründete, ist im Stadtbild präsent.

Kemalismus und Islam

So werden in einer Ahnengalerie mit Atatürk als End- und Höhepunkt neben anderen Vorfahren wie Osmanbey sowohl Timur als auch Attila mit einer Skulptur präsentiert. Und nach wie vor ist Atatürk durch eine seiner heroischen Darstellungen sichtbar. Es gibt eigentlich kein Land, in dem der Staatsgründer dermaßen im alltäglichen Leben präsent ist. Und sicher schauen die Kemalisten und vor allem das Militär darauf, dass dies so bleibt.

Auf der anderen Seite wurde die Kulturhauptstadt auch dazu genutzt, das islamische Erbe und vor allem die vielen Moscheen zu renovieren und zu pflegen. Und das kann man ja nicht kritisieren. Aber auch diese Renaissance hat ihre politische Bedeutung. Denn sie soll zeigen, dass die heutige Türkei ihre Wurzeln und ihre Bestimmung nicht nur in der Revolution der Jungtürken und in Atatürk hat. Mindestens ebenso wichtig sind die osmanische Tradition und vor allem der türkisch geprägte Islam.

Brücken bauen

Neben vielen aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Fragen, die in der politischen Auseinandersetzung eine Rolle spielen, bleibt diese gesellschaftliche Auseinandersetzung immer auf der Tagesordnung. Es geht um die Bedeutung des säkularen Staates auf der einen Seite und um die Rolle der Religion und die religiösen Freiheiten auf der anderen Seite. Es geht allerdings auch um eine engstirnige nationalistische Orientierung der Türkei und um die Anerkennung der kulturellen und ethnischen Vielfältigkeit im eigenen Land.

Wenige verstehen es hier, Brücken zu schlagen. Staatspräsident Gül hat es jedenfalls angesichts des Beschlusses der obersten Wahlbehörde verstanden, solche Brücken zu schlagen und die antikurdischen Beschlüsse wurden rückgängig gemacht. Abdullah Gül ist sicher nicht so stark wie Premierminister Erdogan, aber er ist ein Glück für die Türkei und hat eine historische Aufgabe der Versöhnung.

Asghabat, 30.4.2011