Postskriptum

Wir benötigen den intuitiven Dialog zwischen verantwortungsvollen Vertretern der einzelnen Religionen heute dringender denn je.
Die Debatte über die Rolle des Islam geht weiter. Allein, wenn ich die Zeitungen der vergangenen Tage betrachte, merke ich, dass Europa hier vor einem wirklichen Problem steht.

Islam-Konferenz in Kuala Lumpur

Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Zum teil gibt es Aufrufe, den Islam stärker zu respektieren und seitens Europas weniger selbstgefällig zu sein. In Kuala Lumpur in Malaysien dürfte vor einiger Zeit eine Tagung stattgefunden haben, an der verschiedene Vertreter der islamischen Welt teilgenommen haben. Unter ihnen war auch Mustafa Ceric, wenn ich Le Monde Glauben schenken darf.
Auf dieser Tagung haben sehr viele aufgeklärte Islame gesprochen. Sie wiesen auf die muslimische Tradition in Europa, etwa in Andalusien, ebenso hin wie auf die Gegenwart. Zugleich waren sie selbstkritisch genug zuzugeben, dass auch im heute hervorgebrachten Islam manches zugedeckt, verheimlicht oder überdeckt wird und die Mängel in den islamischen Gesellschaften nicht zur Kenntnis genommen werden. Und sie gestanden ein, dass viele im Namen des Islam sprechen wollen, obwohl dies eigentlich gar nicht möglich ist, weil auch hier jeweils unterschiedliche Interpretationen stattfinden.

Hetzkampagnen

Eines sollte uns klar sein: Europa kann sich nicht abschotten oder künstliche Grenzen ziehen. So meint beispielsweise Gunter Hoffmann in „Die Zeit“: „Hat es sich endlich hinreichend herumgesprochen, dass der Irak, ja auch Iran und Afghanistan in unserer Nähe sind, Nachbarn unseres Nachbarn Türkei? Dass ein Gottesstaat in Bagdad, ein vom verschärften Bürgerkrieg zerrissenes Land, ja sogar ein einigermaßen demokratisches Regime ein gewaltiges europäisches Problem bleiben werden? Noch lange, wenn die USA sich einmal zurückgezogen haben sollten.“
Vor diesem Hintergrund ist es besonders grotesk, traurig und verdammenswert, in „Le Monde“ zu lesen, dass in der polnischen Stadt Posen Plakate affichiert werden, auf denen zu lesen steht, dass christliche Menschen durch die Hände der Muslime umgebracht worden sind. Zugegeben, es hat Morde und Tötungen – vielleicht auch aus religiösen Gründen – gegeben. In Pakistan, in Tunesien, in Ägypten, in Niger, in der Demokratischen Republik Kongo und in der Türkei. Heute aber derartige Plakate zu produzieren und zu affichieren, mit dem Hinweis, dass Christen durch Muslime umgebracht wurden, ist eine Maßnahme zum Aufhetzen gegen den Islam bzw. die Muslime als solches. Denn auch viele Muslime werden durch Christen getötet, zum Beispiel im Irak, etc.

Gefährliche Zerrbilder

Europa sollte sich hüten, derartige Zerrbilder darzustellen. Ich erinnere mich noch an die alten Zerrbilder, die von den Katholiken bzw. dem Katholizismus dargestellt wurden: Christus ist von den Juden umgebracht worden. Und heute werden die Christen von den Islamen umgebracht. Es ist hoch an der Zeit, eine vernünftige und ausgewogene Position darzustellen.
Das Töten von Christen durch Islame, von Islamen durch Christen, das Foltern und Zurücksetzen – all das dürfen wir heute nicht tolerieren. Aber es sind nicht die Christen, die Islame töten, und es sind nicht die Islame, die ihrerseits Christen in verschiedenen Ländern töten. Diese Untaten werden vielmehr von irregeleiteten Fanatikern oder von Militärs, die auf Befehl von oben handeln, vollzogen. Insofern benötigen wir den intuitiven Dialog zwischen den verantwortungsvollen Vertretern der einzelnen Religionen heute dringender denn je. Es bleibt zu hoffen, dass sich genügend Menschen finden, die diese Rolle übernehmen und mit Überzeugungskraft daran arbeiten.

Sarajewo, 3.3.2006