Quo vadis, Albanien?

Das Hauptübel, das es in Albanien zu bekämpfen gilt, ist die Korruption. 
Dienstags früh ging es weiter nach Albanien, und zwar mit dem Bus. Die Fahrt war abenteuerlich und lehrreich. Auf mazedonischer Seite ging es vor allem durch das albanisch besiedelte Gebiet und entlang des Ochrid-Sees.
Die Grenze zwischen Mazedonien und Albanien ist an dieser Stelle nicht nur eine sichtbare Grenze zwischen zwei Ländern, sondern auch eine Grenze zwischen Arm und Reich – jeweils für balkanische Verhältnisse. Es war eine deutliche Verschlechterung bemerkbar, nicht nur, was den Straßenzustand betrifft, der insbesondere nach den Regenfällen der vergangenen Tage gelitten hatte. Dies führte auch aufgrund einer weggeschwemmten Brücke vor Tirana zu einem Umweg über Durres. Aber vorher war außerdem unser an der albanischen Grenze getauschter Bus zusammengebrochen und wir mußten auf einen neuen, funktionstüchtigen Bus warten.

Deprimierende Eindrücke

Die Hafenstadt Durres habe ich bereits zweimal besucht, zuletzt anläßlich der Wahlbeobachtung. Leider haben sich die äußeren Verhältnisse seither zumindest nicht verbessert. Die Stadt liegt malerisch und hat einen an und für sich schönen Strand. Aber die Verschmutzung der Landschaft ist dermaßen stark, daß kaum ein Tourist bereit sein dürfte, zur Erholung nach Durres und Umgebung zu kommen. Es war jedenfalls eine letztendlich deprimierende Fahrt von Skopje nach Tirana, obwohl die Stimmung unserer Delegation im Bus durchaus gut war und obwohl es durch eine schöne Landschaft und durch Städte, deren Straßen zum Teil mit Palmen gesäumt sind, ging.
Daran war es also nicht gelegen. Aber der Blick aus dem Fenster des Busses auf die Arbeitslosen zwischen den verfallenen Häusern hat uns nicht hoffnungsfroh gemacht.
Die Gespräche in Tirana haben unseren Eindruck nicht wirklich geändert. Ich sah viele bekannte Gesichter, die sich – jedenfalls zum Teil – auch freuten, mich wiederzusehen. Aber viele von ihnen standen in Opposition zu den wiedergewählten alten Parteiführern – Nano auf der Seite der Sozialisten und Berisha auf der Seite der Demokraten.
Während Berisha mit 99% gewählt wurde, wurde Nano auf dem Parteitag nur knapp dem amtierenden Ministerpräsidenten Majko vorgezogen. Dieser trat daraufhin zurück und sein Stellvertreter Mehta wurde zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Auch er ist so wie Majko ein Reformer, aber wird er sich gegen Fatos Nano im Fall des Falles durchsetzen können? Solange der Innenminister Poci heißt, so meinten alle unsere Beobachter und Gesprächspartner, wird dies möglich sein. Er scheint ein allseits anerkannter, über jeden Zweifel erhabener Politiker zu sein, der einen mühsamen Kampf für Sicherheit und gegen die Korruption führt.

Korrupte Polizei

Dennoch, die Polizei ist schlecht bezahlt und in einem Land wie Albanien gibt es immer viele Versuchungen, das Gehalt auf illegale Weise aufzubessern. Sowohl im Gespräch mit Ministerpräsident Mehta, das Doris Pack und ich führten, als auch in der allgemeinen Diskussion unserer Delegation mit Minister Poci schnitt ich daher die Frage der Ausbildung und der Bezahlung der Polizei an.
Denn wenn die WEU Polizisten ausbildet, was begrüßenswert ist, aber keinen Einfluß auf die Rekrutierung der Auszubildenden hat und nicht wirklich weiß, wie viele nach der Ausbildung tatsächlich bei der Polizei bleiben, dann ist das zumindest problematisch. Ja, eigentlich sollte der Westen eine solche Maßnahme unter diesen Voraussetzungen nicht finanzieren. Denn wir sollten die Gewißheit, zumindest die hohe Wahrscheinlichkeit haben, daß das Geld effizient und effektiv eingesetzt wird.
Natürlich wollen und sollen wir nicht überall dreinreden, aber die Ausbildung der Polizei, falls vom Westen finanziert, sollte auch zu Erfolgen führen. Und das ist nur bei anständiger Bezahlung der Polizei möglich. Gegen diese Tatsache sollte sich auch nicht der Weltwährungsfonds in sturer Verfolgung seiner monetaristischen Konzepte wehren. Denn Korruption tut keiner Wirtschaft gut – auch nicht der vom IWF unterstützten Privatwirtschaft.

Überfällige Kampfansage

Das war jedenfalls auch die Meinung jenes deutschen Unternehmers, der neben mir im Flugzeug auf dem Rückflug nach Wien saß. Sein Bild von Politik und Wirtschaft in Albanien war aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen sehr, sehr negativ. Auch seiner Meinung nach müßten die Geberländer, vor allem aber die EU, strengere Bedingungen stellen und der Kampf gegen das Hauptübel, die Korruption, müßte im Vordergrund stehen.
Dabei bleibt allerdings klar: Die Albaner müssen diesen Kampf selbst wollen und auch führen. Denn abgewandelt gilt in diesem Zusammenhang das Wort von Präsident Clinton anläßlich seines letzten Besuches im Kosovo: „Wir haben den Krieg gewonnen, aber nur Sie können den Frieden gewinnen“. Wir können die Gutwilligen am Balkan unterstützen und ihnen Geld geben, aber sie müssen auch den Willen und die Stärke haben, eine Veränderung ihrer politischen und wirtschaftlichen Landschaft zu erreichen.
Das braucht sicherlich Zeit, aber Fortschritte müßten in der Region und auch außerhalb sichtbar sein.
 
Tirana, 23.11.1999