Rechtspopulismus – eine zentrale europäische Herausforderung

Swob_WienTag_040601_Zinner-235Unter diesem Titel hielt ich auf Einladung der sozialdemokratischen Landtagsfraktion Schleswig-Holstein ein Referat bei einer Tagung in Kiel. Ich gab dem vorgebenden Titel einen Untertitel: „Die Zerstörung Europas“. Natürlich meinte ich damit nicht die physische Zerstörung unseres Kontinents, sondern die Zerstörung des politischen und wirtschaftlichen Projekts der europäischen Einigung.

1) Elemente des Rechtspopulismus

a) Nationalismus
Rechtspopulisten sind immer auch Nationalisten. Dabei hat sich der Nationalismus, jedenfalls im westlichen Teil Europas, durchaus gewandelt. Es geht nicht mehr primär um Deutsche gegen Franzosen oder Engländer gegen Spanier. Aber die heutigen Nationalisten sind überzeugt, dass die anstehenden Probleme nur auf der nationalen Ebene gelöst werden können und wir Europa nicht brauchen. Daneben allerdings gibt es, insbesondere im Osten des Kontinents, noch den klassischen Nationalismus, am ausgeprägten bei Viktor Orban in Ungarn.
b) Populismus
Dieses Element der rechten Szene bedeutet, dass sich deren Vertreter als die wahren und einzigen Sprecher des Volkswillens verstehen. Alle anderen, vor allem die Sozialdemokraten, sind Verräter am echten Willen des Volkes. Sie vertreten die Interessen einer kleinen Elite. Man solle das Volk nur abstimmen lassen, dann würden die wahren Wünsche schon zum Ausdruck kommen. In der aktuellen Debatte geht es bezüglich der Griechenlandhilfe vor allem um „unser Geld für unsere Leute“.
c) Diskriminierung
Rechtspopulisten diskriminieren immer einen Teil der Bevölkerung. Es gibt die Guten und die Anderen. Die Guten sind die „Inländer“ und die „Christen“. Die Anderen sind die Zuwanderer, auch zum Teil aus vergangenen Jahrhunderten, wie die Roma und vor allem die Muslime. Diese werden kurzerhand zu Islamisten, Fundamentalisten und, wenn geht, auch noch zu Terroristen ernannt. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass zum Beispiel von den 2010 registrierten 294 körperlichen Attacken nur eine von islamistischer Seite stammt!
d) Zweckgerichtete Aneignung von europäischen/universalistischen Werten
Die Rechtspopulisten haben sich seit einiger Zeit angewöhnt, die in Europa mühsam erkämpften Errungenschaften, vor allem gegen MigrantInnen, zu verteidigen. So verteidigen sie die Rechte der Frauen und des säkularen, laizistischen Staates gegen die Muslime und verstoßen dabei selbst oftmals gegen den Wert der Religionsfreiheit.
e) Starker Staat – Schwacher Staat
Die Rechtspopulisten setzen auf einen schwachen Staat hinsichtlich der Wirtschafts- und Sozialpolitik, jedenfalls in der Praxis. Aber bei der Justiz und Exekutive vertreten sie einen starken Staat. Vor allem, wenn es um die Zuwanderung geht bzw. um die Abschiebung „krimineller Ausländer“.
f) Demokratieabbau
Die Rechtspopulisten sind direkte Vertreter des Volkes. Sie brauchen weniger repräsentative Elemente der Demokratie. Meinungs- und Pressefreiheit sind ihnen, wie man zum Beispiel Ungarn sieht, nicht so wichtig. Und wo geht, versuchen sie die Medien direkt zu beeinflussen. Entweder durch Besitz wie bei Berlusconi oder durch persönliche Vernetzungen wie bei Sarkozy. Auch Rechtsbeugung und überfallsartige Änderungen der Verfassung gehören zum Instrumentarium der Rechtspopulisten.

2) Begünstigende Faktoren für den Rechtspopulismus

a) Verengung bzw. Aufspaltung der Mittelklasse
Der Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg wurde vor allem von einer Stärkung der Mittelklasse getragen. Diese war auch selbst immer wieder vom wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg betroffen. Gerade dieser Aufstieg ist vor allem durch die Wirtschaftskrise betroffen. Die Angst, selbst oder für die Kinder diesen Aufstieg nicht mehr erleben zu können, führt zu die Menschen oftmals in die Hände der Rechtspopulisten.
b) Individualisierung, Entsolidarisierung und Rebellentum
Soziale Bindungen werden aufgelöst, solidarischen Organisationen wie auch die Gewerkschaften werden entwertet. Man glaubt sich allein durchsetzen zu müssen, wenn notwendig auch mit nicht-legalen Mitteln. Man muss sich holen, was einem zusteht.
c) There is no alternative
Vor allem wirtschaftliche Entscheidungen werden heute oftmals als alternativlos dargestellt. Sachzwänge werden ohne Erläuterung an die Bevölkerung weitergegeben. Diskussion und Vermittlung seitens der Politik findet oft nicht statt.
d) Globalisierungsgewinner versus Globalisierungsverlierer
Es gibt immer einige, die mit der Globalisierung gut zu Recht kommen, aber es gibt auch die Verlierer der Globalisierung und des technischen Fortschritt. Wenn sich Politik zu wenig darum kümmert, freuen sich die Rechtspopulisten.
e) Angst
Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes, eines guten Einkommens etc. führt immer nach Rechts. Über den Nationalismus, über die Gegnerschaft zu den Ausländern, zu Roma etc. Sündenböcke sind leicht gefunden und werden jedenfalls von den Rechtspopulisten angeboten. Heute ist vor allem Europa ein beliebter Sündenbock.
f) Medienentwicklung
Die Rechtspopulisten haben es in vielen Fällen verstanden – sie haben auch viel Geld –, Zugang zu den Medien zu finden. Oftmals hilft ihnen die Boulevardpresse in der Beeinflussung der Bevölkerungsmeinung.

3) Was kann, was muss die Sozialdemokratie gegen den Rechtspopulismus unternehmen?

a) Wir müssen Ungleichheit wieder zum Thema machen, vor allem da sie gewachsen ist und die soziale Frage neu stellen. Gegen Angst brauchen wir auch in schwierigen Zeiten soziale Sicherheit.
b) Wir brauchen ein Bekenntnis zu Diversität und Vielfältigkeit der Gesellschaft. Die diskriminierende Haltung der Rechtspopulisten gegen Ausländer, Minderheiten etc. muss nicht nur abgelehnt werden, wir müssen uns zur Vielfalt und Unterschiedlichkeit als positiv bekennen.
c) Das Bekenntnis zu Werten ist mit kultureller Buntheit vereinbar. Selbstverständlich sollen wir von allen Menschen in unserem Europa ein Bekenntnis zu unseren Werten und erkämpften Errungenschaften verlangen. Multikulti heißt nicht Beliebigkeit der Werte.
d) Wir müssen Alternativen aufzeigen. Menschen wollen Alternativen sehen und vorgelegt bekommen. Man muss immer die alternativen Lösungsmöglichkeiten und deren Konsequenzen aufzeigen, auch und gerade angesichts der jetzigen Wirtschaftskrise und der Hilfe für einige Staaten.
e) Wir müssen die Unterschiede zwischen Links und Rechts klar machen. Nicht alles passt in ein Links-Rechts-Schema. Aber es gibt unterschiedliche Ansätze. Die jetzige Debatte um die Einkommens- und Vermögensunterschiede zeigt dies deutlich.
f) Es gilt, das Vertrauen wieder herzustellen. Gerade die Linke muss versuchen, das verlorengegangene Vertrauen in die Politik wieder herzustellen. Konsequent müssen wir gegen Korruption vorgehen und einen offenen Diskurs führen.
g) Keine Toleranz gegen Demokratieabbau! Wo immer Demokratie abgebaut und ausgehöhlt wird, müssen wir uns wehren. Und wir müssen auch ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Freiheit bewahren.
h) Wir müssen eine konsistente „Geschichte erzählen“. Wir brauchen pragmatische Entscheidungen und Handlungen. Aber das genügt nicht. Wir brauchen auch eine konsistente Vorstellung von unserer zukünftigen Gesellschaft. Vor allem müssen wir wieder eine überzeugende Geschichte der europäischen Einigung erzählen.

Natürlich konnte ich bei der Tagung in Kiel nur eine kurze Skizze meiner Vorstellungen liefern. Der Rechtspopulismus ist vielfältig und so müssen auch die Antworten differenziert werden. Aber wichtig ist, dass wir Antworten geben und uns nicht mit Kritik und Ablehnung begnügen. Wir brauchen eine Vorstellung von der Zukunft und müssen sie in einer überzeugenden Geschichte erzählen. Aber diese muss natürlich mit unserer praktischen Politik übereinstimmen.

Wien, 2.10.2011