Russland bleibt auf der EU-Agenda

P1010057Beim Besuch des polnischen Außenministers Radosław Sikorski im Straßburger EU-Parlament kamen wir auch auf Russland zu sprechen. Wie könnte es auch anders sein bei einem Treffen mit einem polnischen Politiker. Dabei hat sich auch nach den Worten des polnischen Außenministers und Vertreters der zukünftigen Präsidentschaft das Verhältnis zu Russland stark verbessert. Aber man ist wachsam und nach den Ereignissen in Nordafrika generell wieder stärker an der Demokratisierung in der Nachbarschaft der EU interessiert.

In der Tat, die Kombination einer pragmatischen Politik der Zusammenarbeit und einer werteorientierten Kritik an Russlands internen Entwicklungen ist nicht leicht, aber notwendig. Die Resolutionen des Europäischen Parlaments haben meist die Kritik im Mittelpunkt, wie auch jene der vergangenen Woche (Link). Aber es gibt noch andere wichtige Argumente für die Gestaltung unseres Verhältnisses zu Russland. Insbesondere angesichts des Besuchs von Premierminister Putin in Brüssel sollen dazu einige Gedanken formuliert werden.

Schwierige Voraussetzungen

Angesichts der Rolle Russland innerhalb der Sowjetunion und des unklaren Verhältnisses zur eigenen Vergangenheit ist es schwer, ein stabiles, langfristiges Verhältnis der Partnerschaft und der Zusammenarbeit mit Russland zu finden. Und Russland fühlt sich noch heute als eine Großmacht, obwohl weniger seine Macht als seine Schwierigkeiten und Defizite groß sind. Es hat eine sehr einseitig auf seine natürlichen Ressourcen, vor allem auf dem Energiesektor, ausgerichtete Wirtschaftsstruktur. Es hat eine katastrophal negative demographische Struktur. Und bei der Entwicklung der Demokratie und im Kampf gegen die Korruption gibt es kaum Fortschritte.

Allerdings wollen viele Verantwortliche an der Spitze des Staates auch keine Fortschritte. Sie leben besser in einem intransparenten System der Beziehungen mit gegenseitigen Abhängigkeiten. Und Präsident Medwedew konnte bisher nur begrenzte Erfolge seiner Demokratiebemühungen aufweisen. Es gab gerade bei der Gesetzgebung hinsichtlich verschiedener Organisationen der Zivilgesellschaft auch Rückschritte.

Konstruktive Kritik üben

Anderseits bleibt Russland ein wichtiger Nachbarstaat und potentieller strategischer Partner. Und es liegt auch in unserem Interesse, Russland zu helfen, sich wirtschaftlich, sozial und demokratisch zu entwickeln. Dabei darf man sich keine Wunder erwarten. Die Entwicklungen gehen langsam und es ist – zumindest aus heutiger Sicht – keine vergleichbare Entwicklung wie in Nordafrika zu erwarten.

Auch die nationalistische Karte, die in Russland immer wieder gegen die Terroristen aus dem Kaukasus und andere „Fremde“ ausgespielt wird, hilft der herrschenden Führung. So ist eine Neuauflage der „Russischen Revolution“ 100 Jahre nach der bzw. den ersten Revolutionen nicht zu erwarten. Wir sollten weiter die wenigen, wenngleich schwachen, demokratischen Bewegungen unterstützen und auf die Mängel der Demokratie und der Medienfreiheit hinweisen. Aber gleichzeitig muss die EU versuchen, zu einer verstärkten Zusammenarbeit im beiderseitigen Interesse zu kommen.

Modernisierungspartnerschaft

Einerseits geht es um die von Russland angebotene Modernisierungspartnerschaft. Russland muss den Weg von der einseitigen Wirtschaftsstruktur auf der Basis von seinen Energievorhaben in Richtung einer modernen wissensbasierten diversifizierten Wirtschaft gehen. Dabei kann Europa sicher helfen, denn unsere Schwierigkeiten mit der Erreichung der eigenen Ziele stehen in keinem Vergleich zu den russischen Schwierigkeiten. Der Versuch, in Skolkovo eine Art russisches Silicon Valley aufzubauen, ist dabei durchaus zu begrüßen. Allerdings wird das nicht genügen.

Die Reformen müssen breiter angelegt werden. Denn wie eine Meinungsumfrage eines russischen Instituts unter Spitzenkräften aus Politik und Wirtschaft zeigt, ist die Einschätzung der Entwicklung von Gerechtigkeit sowie von Rechtsstaatlichkeit, aber auch der Effizienz der Politik durchwegs negativ. Manche Industrien sind in der Krise einfach weggebrochen. Und auch wenn die Einnahmen aus den Energieexporten wieder zugenommen haben, braucht auch der Energiesektor dringend Kapital und neue Technologien.

Energiepartnerschaft

Die Energie sollte im Übrigen ein Feld der Zusammenarbeit sein. Wir brauchen vor allem Gas aus Russland, und Russland braucht die Nachfrage aus Europa. Aber so wie wir nicht abhängig sein wollen von der russischen Versorgung, so versucht Russland auch mit China und anderen Ländern ins Geschäft zu kommen.

Das sollte uns allerdings nicht hindern, zu klaren Grundsätzen einer fairen und transparenten, gegenseitigen Zusammenarbeit zu kommen und dies auch in einer Vereinbarung niederzuschreiben .Dabei sind auch die Transitländer wie die Ukraine mit einzubeziehen. So könnten für alle Beteiligten schädliche Ereignisse, wie sie zweimal durch die Unterbrechung der Gasversorgung nach Europa stattgefunden haben, verhindert werden.

Zu kurzsichtig

Grundsätzlich sollten wir versuchen, über und mit unseren gemeinsamen Nachbarn sinnvolle Gespräche zu führen. Die EU hat durch ihre Nachbarschaftspolitik und die „Östliche Partnerschaft“ ihr Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit den Ländern östlich unserer Grenzen gezeigt. Russland sieht diese Programme mit Argusaugen und manche innerhalb der EU sehen sie auch durchaus als gegen Russland gerichtet. Aber das ist sehr kurzsichtig.

Ja, wir sollen unser Interesse an der engen Zusammenarbeit mit unsern Nachbarn nicht leugnen. Es liegt in unserem Interesse, bei der wirtschaftlichen, sozialen und demokratischen Entwicklungen in den Ländern der Nachbarschaft mitzuhelfen. Dabei sind unsere vor allem auch finanziellen Mittel ohnehin begrenzt. Dennoch müssen wir eine solche Strategie der Unterstützung tatkräftig umsetzen, denn die Entwicklung dieser Länder unter russischer Schirmherrschaft ist angesichts der eigenen Probleme Russlands keine attraktive Alternative. Letztendlich liegt es an den Ländern unserer gemeinsamen Nachbarschaft, aus dem Wettbewerb zwischen der EU und Russland entsprechenden Nutzen zu ziehen.

Enge Sicherheitskooperation

Dieses Ringen um die Sympathie und die Unterstützung der gemeinsamen Nachbarn darf eine enge Sicherheitskooperation mit Russland nicht verhindern. Präsident Medwedew hat dazu einige grundsätzliche Vorschläge gemacht. Bisher fehlen entsprechende interessante Antworten seitens der USA und Europa.

Sicher wollen wir keine Schwächung der OSCE, vor allem auch hinsichtlich der Demokratisierung und der Wahlbeobachtung. Und die Nato wird in ihrer Zusammenarbeit mit Russland diesem Partner auch kein Veto einräumen. Aber ein ständiger Dialog mit Russland über gemeinsame Sicherheit in unserer Nachbarschaft wäre für alle von großem Vorteil – auch für manche, die einen solchen Dialog skeptisch sehen wie zum Beispiel Georgien.

Bekämpfung des Terrorismus

Auch die Bekämpfung des Terrorismus muss ein Feld der Zusammenarbeit sein. Die terroristischen Anschläge gegen die Zivilbevölkerung in Russland sind gemeine Verbrechen. Aber die Reaktionen vieler russischer Politiker und vor allem der lokalen Herrscher in Regionen wie in Tschetschenien sind oftmals keine Hilfe gegen den Terrorismus, sondern bringen den Terroristen sogar neuen Zulauf. Die Rechtsstaatlichkeit ist nicht nur allgemein ein hohes Gut, sondern erweist sich gerade in solchen Krisen und Gefährdungssituationen als unentbehrlich.

Die Terroristen wünschen sich nichts mehr als das Abgehen vom Rechtsstaat. Und das sollte Russland auch bei Gerichtsverfahren wie jenem gegen Chodorkowski bedenken. Und wir sollten diese Bedenken Russland in aller Offenheit mitteilen, ohne allerdings Sympathien für die Terroristen oder auch für die Machenschaften russischer Oligarchen zu äußern. Allerdings sollten wir uns faire und transparente Verfahren gegen all diejenigen wünschen, die sich auf Kosten der Bevölkerung und gegen die Gesetze verstoßend bereichern – unabhängig davon, ob sie Freunde von Putin sind oder nicht. Generell sollten wir an einer gesunden langfristigen Entwicklung bei unserem größten Nachbarn interessiert sein.

Wien, 20.2.2011