Russland: Die EU bewegt sich

Die EU muss eine Kooperationsstrategie mit unseren Nachbarn, die ja auch die Nachbarn Russland sind, entwickeln.
Die EU hat jüngst beschlossen, die Gespräche mit Russland wieder intensiver zu führen. Nach dem Krieg im Südkaukasus hatte sie ja, insbesondere unter dem Druck einiger „neuer“ Mitgliedsstaaten, aber auch von Ländern wie Schweden und Großbritannien, die Gespräche mit Russland über ein neues Kooperations- und Partnerschaftsabkommen eingefroren.

Einseitige Argumentation

Ich will jetzt nicht beurteilen, ob dies berechtigt gewesen ist oder nicht – sicher gab es einige gute Gründe dafür. Gestört hat mich nur die Einseitigkeit der Argumentation einiger unserer PolitikerInnen, die allein in Russland einen Verantwortlichen für die Krise sahen. Inzwischen sind ja in einigen amerikanischen Zeitungen ausführliche Berichte der unabhängigen Beobachter vor Ort erschienen. Und dabei ergibt sich ein ganz anderes Bild als dies von der Regierung Georgiens gezeichnetworden ist. Diese Berichte über die Bombardierungen der ossetischen Hauptstadt durch das georgische Militär wurden allerdings keineswegs so ausführlich gebracht wie die stark von georgischer und amerikanischer Seite gefärbten Berichte über die russischen Expansionsbestrebungen und die russische Okkupation.
Wie ich schon bei früheren Gelegenheiten festgestellt habe: Russland verhält sich als Großmacht, und Großmächte haben generell eine eigene Art, sich angegriffen zu fühlen und tendieren immer zu unverhältnismäßigen Reaktionen. Und sie haben geringes Vertrauen in multilaterale Organisationen, jedenfalls dann, wenn nicht sicher ist, dass sie auf ihrer Seite stehen. Das gilt für Russland wie für die USA etc.

„Checking Russia“

In manchen westlichen Kreisen wird das allerdings anders gesehen. So sind in der jüngsten Ausgabe der US-amerikanischen Fachzeitschrift „Foreign Affairs“ zwei Artikel unter der fett gedruckten Überschrift am Cover „Checking Russia“ erschienen. Der Titel allein ist schon Programm: Russland muss eingebremst werden!
Im Beitrag von Charles King heißt es unter anderem: „Die wirkliche Bedeutung der letzen Kaukasuskrise ist, dass Russland eine neue Ära der muskulösen Intervention begonnen hat und wenig Vertrauen in multilaterale Institutionen wie den Sicherheitsrat oder die OSCE, in welchen Russland einen großen Einfluss hat, gezeigt hat.“ Und das im Gegensatz zu den USA, die beispielsweise im Fall des Iraks und bei vielen anderen Interventionen etwa in Lateinamerika sich immer auf die UNO gestützt und dem Multilateralismus gehuldigt haben – oder?

Aktion und Reaktion

Der Beitrag von Stephen Sestanovich ist zwar etwas ausgewogener, aber auch er zeigt sich verwundert, dass sich Russland eine Zone des speziellen Einflusses wünscht. Das würde sich die USA nie einfallen lassen – oder? Viele sahen allerdings Russlands Untergang als dermaßen selbstverständlich an, dass sie sich ein Russland, das sich gegen die Missachtung seiner Interessen und gegen die Einkreisung durch die Nato wehrt, gar nicht vorstellen können.
Ich bin gegen jegliche erzwungene Einflusszone, welche Großmacht sich eine solche auch wünscht. Aber das setzt eine wesentlich differenziertere Politik voraus als sie vor allem die Nato betreibt. Denn eine Einflusszone im Interesse des Nachbarn Russland zu verhindern, indem man die Einflusszone der fernen Amerikaner mittels Natoerweiterung bis an die Grenzen Russlands ausdehnt, entspricht zwar der Gedankenwelt der Nato-Militärs, aber man darf sich nicht wundern, dass Russland bei sich bietender Gelegenheit – und diese hat der georgische Präsident gegeben – reagiert.

Kooperationsstrategie entwickeln

Was wir innerhalb der EU tun müssen, ist eine intelligentere Strategie zu entwickeln. Und zwar geht es nicht um eine Strategie gegen Russland, sondern um eine Kooperationsstrategie mit unseren Nachbarn, die ja auch die Nachbarn Russland sind. Ich hatte kürzlich Gelegenheit – gemeinsam mit einigen KollegInnen aus dem Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments – den neuen armenischen Präsidenten Sersch Sarkissjan in Brüssel zu treffen. Wir diskutierten vor allem die langfristige (!) Integration des Südkaukasus in die Europäische Union.
Einige konservative Abgeordnete plädierten lautstark für die Ukraine und Georgien als die nächsten Kandidaten. Damit sollte in erster Linie Russland „bestraft“ werden. Ich hingegen meinte, dass keine neuen Trennlinien im Südkaukasus geschaffen werden sollten. Allen Ländern sollte die gleiche Chance gegeben werden, sich schrittweise an die EU anzunähern und überdies sollte dies nicht gegen Russland gewandt werden. Es gilt, Freunde zu gewinnen und nicht Feinde zu schaffen.

Keine neuen Trennlinien

Ich war sehr froh, diese Argumentation in einem Interview wiederzufinden, das Präsident Sarkissjan der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wenige Tage später gegeben hat. Es trägt den Titel: „Neue Trennlinien im Kaukasus sind gefährlich“.
Darin meinte er unter anderem: „Neue Trennlinien in dieser Region zu ziehen, kann höchstens gefährlich sein. Das ist die Lehre aus dem Georgienkrieg (…) Unsere Politik bestand in den vergangenen zehn Jahren darin, einen Ausgleich zwischen den Interessen Amerikas, Russlands und der Nato zu suchen. Einen Vorteil aus den Differenzen dieser Mächte zu ziehen, mag sehr attraktiv sein, ist aber auch sehr gefährlich.“ Genau das sollten das Programm und die politische Leitlinie der EU sein.

Kooperation statt Konfrontation

Was mich auch gefreut hat, ist das verstärkte Bekenntnis der EU zur Nabucco Pipeline, wie dies in der „Zweiten Strategischen Energievorschau“ zum Ausdruck kommt, die vergangene Woche von der EU Kommission veröffentlicht wurde. Zumindest war dieses Bekenntnis noch nie so stark, was ich des Öfteren im Parlament kritisiert habe. Diese Pipeline macht es möglich, unsere Gasversorgung ein bisschen stärker zu diversifizieren, indem sie eine Verbindung zum Kaspischen Raum und später auch in den Irak und den Iran ermöglicht.
Wenn wir diese Pipeline einmal für die europäische Energieversorgung zur Verfügung haben, dann ist eine Kooperation mit Russland und seine Beteiligung an dieser Verbindung nicht auszuschließen. Allerdings können wir dann aus einer besseren Position heraus mit Russland verhandeln. Der Pferdefuss dabei ist allerdings, dass wir mit Ländern ins Geschäft kommen müssen, die noch weit von der Demokratie und dem Respekt der Menschenrechte entfernt sind, wie z.B. Turkmenistan. Aber wir müssen eben parallel vorgehen: einerseits die Gasversorgung der EU sichern und anderseits immer wieder die Menschenrechtsfrage anschneiden. Die EU braucht also eine Strategie der Kooperation und nicht der Konfrontation. Dabei gilt es, unsere Interessen wirksam zu vertreten. Nicht alles entspricht dabei unseren Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten. Beides ist allerdings auch in Europa nicht so lange vorherrschend wie wir das heutzutage oft glauben. Mit Geduld und einer langfristig angelegten Strategie können wir aber viel erreichen.

Wien, 16.11.2008