Russland, quo vadis?

Die EU muss hinsichtlich ihrer Interessen gegenüber Russland, insbesondere hinsichtlich der Energieinteressen, mit einer Stimme sprechen.
Ob wir im Europäischen Parlament das Spannungsverhältnis zwischen Georgien und Russland diskutieren oder die „Übertragung“ der Präsidentschaftsmacht von Putin an Medwedjew mitverfolgen, immer wieder kommt die Frage auf, wie sich die EU gegenüber dem heutigen Russland verhalten soll.

Negative Entwicklung

Für viele, insbesondere aus dem früheren Einflussbereich der Sowjetunion, gibt es nur eine mögliche Antwort: kritisch bis aggressiv. Russland entwickelt sich nicht so, wie wir uns das vorstellen und damit ist für Partnerschaft kein Platz.
In der Tat: Am Verhalten Russlands ist viel auszusetzen. Das gilt für die Menschenrechtsfrage wie für das Verhalten zu den meist kleineren Nachbarn wie eben Georgien. Dabei wird oft übersehen, dass große Länder häufig ein eigenes Verständnis über ihre Nachbarschaftspolitik entwickeln. Denken wir nur an die USA und sein über Jahrzehnte gleichgebliebenes, hysterisches Verhältnis zu Kuba. Es ist absurd, dass oft große, mächtige Staaten ihre kleinen Nachbarn besonders misstrauisch und aggressiv behandeln.

„Die Pforte der Menschlichkeit ist eng“

Das Thema Russland beschäftigte mich auch aus Anlass einer Tagung der Sozialdemokratischen Faktion des EU-Parlaments in Prag aus Anlass des Prager Frühlings. In Vorbereitung einer Diskussion über die Frage, ob wir uns derzeit in einer Phase des „Kalten Friedens“ gegenüber Russland befinden, eine Diskussion, die ich leiten sollte, las ich wieder nach, was der bekannte Schriftsteller Milan Kundera in seiner Auseinandersetzung mit Vaclav Havel im Dezember 1968 geschrieben hat.
Mir scheinen seine Aussagen sehr zutreffend, wenn er meint: „Das Bewusstsein der Größe, der zahlenmäßigen Stärke und der Unzerstörbarkeit prägt die gesamte Gesinnung der großen Völker: Alle tragen sie ein Stück dieses `Hochmuts der Masse´ in sich; alle neigen sie dazu, ihre eigene Größe für eine Vorherbestimmung zur Welterlösung zu halten; alle streben sie danach, ihr eigenes (unüberschaubar vielköpfiges) Volk mit der Welt, ihre eigene Kultur mit der Weltkultur zu verwechseln, so dass sie zwar politisch extrovertiert sind (ihre weiten Einflusssphären absteckend), in kultureller Hinsicht aber gleichzeitig sehr egozentrisch bleiben… Ach, arme große Völker! Die Pforte zur Menschlichkeit ist eng, und ihr geht so schwer hindurch…“.

Zusammenarbeit, nicht militärische Intervention

Das soll nun keine Entschuldigung für alle Missetaten sein. Gerade in unseren Zeiten gilt es, die Einflusssphären im Konsens mit den Nachbarn und mit friedlichen Angeboten zu gestalten. Die Zusammenarbeit ist gefragt und nicht die militärische Intervention, die Unterstützung von Separatisten oft mit mafiösen Strukturen, etc. Da verhält sich das europäische „Imperium“ sicher ganz anders als Russland. Ich glaube nur, dass wir noch viel zu uneinheitlich und diffus unsere Wünsche äußern und unsere Ziele verfolgen. Und natürlich gehört auch die ideologische Auseinandersetzung mit der Großmachtpolitik Russlands (und auch der USA, Chinas, etc) dazu.
Aber es geht um das Verhältnis zwischen Kooperationsangeboten und der Kritik an der russischen Politik. (Etwas anders verhält es sich mit der NATO-Erweiterung. Hier verstehe ich die Einwände Russlands. Jedenfalls sollte es diesbezüglich zu intensiven Gesprächen zwischen der NATO und Russland kommen, wobei überhaupt eine engere Zusammenarbeit und die stärkere Involvierung Russlands in den NATO Strukturen – bis zur Mitgliedschaft – für die friedliche Entwicklung Europas von großer Bedeutung wäre. Das hatte ja schon Präsident Clinton dem russischen Präsidenten Jelzin vorgeschlagen.)

Mit einer Stimme sprechen

Der ehemalige Berater von Helmut Kohl, Horst Teltschik, hat erst unlängst gemeint, „Russland braucht keine Belehrungen“. Es benötige vielmehr „inneren und äußeren Frieden, internationale Partner und vertragliche Beziehungen, in denen anerkannt wird, dass es Teil Europas ist.“ Nun, das ist vielleicht zu einfach gestrickt. Denn wir können über die negativen Seiten der russischen Innen- und Außenpolitik nicht hinweg sehen. Richtig aber ist, dass wir mehr Realismus und Pragmatismus an den Tag legen müssen, als es diejenigen wollen, die noch nachträglich beinahe täglich, die Auseinandersetzung mit der Sowjetunion führen wollen. Die gibt es allerdings nicht mehr, wenngleich die Heroisierung Stalins als Feldherr und Verteidiger der nationalen Interessen auch mir Sorgen bereitet und sich damit Russland selbst allzu sehr in die Nachfolge der Sowjetunion stellt.
Wie dem auch sei, entscheidend ist, dass die EU hinsichtlich ihrer Interessen gegenüber Russland, insbesondere hinsichtlich der Energieinteressen, mit einer Stimme spricht. Das sollten sowohl die Freunde Russlands als auch die Kritiker, die oftmals noch die Sowjetunion vor Augen haben gleichermaßen, berücksichtigen.

Prag, 16.5.2008