Salzburger Almauftrieb

Debatten über die Zukunft Europas müssen besser und ernsthafter organisiert und zielgerichteter angegangen werden.
Unmittelbar von Zagreb aus fuhr ich noch am Abend nach Salzburg. Dort hatte die Bundesregierung in ihrer Funktion als EU-Präsidentschaft ein Großevent organisiert: Regierungschefs, Kommissionsvertreter und ein kleiner Kreis von Intellektuellen und Kulturschaffenden waren eingeladen worden, um europäische Visionen wiederzugeben. Dieser „Sound of Europe“, so das Motto der Konferenz, bezog sich natürlich auf den Geburtstag Mozarts.

Einseitiger „Sound of Europe“

Ursprünglich waren die Europaabgeordneten zu diesem Event nicht eingeladen worden, dann wurden aber doch einige Einladungen ausgesprochen. Ich wollte meine Reise nach Kroatien aber weder absagen noch verkürzen und reiste daher erst am Abend des zweiten Konferenztages an und verfolgte am Samstagvormittag zwei Diskussionsrunden.
Ich kritisiere nicht, dass die Regierung derartige Veranstaltungen durchführt. Es geht nicht ausschließlich darum, mit der Bevölkerung zu diskutieren. Man muss auch VertreterInnen aus Kultur und Politik miteinander konfrontieren und Visionen entwickeln und diskutieren. Die Podien waren allerdings etwas einseitig besetzt. Die Sozialdemokratie bzw. die Linke war bei den Eingeladenen und noch mehr bei den ReferentInnen äußerst spärlich vertreten. Auch jene, die Europa grundsätzlich etwas radikaler als andere andenken, waren kaum vertreten. Zudem hatte man derart viele TeilnehmerInnen auf die Podien gesetzt, dass meist keine richtige Diskussion entstehen konnte.

Europäische Krise ist relativ

Es hat sich gezeigt, dass es derzeit sehr wenige Ideen und Vorstellungen darüber gibt, wie sich Europa weiterentwickeln soll. Es herrscht nahezu Ratlosigkeit. Man sollte aber den Begriff Krise auch nicht überstrapazieren. Zugegeben, wir befinden uns in einer kritischen Phase und es gibt etliche Bereiche, die einer Veränderung bedürfen. Aber wir sind bei weitem nicht jene Region, in der es die stärkste Krise gibt.
Amerika etwa ist mit der gesamten Entwicklung im Nahen Osten, im Irak, etc. in einer schwierigen Bedrängnis. Russland spielt sich zwar derzeit als großer Öl- und Erdgasproduzent auf, ist aber von Terrorismus und Sezessionen am Rande seines Reiches bedroht. China schreitet massiv in der Wirtschaft voran, aber es gibt starke und desaströse soziale und umweltbedingte Unruhen – ebenso wie in Indien. Von Afrika möchte ich in diesem Zusammenhang gar nicht sprechen. Viele Kontinente und Länder wären also froh, hätten sie unsere Krisen. Das löst unsere Probleme nicht, sollte sie aber zumindest relativieren.

Barroso ist kämpferischer geworden

Barroso hat bei dieser Konferenz einen guten Eindruck hinterlassen. Er hat vor kurzem auch an der französischen Nationalversammlung teilgenommen und schon dort eine hitzige Debatte geführt. Er wird in seiner Argumentation besser und aussagekräftiger. Ich stimme nicht allem, was er sagt, überein. Aber ich glaube, dass er heute besser versteht, worum es geht und dass er sein Verständnis von sozialer Marktwirtschaft heute besser definieren kann.
Für mich ist allerdings das soziale Element noch immer zu wenig ausgeprägt. Aber nachdem ich kürzlich mit ihm persönlich gerade auch über die uns in Atem haltende Frage der Dienstleistungsrichtlinie diskutiert habe, glaube ich, dass er zumindest versteht, worum es uns geht – auch wenn er nicht alle Aspekte mit uns teilt. Jedenfalls ist Barroso kämpferischer geworden, und das ist äußerst positiv. Das hat sich auch in Salzburg gezeigt.

Zwiespältige Konservative

Der holländische Ministerpräsident Balkenende und auch Wolfgang Schüssel waren hingegen aus meiner Sicht in vielen Punkten zu schwammig. Sie repräsentieren die neue Richtung der Konservativen, die, wie ein Kommentar richtig analysiert hat, großartig über Europa sprechen und sich dafür stark machen, zu Hause aber dann doch sehr ambivalent und mit zwiespältiger Zunge argumentieren.
Dabei schaffen sie es nicht, die eigene Bevölkerung zu überzeugen und auf jenes pro-europäische Bekenntnis einzuschwören, das sie selbst auf der internationalen Ebene vertreten.

Zielgerichtete Diskussion notwendig

Generell müsste man Veranstaltungen wie jene in Salzburg wesentlich kontroversieller gestalten, damit derartige Debatten auch nach außen strömen können. Kritik, man solle sich nicht in internen Zirkeln bewegen, sondern einen Dialog mit der Bevölkerung führen, ist aus meiner Sicht nicht zielführend.
Die politischen Entscheidungsträger müssen auch eine Debatte untereinander und mit Kulturschaffenden und Meinungsbildnern führen. Aber man muss diese Debatten besser und ernsthafter organisieren und angehen.

Salzburg, 28.1.2006