Südkaukanisches Energieeldorado

Wir müssen mit Aserbaidschan einen Aktionsplan entwickeln. Das Land braucht unser Know How, und wir selbst wollen Einfluss auf die demokratische Entwicklung nehmen.
Liegt Georgien am Schwarz Meer, so befindet sich Aserbaidschan an der Kaspischen See. Die Hauptstadt Baku erlebt derzeit bereits den zweiten Erdölboom – nach dem ersten Boom vor ziemlich genau 100 Jahren.

Regierungskritik

Unsere Gesprächsthemen in Aserbaidschan bezogen sich allerdings nicht so sehr auf den Erdöl- und Erdgasreichtum. Unmittelbar vom Flughafen aus fuhren wir zu einem Arbeitsessen mit VertreterInnen verschiedener NGOs. Diese waren nicht alle einer Meinung in ihrer Einschätzung über die Entwicklungen in Aserbaidschan. Und es gab auch hier kritische Stimmen gegenüber der Regierung und dem politischen System.
Aserbaidschan ist, wie Georgien, einer der Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte das Land eine kurze Phase der Unabhängigkeit, bevor es in die Sowjetunion einverleibt worden ist. Ende der 80er Jahre kam es zu einer kritischen Phase und einer Niederschlagung von Aufständen gegen die Sowjetunion, bevor Aserbaidschan unabhängig geworden ist. Der frühere kommunistische Spitzenfunktionär Heijdar Alijew, Mitglied des Politbüros und für eine Zeit lang auch Chef des KGB, wurde in der Folge zum Präsidenten gewählt. Nach seinem Tod ist ihm sein Sohn Ilham Alijew ins Präsidentenamt gefolgt. Beide haben dieses Land mit relativ harter Hand, aber doch mit Sinn für Stabilität – im positiven wie im negativen Sinn – regiert, was keine besondere gute Auswirkung auf die demokratische Entwicklung hatte.

Azeri im Iran

Aserbaidschan ist – im Unterschied zum orthodoxen Georgien – ein islamisches Land. Eine relativ große Bevölkerungsgruppe aus beiden Staaten lebt und arbeitet heute in Russland. Im Falle Aserbaidschans leben sehr viele Angehörige der größten Bevölkerungsgruppe, der Azeri, im Iran. Wir erfuhren bei unserem Arbeitsessen, dass Azeris in einer Karikatur in einer mehr oder weniger offiziellen iranischen Zeitung als naiv und dumm dargestellt worden sind. Das hat in der Folge zu größeren Demonstrationen im Iran geführt.
Besagte Karikatur wurde offensichtlich unterschiedlich beurteilt. Einige meinten, im Iran seien viele Politiker, beispielsweise der oberste religiöse und politische Führer Ayatollah Ali Khamenei, selbst Azeri. Es könne sich daher nicht um einen grundsätzlichen Konflikt ethnischer Natur handeln. Mich hat die Situation an die Türkei erinnert. Auch dort fungieren Kurden als Ministerpräsidenten, Parlamentspräsidenten oder Außenminister aus. Das sagt aber noch nichts über die Behandlung der Kurden insgesamt, vor allem, wenn sie politische Bestrebungen haben, aus.

Aufgeklärter Islam

Wir diskutierten eingehend über die Rolle des Islam in diesem Land. Aserbaidschan ist prinzipiell ein weitgehend aufgeklärtes Land. Nur wenige Frauen tragen Kopftücher – zumindest in Baku. Viele meinen zudem, es könne sich hier keine islamistische Gefahr entwickeln.
Andere wiederum befürchten allerdings, dass – wenn es zu keinen demokratischen Entwicklungen kommt – die Opposition zu einer islamistischen und rein religiös orientierten Kraft wird, die sich schließlich gegen die herrschenden Gruppen und Schichten wendet.

Selbstbewusstes Auftreten

Gestern früh führten wir zunächst ein Gespräch mit einem Oppositionsführer, das nicht besonders aufschlussreich gewesen ist. In der Folge trafen wir den Vizepräsidenten des Parlaments und dessen Nachfolger in der Funktion als Vizepräsident der staatlichen Erdölgesellschaft. Beide kamen aus der Energiebranche, und so konzentrierte sich unser Gespräch auch auf die Energiefrage.
Es war interessant, dass der Vizepräsident des Parlaments äußerst selbstbewusst auftrat. Die aserbaidschanischen Politiker scheinen mir insgesamt mehr Selbstbewusstsein auszustrahlen, als das noch bei meinem letzten Besuch der Fall gewesen ist. Sie verfügen über Öl und Erdgas, der Preis dafür ist gestiegen, ebenso wie die Nachfrage. Aserbaidschan kann sein Erdöl und Erdgas nach Amerika, Europa, China oder Indien verkaufen und vielleicht sogar nach Russland. Ein Experte stellte in diesem Zusammenhang die Überlegung in den Raum, ob Gasprom in zehn Jahren noch über genügend Öl und Gas verfügt, um es auch zu verkaufen und seinen Verpflichtungen nachzukommen.

Pipelineprojekte

Der Parlamentsvizepräsident gab zu verstehen, dass jene, die Öl wollen, auch zu ihnen kommen müssten. Es sei genauso, wie wenn jemand Wein wolle und dafür in die Weinhandlung gehen muss. Niemand könne erwarten, dass die Weinhandlung zu einem selbst komme. Er wunderte sich, warum sich Europa nicht mehr engagiert, wenn es doch nicht vom russischen Erdöl und Erdgas abhängig sein möchte. Es gelte in diesem Fall, andere Länder und Regionen aufzusuchen und entsprechende Verträge abzuschließen.
Auch das Gespräch mit dem Vizepräsidenten der Erdölgesellschaft Socar war sehr spannend. Er ist ein unterhaltsamer und aufgeschlossener Manager, der uns berichtete, dass es viele Möglichkeiten gibt, um die neu entdeckten Gasfelder an das Pipelinesystem anzuschließen und nach Europa zu bringen. Herangezogen werden könnte dafür einerseits eine Pipeline, die in Richtung Ukraine verläuft und andererseits das bekannte Nabucco-Projekt, das insbesondere für Österreich interessant ist, weil in diesem Fall das Erdgas über Mitteleuropa zu uns gelangen würde. Es handelt sich bei Nabucco um ein Projekt, bei dem die OMV Konsortialführer ist. Es sind fünf Gesellschaften daran beteiligt und interessiert. Es gilt jetzt, die richtige Entscheidung zu treffen und entsprechende Investitionen zu tätigen.

Vorausschauende Amerikaner

Der Vizepräsident von Socar hat darauf hingewiesen, dass die Amerikaner wesentlich schneller agiert haben, als es beispielsweise darum ging, die Erdölleitung von Baku über Tiflis nach Cehan in der Türkei zu bauen. Diese Pipeline ist ein typisches Beispiel dafür, wie eine durchaus vorausschauende Politik der USA auch ursprünglich nicht kommerzielle Projekte durchsetzt. Vor zehn Jahren, als die Diskussion begonnen worden ist, war jedem, der sich damals mit der Wirtschaftlichkeit dieser Pipeline beschäftigt hat, bewusst, dass sie viel zu teuer ist und daher nicht gebaut werden sollte. Die Amerikaner haben als Vertreter der freien Marktwirtschaft argumentiert, dass die Pipeline aus politischen Gründen wichtig ist, um Russland zu umgehen und über die Türkei eine direkte Verbindung zu schaffen.
Große Ölgesellschaften wie beispielsweise Shell haben es abgelehnt, sich am Bau der Pipeline zu beteiligen. Heute wird Shell als einer der ersten das Öl, wenn es im Juni aus der Pipeline fließen wird, in Anspruch nehmen. Daran zeigt sich, wie vorausschauend die Amerikaner gedacht haben. Sie haben wahrscheinlich nicht gewusst, dass der Ölpreis in relativ kurzer Zeit derart stark steigen wird. Aber sie haben gewusst, dass er tendenziell steigen wird und wir die Abhängigkeit von Russland reduzieren und einen direkten Zugang schaffen müssen.

Naivität

Ich wünschte, auch die Europäer wären manchmal so vorausschauend, durchsetzungsfähig und pragmatisch wenn es darum geht, wirtschaftliche und politische Interessen miteinander zu verbinden. Bei uns findet man hingegen eher Fantasten, die immer noch an die völlig freie Marktwirtschaft glauben und meinen, Energiepolitik habe nichts mit Politik und Außenpolitik zu tun. Diese Naivität könnte man den Betroffenen abgewöhnen, würden sie sich zum Beispiel den Fall der BTC-Pipeline genauer ansehen.

Stau am Bosporus

Der Vizepräsident von Socar hat darauf hingewiesen, dass die Amerikaner wesentlich schneller agiert haben, als es beispielsweise darum ging, die Erdölleitung von Baku über Tiflis nach Cehan in der Türkei zu bauen. Diese BTC Pipeline war ein ungeheuer teures Projekt und ist von vielen abgelehnt worden. Die Amerikaner haben hingegen ganz bewusst strategisch gehandelt. Sie wollten einerseits Russland umgehen.
Und sie haben andererseits gewusst, dass hinsichtlich der Durchfahrt durch den Bosporus zunehmende Probleme entstehen, weil hier aufgrund früherer Tankerunfälle und Zusammenstösse die Sicherheit an oberster Stelle steht und die Durchfahrt begrenzt worden ist. Die Türkei hat umso größeres Interesse daran, das Erdöl – wenn es schon nicht durch den Bosporus transportiert werden kann – über Pipelines in das Land zu bringen und über die Häfen weiter zu verteilen. Die maximale Wartezeit bei der Einfahrt und bei der Ausfahrt in den Bosporus betrug im vergangenen Jahr jeweils 29 Tage. De facto gab es im vorigen Jahr Fälle, in denen Schiffe bis zu 60 Tage nur gestanden sind.

Größeres Engagement Europas

Je mehr sich derartige Engpässe häufen, desto mehr lohnt es sich, Pipelines zu bauen – und hier müsste Europa wesentlich aktiver sein. Unsere bisherige Überzeugung, dass Europa eine gemeinsame Energiepolitik braucht und gemeinsam mit den internationalen Firmen vorgegangen werden muss, hat sich bestätigt und gefestigt. Wir sollten eine solche Strategie mit Nachdruck vertreten.
In einem Gespräch, das ich vor einiger Zeit mit einem Vertreter von BP geführt habe, hat mir dieser deutlich verstehen gegeben, dass auch die großen Erdölkonzerne die Politik brauchen, um ihre Interessen durchzusetzen bzw. um die Interessen in den Dienst der KonsumentInnen zu stellen. Ich bin daher davon überzeugt, dass wir keine Politik betreiben sollten, bei der es ausschließlich um den Wettbewerb und die Preise geht. Vielmehr müssen wir uns auf die Fragen der Sicherheit und der Versorgung mit Erdöl und Erdgas konzentrieren. Und daher sollten mittel- bis langfristige Verträge nicht leichtfertig von der Hand gewiesen werden.

Transparenzinitiative

Die Energiefrage wird uns noch lange beschäftigen. Sie steht oft in Widerspruch mit der Frage der Entwicklung von Menschenrechten und Demokratie. Leider hat sich erwiesen, dass dort, wo es reichhaltige Ressourcen – insbesondere Erdöl und Erdgas – gibt, das Geld in vielen Fällen in dunkle Kanäle fließt, die Korruption blüht und die einfachen Menschen, die in diesen Ländern leben, wenig bis gar nichts davon haben. Das führt in der Folge oft zu revolutionären Bewegungen und Attentaten, wie das insbesondere im Niger-Delta in Afrika der Fall ist.
Die Situation in Aserbaidschan ist anders. Aserbaidschan hat sich eigenständig bzw. auf eine Initiative von Premierminister Toni Blair hin einer Transparenzinitiative angeschlossen, aus der klar hervorgeht, was Erdölkonzerne an die Regierungen bezahlen. Nicht so eindeutig ist allerdings, was aus den entsprechenden Töpfen in die Budgets fließt. Aber auch hier betreibt Aserbaidschan eine relativ fortschrittliche Politik. Das Geld verbleibt zum Teil in Fonds. Man möchte die Einnahmen von heute auch späteren Generationen zu Gute kommen lassen und investiert insbesondere in die Infrastruktur. Im Bewusstsein, dass Erdöl- und Erdgasreserven geringer werden bzw. versiegen können, versucht man, das Geld gut und langfristig einzusetzen.

EU-Aktionsplan

Sowohl mit dem stellvertretenden Wirtschafts- als auch dem stellvertretenden Außenminister haben wir das Abkommen über den Aktionsplan im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftshilfe diskutiert. Technisch hat es gute Fortschritte gegeben, und die Gespräche sind gut gediehen. Allerdings hat die Europäische Kommission im Aktionsplan hinsichtlich Georgiens, aber auch Moldawien eine Formulierung vorgeschlagen, mit der die territoriale Integrität der beiden Länder unterstützt und sichergestellt wird. Als Aserbaidschan das auch für sich in Anspruch nehmen wollte, wurde es abgelehnt.
Als Begründung wurde das Problem um Nagorno Karabach angeführt. Diese von Armenien besetzte Provinz ist erst nach der russischen Besetzung nach dem Ersten Weltkrieg der damaligen russischen Republik Aserbaidschan zugesprochen worden. Aserbaidschan hat zudem bei der Unabhängigkeitserklärung nicht besonders geschickt agiert, um die in Nagorno Karabach lebenden Armenier im Land zu halten. Es kam zu Aufständen und zu einer militärischen Intervention von Armenien, das nicht nur die Provinz selbst, sondern auch weitere Provinzen im Nahbereich von Nagorno Karabach besetzt hat.

Zweierlei Maß

Aus diesen Gründen weigert sich die Europäische Kommission, die territoriale Integrität Aserbaidschans im fast schon fertig verhandelten Kooperationsabkommen zu verankern – was ich verstehen kann. Ich verstehe allerdings nicht, warum sie in anderen Fällen, wo es ebenfalls Probleme gibt – wie zum Beispiel in Georgien – die territoriale Integrität anerkennt und im Falle Aserbaidschans nicht. Diese Vorgangsweise ist zweifellos sehr ungeschickt.
Die Botschafter der verschiedenen europäischen Länder, mit denen wir gesprochen haben, haben uns in dieser Frage Recht gegeben. Ein Botschafter formulierte es so: „Die Kommission hat uns in ein Schlamassel gebracht“. Wir werden jetzt entsprechend aktiv sein und die Kommission fragen, wie sie sich die weitere Vorgangsweise vorstellt. Aus meiner Sicht müssen wir auch mit Aserbaidschan einen Aktionsplan entwickeln. Aserbaidschan benötigt nicht unser Geld – es hat selbst genügend Mittel aus seinen Energieressourcen. Aber es braucht unser Know How. Und wir selbst wollen Einfluss auf die demokratische Entwicklung in diesem Land nehmen. Wir wollen NGOs unterstützen, die sich für mehr Demokratie einsetzen, als es derzeit der Fall ist. Oppositionsparteien sind heute im Parlament extrem unterrepräsentiert. Viele glauben, dass es sich um Wahlbetrug handelt. Vielleicht wäre dieser aber gar nicht notwendig, weil Aliyew ohnedies die Mehrheit will. Aber offensichtlich will man auf Nummer Sicher gehen.

Mehr Demokratie

Das war auch die Meinung vieler Journalisten, die wir am Abend getroffen haben. Auch sie haben großes Interesse an einer demokratischen Entwicklung in Aserbaidschan. Sie unterstützen zwar die Regierung in der Frage von Nagorno Karabach, hinsichtlich der Demokratie wünschen sie sich aber einen intensiven Dialog mit Europa. Und sie wünschen sich einen Aktionsplan, damit Europa entsprechenden Einfluss auf die demokratische Entwicklung nehmen kann.

Baku, 26.5.2006