Selbstüberschätzungen

Es ist traurig, dass es nach der hoffnungsvollen Entwicklung, die mit dem Sturz von Schewardnadse eingeleitet worden ist, nun in etlichen Bereichen schief läuft.
Wir haben in Tiflis auch den Präsidenten des Landes, Saakaschwili, getroffen.

Machtpolitiker Saakaschwili

Meine Einstellung ihm gegenüber war von haus aus nicht besonders positiv. Ich habe mir sowohl durch die Medien als auch aus Erzählungen von persönlich Betroffenen ein Bild über ihn gemacht. Durch seine Größe und sein forsches Auftreten ist er zweifellos eine beeindruckende Persönlichkeit mit einer gehörigen Portion Charisma. Es löste allerdings einige Zweifel in mir aus, dass Saakaschwili den Großteil unseres Gespräches – über eine weite Strecken ohnehin ein Monolog – darauf verwendet hat, um Russland anzugreifen und uns zu erörtern, wie fehlgeleitet die russische Politik ist. Saakaschwili beharrte auf seinem Recht, sich in seinem Land frei bewegen zu können und sprach damit die bereits erwähnten Hubschrauberflüge an. Eine große Ungehaltenheit gegenüber Russland war deutlich zu spüren.
Saakaschwili zeigte uns schließlich 30-40 großformatige Farbbilder, um zu demonstrieren, welche Aktivitäten beispielsweise in bestimmten Regionen Abchasiens, in denen Georgien die Kontrolle hat, gesetzt werden. Wir sahen auf den Bildern einige Einfamilienhäuser. Und das mag auch durchaus positiv sein. Die plakative und simple Darstellung der eigenen glanzvollen Unternehmungen, der Hinweis auf Statistiken des Währungsfonds oder internationaler Rating-Agenturen hinsichtlich der Fortschritte in der Entwicklung der Freiheit – all das mutete allerdings doch sehr simpel und einfältig an. Vor diesem Hintergrund kann ich mir gut vorstellen, dass Saakaschwili wenig Kritik versteht und viele Anhänger hat, die widerspruchslos das ausführen, was er anordnet. Jemand erzählte mir außerdem, dass er auch mit seinen MinisterInnen und MitarbeiterInnen nicht gerade zimperlich umgeht.

Wenig bis keine Kritik

Mein Eindruck, den ich von Saakaschwili schon vor diesem ca. eineinhalbstündigen Gespräch hatte, korrespondiert mit dem, was mir viele Menschen über ihn erzählt haben. Vielleicht wäre es anders gewesen, hätte ich vor diesem persönlichen Treffen nur Positives über ihn gehört. So blieb allerdings ein unangenehmes Gefühl in mir zurück.
Es ist eigentlich traurig, dass es nach einer derart hoffnungsvollen Entwicklung, die mit dem Sturz von Schewardnadse eingeleitet worden ist, nun in etlichen Bereichen schief läuft. Aus weiten Teilen der westlichen Welt, insbesondere von den Amerikanern, wird dieser Trend nicht kritisiert oder negativ beurteilt. Und damit meine ich nicht das Verhalten gegenüber Russland, sondern hinsichtlich der demokratischen Entwicklung im Inneren, insbesondere beim Rechtssystem und der Unabhängigkeit der Gerichte, wo massive Verletzungen stattfinden.

Der Revolution unwürdig

Wie schon erwähnt, hatte ich heute Abend die Gelegenheit, mit jener sympathischen Richterin zu sprechen, die selbst ein Opfer dieser Entwicklungen geworden ist. Sie hat in Deutschland studiert, und daher konnten wir uns mühelos unterhalten. Vieles von dem, was sie gesagt hat, hat mich zutiefst überzeugt. Und ich habe auch die Urteilsbegründung für ihre Entlassung gelesen.
Für mich ist es völlig inakzeptabel, dass Abgeordnete in einem Disziplinarausschuss des Justizrates sitzen – umso mehr, wenn es sich bei einer der Abgeordneten um die Freundin des Präsidenten handelt. Derartige Zustände sind untragbar sollten in einer revolutionären Bewegung, die sich für Demokratie und Freiheit ausspricht, eigentlich keinen Platz haben.

Keine ganz leichte Woche

Noch heute Nacht werde ich von Tiflis aus zurück nach Brüssel fliegen. Dort erwartet mich eine Sitzung des Außenpolitischen Ausschusses und des CIA-Untersuchungsausschusses. Dazwischen werden noch etliche Gespräche über die Arbeit der kommenden Wochen stattfindet. Diese nicht ganz leichte Woche ist also noch nicht zu Ende.
Und schon in zwei Tagen beginnt meine nächste Reise, die mich auf eine Stippvisite nach Syrien führt. Aber dazu mehr nach meiner Rückkehr aus Damaskus.

Tiflis, 13.9.2006