Serbische Vorbildwirkung

Serbien betreibt eine äußerst vorbildliche Politik gegenüber der ungarischen Minderheit.
Am letzten Tag unseres Besuches in Belgrad trafen wir zunächst Ivica Dacic, den stellvertretenden Ministerpräsidenten und Innenminister. Er kommt aus der ehemaligen Milosevicpartei.

SPS weiter beobachten

Auf meine Frage hin, ob er und sein Ministerium alles tun werden, um die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof auch wirklich voll in die Tat umzusetzen, meinte er, Karadzic sei bereits gefangen und man werde auch alles daran setzen, dass Mladic gefangen genommen wird. Ich hoffe, das stimmt und es gibt keine Kräfte, die dieser Intention entgegenwirken.
Dacic seinerseits zeigte großes Interesse an der Anerkennung seiner Partei SPS als eine sozialdemokratische Partei durch die Sozialistische Internationale und durch die europäischen SozialdemokratInnen. Ich habe allerdings von Anfang an davor gewarnt, in dieser Frage allzu rasch vorzugehen. Man muss genau hinterfragen, was die Partei als solches tut. Eine Mitgliedschaft kommt derzeit ohnedies nicht in Frage, aber eine gewisse Form der Assoziierung, eine Art Beobachterstatus kann ich mir vorstellen. Fest steht jedenfalls: Die Grundsätze der Politik müssen ganz klar definiert sein und es kann nur eine an Europa orientiere Politik sein, die ein solche Partei vertritt. Darüber hinaus spielt natürlich auch die Auseinadersetzung mit der eigenen Vergangenheit eine entscheidende Rolle. Und das ist im konkreten Fall eine Vergangenheit unter Milosevic.

Vorbildliche Minderheitenpolitik

Unser letztes Gespräch in Belgrad führten wir mit Istvan Pastor, dem Führer der Allianz für die Vojvodina. Er ist der Vorsitzende der ungarischen Partei aus der Vojvodina und Vizepräsident des Vojvodinaparlaments. Das Gespräch war sehr angenehm und hat gezeigt, dass – auch wenn diese Partei unter dem Druck der Notwendigkeit einer Mehrheit in die Regierung geholt wurde – Serbien doch eine äußerst vorbildliche Politik gegenüber der ungarischen Minderheit betreibt. Zweifellos sind nicht alle Wünsche und Vorstellungen der Vojvodina und Ungarns zur Gänze erfüllt, aber doch weitgehend.
Es ist fast grotesk, dass ein Land, das kein EU-Kandidatenland ist, ja nicht einmal einen ratifizierten Vertrag der Assoziierung und Stabilisierung mit der EU hat, gegenüber manchen Mitgliedsländern der EU wie etwa der Slowakei in der Minderheitenfrage geradezu vorbildlich agiert. Daher muss man wirklich daran arbeiten, dass auch Mitgliedsländer wie die Slowakei in dieser Frage einen Schritt nach vorne gehen. Ich hoffe, dass das möglich ist. Zuletzt habe ich vernommen, dass die slowakischen Sozialdemokraten mit ihrer Partei SMER in der Schulbuchfrage gegen den eigenen Koalitionspartner der Nationalisten und für die ungarische Partei gestimmt haben – das ist positiv. Ich hoffe auch, dass das von der ungarischen Partei in der Slowakei entsprechend positiv aufgenommen und unterstützt wird.

Positives Resumee

Insgesamt steht eindeutig fest, dass Serbien in dieser Hinsicht einen sehr guten Weg geht. Hätte man bereits vor Jahren im Bereich Kosovo ähnlich agiert, so wäre die Entwicklung vielleicht anders verlaufen. Sicher bin ich mir allerdings nicht. Der Druck gegen Serbien ist über viele Jahrzehnte aufgebaut worden bzw. Serbien, zumindest ein Teil davon, hat sich über viele Jahrzehnte hindurch negativ gegenüber dem Kosovo verhalten. Tito hat dagegen gesteuert, aber andere haben sich gegenüber den Kosovoalbanern nicht anständig verhalten. Insofern bin ich mir nicht sicher, ob es in den letzten 10 Jahren und unter Milosevic zu einer anderen Lösung gekommen wäre. Unbestritten ist für mich aber, dass Serbien moralisch in einer stärkeren Position hätte sein können als es heute ist.
Unterm Strich waren unser Besuch in Belgrad und die Eindrücke, die wir hier gewinnen konnten, extrem positiv. Ich würde mir wünschen, dass alle EU-Mitgliedsländer sich dazu entschließen, jene Kräfte in Serbien, die sich für den Weg in die EU aussprechen, zu stärken. Das sind nämlich zweifellos dieselben Kräfte, die bereit sind, die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof aufzunehmen. Jedenfalls, soweit sie in der Regierung vertreten sind. Nicht nur für die Region, sondern für Europa insgesamt ist ein offenes, proeuropäisches, sachlich orientiertes und nicht länger den Mythologien verhaftetes Serbien von großem Vorteil.

Belgrad, 29.10.2008