Stichjahr 2009

Die ursprüngliche Hoffnung , dass Kroatien noch im Jahr 2007 der EU beitreten wird, ist inzwischen unrealistisch. Eine Mitgliedschaft bis 2009 zu erzielen, ist eine durchaus optimistische Variante.
Auch in dieser Legislaturperiode im Europäischen Parlament werde ich mich mit den Verhältnissen und Entwicklungen in der Balkanregion beschäftigen. Ich bin wieder zum stellvertretenden Vorsitzenden der Süd-Osteuropa Delegation gewählt. Außerdem wurde ich zum Berichterstatter für den EU-Beitritt Kroatiens ernannt. In dieser neuen Funktion absolvierte ich nun einen ersten Besuch in Zagreb.

Kooperation mit Den Haag

Eine Frage in diesem Zusammenhang ist die Bereitschaft, mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenzuarbeiten. Zum Teil hat man sich in Kroatien nicht sehr um eine Kooperation bemüht. Erschwerend kommt hinzu, dass General Godovina, der in der französischen Fremdenlegion gewirkt hat, vor nicht allzu langer Zeit einen französischen Pass bekommen hat und mit diesem Pass wahrscheinlich das Land verlassen konnte und untergetaucht ist.
Für mich ist die Frage, ob ein Land bereit ist, mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenzuarbeiten, eine wichtige Frage. Ich meine allerdings, dass vielfach die psychologische Dimension in all diesen Ländern, das gilt nicht nur für Kroatien, das gilt etwa auch für Serbien-Montenegro, unterschätzt wird, weil diese Generäle oder Militärführer oft als Helden angesehen werden und es für die nationalen Regierungen sehr schwierig ist, diese Kriegsverbrecher gegen die eigene Bevölkerung, vor allem gegen gewisse nationalistische Strömungen in der eigenen Bevölkerung, auszuliefern.

Doppelmoral

Mir fällt auch immer der zum Teil zynische und doppelbödige Standpunkt mancher westlicher Länder auf, die oft Jahrzehnte gebraucht haben, um sich mit der eigenen Geschichte und den eigenen Untaten in der Geschichte auseinander zusetzen. Damit meine ich gar nicht nur Deutschland und Österreich, sondern beispielsweise Frankreich in Hinblick auf die systematischen Folterungen im Algerienkrieg, oder Großbritannien, das seine koloniale Vergangenheit nie wirklich aufgearbeitet habe. Wir verlangen so gesehen von den Balkan-Ländern sehr viel, was im Prinzip richtig ist. Aber ich glaube, wir sollten dies mit einer stärkeren Bescheidenheit tun – gerade auch aus westlicher Sicht.

Rückkehr-Schwierigkeiten

Die Rückkehr der serbischsprachigen Flüchtlinge in kroatische Gebiete ist zweifellos ein weiteres Kapitel, das noch nicht abgeschlossen ist und wo es noch einiges zu tun gibt. Die Frage der Rechtssicherheit und Rechtssprechung in Kroatien ist ein Thema, das immer wieder angeschnitten wird und es gibt dabei viele Bereiche, die in die Zeit der kriegerischen Auseinandersetzungen der ehemaligen Teilstaaten Jugoslawiens hineinreichen. Ebenso viele Schwierigkeiten gibt es aber auch im Anpassungsprozess an die Gesetzeslage und Normen und Standards der Europäischen Union.

Nachbarschafts-Beziehungen

Ein besonderes Problem ist zudem die Beziehungen zur Nachbarschaft. Ich war hoch erfreut, dass immer wieder betont wird und was auch den Tatsachen entspricht, dass man bereit ist, mit den Nachbarn Serbien-Montenegro und Bosnien-Herzogewina eng zusammenzuarbeiten, dass man also auch diese regionale Dimension der Politik betrachtet. Unmittelbar nach dem Zerfall der jugoslawischen Republik war das ja ein Tabuthema. Alles, was nach regionaler Zusammenarbeit klang, hat an das ehemalige Jugoslawien erinnert. Man wollte aber einfach nur in den Westen schauen und in den östlichen Regionen keineswegs eine Form der Zusammenarbeit entwickeln.
Inzwischen hat sich das geändert, man weiß, in welcher geographischen und geopolitischen Situation man sich befindet. Und man weiß, dass es keinen Gegensatz gibt zwischen der Orientierung an der Europäischen Union und der Bereitschaft, mit den Nachbarn, mit denen man zuerst in Jugoslawien zusammenleben musste und die zum Teil eine Zeit lang auch Feinde waren, entsprechend zusammenzuarbeiten.

2009, ein optimistischer Termin

Besonders ausschlaggebend ist dabei, dass Kroatien Bosnien-Herzogewina unterstützt, diesen multiethnischen Staat, in dem die Kroaten eine große Rolle spielen. Der überwiegende Anteil der Kroaten in Bosnien-Herzogewina ist zugleich kroatische Staatsbürger, besitzen also zwei Pässe. Auch das mag auf dem Weg zur Europäischen Union ein Problem darstellen, vor allem dann, wenn eine klare Sicherung der Grenzen nach außen notwendig sein wird.
Nun, wir können uns in der Europäischen Union zweifellos auf eine baldige Mitgliedschaft Kroatiens vorbereiten. Die ursprüngliche Hoffnung allerdings, dass das noch im Jahr 2007 stattfinden wird, ist inzwischen unrealistisch. Einen Beitritt Kroatiens bis 2009 zu erzielen, ist eine durchaus optimistische Variante.
Zagreb, 22.10.2004