Streit zwischen Nachbarn

Mein jüngster Besuch in Zagreb war vom nach wie vor ungelösten Grenzstreit zwischen Slowenien und Kroatien überschattet. Slowenien hat sogar die Blockade bei den Verhandlungen verschärft.
Als Berichterstatter des Europäischen Parlaments für den EU-Beitritt Kroatiens besuchte ich vergangenen Freitag wieder einmal Zagreb, vor allem auch, um die neuen Justiz- und Innenminister kennenzulernen.

Hochrangige Gesprächspartner

Um es gleich vorwegzunehmen: Sie machten alle einen guten Eindruck und ich erwarte mir vor allem vom Wechsel im Justizministerium eine zügigere Justizreform und einen durchgreifenden Kampf gegen die Korruption und das organisierte Verbrechen. Nicht alles kann sofort erledigt werden, aber die wichtigsten Schritte müssen rasch eingeleitet werden und wurden auch schon in Angriff genommen.
Mein erster Besuch galt Staatspräsident Stipe Mesic, danach ging es zu ausführlichen Gesprächen mit Premierminister Ivo Sanader. Zum Teil unterhielten wir uns unter vier Augen. Sanader spricht ausgezeichnet Deutsch, er hat ja in Innsbruck studiert. Im Anschluss an eine kurze Pressekonferenz mit dem Premierminister ging es zum Außenminister, der mir zu Ehren auch ein Essen gab, an dem unter anderem der Leiter des kroatischen Verhandlungsteams und der Justizminister teilnahmen. Nachmittags traf ich noch den Innenminister und den Generalstaatsanwalt. Die Gespräche waren äußerst konstruktiv und hilfreich.

Grenzstreit

Mein Besuch allerdings war vom nach wie vor ungelösten Grenzstreit zwischen Slowenien und Kroatien überschattet. Slowenien hat sogar die Blockade bei den Verhandlungen verschärft. Ich bin weder von meiner Funktion her noch von den Streitparteien zur Vermittlung beauftragt. Trotzdem lassen mich diese Auseinandersetzungen nicht kalt, habe ich doch eine sehr gute Gesprächsbasis mit den kroatischen Verantwortlichen und war der neue Premierminister Sloweniens, Borut Pachor, bis zu seiner Bestellung mein Kollege im Europäischen Parlament und Mitglied derselben Fraktion. So versuche ich mit Zustimmung beider Premierminister mitzuhelfen, dass die politischen Gespräche zwischen beiden wieder in Gang kommen und die Vermittlungsbemühungen von EU Kommissar Olli Rehn konkret umgesetzt werden.
Dieser hatte vor wenigen Tagen vorgeschlagen, ein dreiköpfiges Vermittlungsteam unter Leitung des ehemaligen finnischen Staatspräsidenten und späteren Kosovobeauftragten Matti Atthisari einzusetzen. Dafür warb er auch in Laibach und Zagreb um Zustimmung. Borut Pachor machte beim Besuch vor Kommissar Rehn diesen Vorschlag anscheinend zu schnell publik, was die Zustimmung der Kroaten beim anschließenden Besuch von Olli Rehn in Zagreb erschwerte.

Verbindung von zwei Lösungsansätzen

Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Die Kroaten beharren auf der Feststellung der Grenze auf Basis des Rechts, also der internationalen Normen z. B. des Seerechts. Daher wollen sie, dass die beiden Parteien den Internationalen Gerichtshof in Den Haag oder den Seegerichtshof in Hamburg anrufen. Die Slowenen wieder wollen eine „gerechte“, also politische Lösung, die einen Interessensausgleich herstellt. Jeder will das Verfahren, von dem er glaubt, gewinnen zu können. Der Vorschlag von Olli Rehn nach einer Einsetzung einer außergerichtlichen Schiedskommission kommt allerdings eher den slowenischen Wünschen hingegen.
Im Gespräch mit Staatspräsident Stipe Mesic entwickelte ich daher die Idee, dass beide Lösungsmethoden miteinander verbunden werden sollten. Einerseits sollte man den Weg zu einem internationalen Gericht verfolgen, anderseits sollte sich Kroatien unabhängig von einer gerichtlichen Entscheidung bereit erklären, Slowenien entgegenzukommen. In einer verbindlichen Vereinbarung sollten für Slowenien Zugangsrechte zum offenen Meer und Fischereirechte in der Bucht von Piran festgelegt werden.

Ein kleines Mosaiksteinchen

Der kroatische Staatspräsident hörte mit Interesse meine Ideen. Im anschließenden Gespräch mit Premierminister Sanader, der schon vorinformiert wurde, ersuchte mich dieser, meine Vorschläge zu konkretisieren und auch mit Olli Rehn und Borut Pachor darüber zusprechen.
Noch am selben Nachmittag sprach ich mit beiden und informierte sie über meine Gespräche in Zagreb. Vielleicht legte ich ein kleines Mosaiksteinchen im Lösungsbild hinsichtlich des Grenzstreits zwischen Slowenien und Kroatien. Vielleicht allerdings ist die Situation zu verfahren – das wäre allerdings für beide äußerst nachträglich. Kroatiens Weg in die EU wäre weiter blockiert und Sloweniens Image schwer angekratzt.

Nicht der einzige Grenzstreit

Der Grenzstreit zwischen diesen beiden Nachbarn ist derzeit nicht die einzige blockierende Auseinandersetzung zwischen einem EU-Mitgliedsland und seinem Nachbarn. Eine vergleichbare Situation finden wir zwischen dem EU-Mitglied Zypern und der Türkei sowie zwischen Griechenland und Mazedonien. Natürlich hat jeder Fall seine Eigenheiten. Zypern hat rechtlich fundierte Einwände, allerdings argumentiert die Türkei, dass die Einigung in Zypern nicht an der türkisch-zypriotischen Bevölkerung, sondern am Nein der griechisch-zypriotischen Bevölkerung gescheitert ist. Besonders problematisch ist dabei die Blockade der Verhandlungen mit der Türkei über das Energiekapitel, ist doch die Türkei ein wichtiges Transitland für den Transport von Öl und Gas nach Europa. Und im Zusammenhang mit Nabucco wäre eine Einigung mit der Türkei besonders wichtig.
Griechenland wiederum stört der Name Mazedonien. Für die Griechen ist Mazedonien ein Teil Griechenlands und aus ihrer Sicht müsste die unabhängige Republik Mazedonien zumindest eine Zusatzbezeichnung wie Neu- oder Ober-Mazedonien akzeptieren, wenn schon Griechenland bereit ist, den Begriff Mazedonien zu akzeptieren. Aber Mazedonien ist wiederum dazu nicht bereit, denn das würde die Identität des Landes gefährden und das Land von seinen geschichtlichen Wurzeln abschneiden, wie mir ein führender Politiker des Landes erklärte. Die Weigerung zu einem Kompromiss, wie ihn der UNO-Vermittler vorgeschlagen hat, war auch der Grund, warum Griechenland den Beitritt dieses Landes zur Nato beim letzten Gipfel in Bukarest blockierte. Ob das auch für den Beginn der Verhandlungen für einen EU-Beitritt gelten würde, kann derzeit noch nicht gesagt werden. Noch ist es nicht soweit, und Griechenland schweigt sich darüber aus.

Asymmetrische Solidarität

Wie man sieht, scheint ein solches „erpresserisches“ Verhalten in Mode gekommen zu sein. Anderseits sind in allen Fällen beide Seiten nicht immer interessiert und bereit, einen Kompromiss einzugehen. Die Schuld liegt also nicht nur bei der Halsstarrigkeit der fordernden EU-Mitgliedsländer. Mein Eindruck und meine Bewertung legt allerdings die Verantwortung doch primär auf die Schultern der Mitgliedsländer, die die Situation, dass sie das haben, was die anderen erst wollen, nämlich die EU-Mitgliedschaft, voll ausnützen.
Und in diesem Zusammenhang glaube ich schon, dass die EU unter sich ernsthaft diskutieren wird müssen, wie sie mit derartigen Blockaden umgehen sollte. Denn das Vertreten nationalstaatlicher Interessen darf nicht zu Lasten der EU insgesamt gehen. In diesem Sinn ist eine größere Kompromissbereitschaft dieser EU Mitgliedsländer ein Gebot der Solidarität. Sie verlangen immer wieder die Solidarität der Mehrheit, sind aber sehr kompromisslos, wenn sie ihr Minderheitsinteresse gegenüber ihren Nachbarn durchsetzen wollen. Die Solidarität wird hier äußerst asymmetrisch zum Einsatz gebracht.

Zagreb, 30.1.2009