Syrien, ein Bündnispartner?

Bei aller Überzeugung, dass Syrien in den gesamten Friedensprozess involviert werden und eine stärkere Verbindung mit Europa eingehen soll, sind wir doch zutiefst darüber enttäuscht, dass die Demokratisierung und die Menschenrechtsfrage in diesem Land stecken geblieben sind.
Die Gespräche, die wir heute geführt haben, haben uns ein ziemlich eindeutiges Bild vermittelt. Syrien ist an Kontakten mit Europa interessiert. Das hat uns der stellvertretende Außenminister bestätigt, ebenso wie der stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschaftsminister, der Parlamentspräsident und andere politische Vertreter. Sie wollen nicht isoliert sein. Und sie wollen nicht den Iran als einzigen Verbündeten haben.

Wichtiger strategischer Partner

Uns geht es – sinnvoller weise – gar nicht darum, eine Kluft zwischen den Iran und Syrien zu reißen. Stattdessen möchten wir Syrien zusätzliche Kontakte und Unterstützung bieten. Und wir wollen Syrien auch als Vermittler mancher positiver Botschaften in Richtung Iran heranziehen. Uns wurde in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass Syrien hinsichtlich des Friedensprozesses sehr wohl einen positiven und erfolgreichen Einfluss auf den Iran ausgeübt hat.
Wir haben aber in erster Linie Interesse daran, dass Syrien den Friedensprozess im Libanon unterstützt. Man bekräftigte uns gegenüber die Zusage von Präsident Assad zum Einsatz von technischen Geräten und der Expertise hinsichtlich der Grenzkontrolle zum Libanon. Diese Grenzkontrollen sind wichtig, um Waffenlieferungen, die nicht an die Armee, sondern an die Hisbollah ergehen, zu verhindern. Ich habe in unseren Gesprächen übrigens immer wieder betont, dass die Hisbollah im Libanon eine Rolle wie jede andere politische Partei spielen muss. Sie kann nicht einerseits die Funktion einer politischen, im Parlament und der Regierung vertretenen Partei ausüben und sich andererseits eine Miliz halten und dadurch Andere entsprechend unter Druck setzen.

Einheitliche palästinensische Regierung

Außerdem geht es uns ganz generell um den Friedensprozess, vor allem in Hinblick auf Palästina. Wir wünschen uns, dass Syrien sich aktiv um den Zusammenschluss verschiedener palästinensischen Kräfte zu einer einheitlichen Regierung bemüht – einer Regierung, die bereit ist, mit Israel zu verhandeln und neue Wege einzuschlagen. Aber auch Israel muss bereit sein, in derartige Verhandlungen einzutreten – das ist ebenfalls eine Grundvoraussetzung.
Vor diesem Hintergrund haben wir durchaus positive Eindrücke gewonnen. Selbstverständlich haben wir wahrgenommen – mir persönlich ist das insbesondere in einem Gespräch mit einem Spitzen-Journalisten des Landes bewusst geworden -, dass Präsident Assad unter dem Einfluss verschiedener Kräfte steht: Jene, die eher zu einer Öffnung in Richtung Europa tendieren, jene, die meinen, Syrien dürfe sich nicht isolieren und müsse sich aktiv am Friedensprozess beteiligen und jene, die absolut gegen diese Intention sind und als Hardliner jeden Fortschritt ablehnen.

Assoziierungsabkommen

Es ist schwierig, abzuschätzen, auf welche Seite sich Assad in bestimmten Situationen stellt. Entscheidend ist allerdings, dass wir mit jenen Kräften, die einen positiven Einfluss auf den Präsidenten ausüben und in Richtung Europa gehen wollen – nicht als Mitglied, wohlgemerkt, um allen Missverständnissen vorzugreifen, sondern in Form von engeren Kooperationen – zusammenarbeiten. Aus diesem Grund begleitete auch die Berichterstatterin für das Assoziierungsabkommen der EU mit Syrien unsere Delegation.
Wir haben signalisiert, dass, sollte sich Syrien entsprechend an den europäischen Werten der Stabilisierung und des Friedensprozesses im Nahen Osten orientieren, wir durchaus bereit sind, dem Assoziierungsabkommen zuzustimmen. Dieses Signal ist aus meiner Sicht absolut wichtig und richtig. Aufgrund des Assoziierungsabkommens sind keine große Geldflüsse und übermäßige Vorteile für Syrien zu erwarten. Aber es ist ein Symbol dafür, dass die Beziehungen zwischen Syrien und der Europäischen Union auf eine bessere Stufe gestellt werden und der Dialog – nicht zuletzt in Menschenrechtsfragen – wesentlich verbessert werden kann.

Dialog mit Europa

Bei aller Überzeugung, dass Syrien in den gesamten Friedensprozess involviert werden und eine stärkere Verbindung mit Europa eingehen soll, sind wir doch zutiefst darüber enttäuscht, dass die Demokratisierung und die Menschenrechtsfrage in diesem Land stecken geblieben sind. Es gibt kaum Fortschritte, in manchen Bereichen sogar Rückschritte – auch wenn manche aus den Gefängnissen befreit wurden, nachdem wir uns für sie eingesetzt haben. Es handelt sich also um ein zwar gemischtes, aber eben kein eindeutig nach vorne gerichtetes Bild, wenn es um Menschenrechte und Demokratie geht.
Es wäre allerdings ein großer Fehler anzunehmen, dass Druck und Isolation zu einer Besserung dieser Entwicklung beitragen könnten. Ich bin absolut davon überzeugt, dass langfristig ein stärkerer Dialog mit Europa hilft. Ich erwarte mir keine Wunder, und die Veränderungen werden nicht von heute auf morgen passieren. Aber die reaktionären Hardliner werden automatisch schwächer werden, wenn sie Europa nicht länger als Feindbild heranziehen können. Aus diesem Grund ist für mich unmissverständlich klar, dass wir in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten voranschreiten und entsprechende Schritte setzen müssen. Und das betrifft nicht nur die Kooperation und den Dialog mit Syrien, sondern mit allen Kräften in der Region.

Damaskus, 17.9.2006