Thank you for asking how I feel

Die Sehnsucht nach der Vergangenheit ist in Bosnien-Herzegowina ebenso allgegenwärtig wie die Sehnsucht, in ein anderes Land zu gehen.
In Banja Luka haben wir auch intensive Gespräche mit NGOs geführt. Sie arbeiten vor allem daran, ein neues Bosnien-Herzegowina herauszubilden, das alle Menschen- und Minderheitenrechte voll anerkennt.

Pessimistische Erkenntnisse

Einer der NGO-Vertreter hatte ein Buch publiziert, das im November 2005 herausgegeben wurde – also 10 Jahre nach dem Abkommen von Dayton. Es trägt den Titel „Thank you for asking how I feel“. In diesem Buch sind viele kurze Interviews und Stellungnahmen festgehalten, in denen Menschen Antworten auf die Frage gegeben haben, was sie fühlen und was sie sich erwarten.
Es findet sich ein großer Pessimismus wieder. Ob das absichtlich ausgewählt wurde oder ein repräsentativer Querschnitt ist, kann ich nicht beurteilen. Manche Beiträge waren insofern optimistisch, als die Befragten angaben, jetzt wesentlich besser zu leben, andere wieder waren sehr nostalgisch.

An was glaubst Du?

Ich möchte an dieser Stelle nur einige Beispiele zitieren, die ich sehr spannend finde. Jana Kagno beispielsweise, ein Student aus Sarajewo, geboren 1982, meinte auf die Frage, was er von seiner Zukunft erwarte: sein Ziel sei es, von hier wegzugehen und nach Australien auszuwandern, dort sein Studium abzuschließen, eine Familie zu gründen und ein normales Leben zu führen – ganz so, wie es vor dem Krieg gewesen ist. Das spiegelt den Wunsch Vieler wieder: nicht nur zu dem zurückzukehren, wie es vor dem Krieg war, sondern auch das Land zu verlassen.
Mehrere Antworten auf die Fragen nach dem Glauben waren eine eigenartige Kombination vom Glauben an Gott, an Geld oder an ein gutes Leben. Ein Bewohner aus dem Ort Teslic etwa meinte: „Ich glaube an die Liebe auf den ersten Blick, an Gott und ein gutes Leben.“ Andere hingegen antworteten: „Ich glaube nur an mich selbst.“ Zu ihnen gehörte Nada Milanovic. Ibrahim Bukovic meinte: „Ich glaube an gar nichts. Ich sehe Mörder, die noch immer das Volk führen, es ausrauben, zusammen mit Ashdown.“ (Anm.: Paddy Ashdown war bis vor kurzem der Hohe Beauftragte der Internationalen Gemeinschaft.) Muncevo Kovacevic gab an: „Ich glaube an Gott und an Geld.“

Gott, Geld und ich selbst

Ein Student aus Banja Luka, geboren 1982, meinte: „Ich glaube an nichts und niemanden. Ich glaube an mich selbst, von Zeit zu Zeit.“ Emir Keric aus Sarajewo, geboren 1969, bekannte: „Ich glaube an Allah und an Geld.“ Auf die Frage, was für ihn Frieden bedeute, antwortete er: „Alles, was es vor 1992 gegeben hat.“ Alma Maric aus Mostar meinte auf die Frage, an was sie glaube: „Ich glaube an Gott und an das frühere Jugoslawien.“ Und auf die Frage nach dem Frieden: „Alles, was es während des Tito-Regimes gab, vor allem auch, mehr Jobs zu haben. Meine Vergangenheit war viel besser als alles, was wir heute haben.“
Vielleicht könnte man viele dieser Antworten auch im restlichen Europa finden. Sie sind auch nicht statistisch hinterfragt oder belegt. Und doch geben sie die Sehnsucht nach einer Vergangenheit wieder, ebenso wie die Sehnsucht, in ein anderes Land zu gehen. Und sie spiegeln einen eigenartigen Ausdruck von Werten und Glaubenssätzen wieder: den Glauben an Gott, Geld und sich selbst. Ob das genügen wird?

Banja Luka, 2.5.2006