Trans Atlantic Policy

Wir sollten eine Politik aus europäischer Sicht entwickeln, die dort, wo sie Gemeinsamkeiten mit den USA sieht, diese auch international verstärkt, aber doch unabhängig von den Vereinigten Staaten versuchen, vor allem mit den großen, sich neu entwickelnden Märkten China, Indien, etc. Kontakte herzustellen.
Von Chicago ging es für mich weiter nach Salt Lake City, einer Stadt, die einen sehr deutlichen religiösen Stempel trägt. Salt Lake City ist die Stadt der Mormonen, sie beherbergt einen Riesen-Tempel, eine Art Kirche, ein riesiges Hochhaus, in dem die gesamte Verwaltung untergebracht ist und ein Kulturzentrum mit einem überdimensionalen Saal für 25.000 Personen.

Transatlantic Network

Anlass meines Aufenthaltes war eine Zusammenkunft im Rahmen des Transatlantic Policy Networks, eines Netzwerkes, das aus Mitgliedern des Europäischen Parlaments einerseits, dem Senat und dem Repräsentantenhaus andererseits sowie aus Vertretern großer Firmen, die in beiden Märkten arbeiten, zusammengesetzt ist.
Inhaltlich beschäftigten wir uns zum einen mit wirtschaftlichen Themen: Wie kann ein gemeinsamer Markt zwischen den beiden Wohlstandsregionen Europa und USA gebaut werden? Und wie gehen wir mit den aufstrebenden Ländern China, Indien, Brasilien, etc. um? Andererseits standen politische Themen, insbesondere der Nahe Osten sowie die Frage des Terrorismus und der Massenvernichtungswaffen, im Mittelpunkt unserer Auseinandersetzungen. Gemeinsam mit einer amerikanischen Wissenschaftlerin, die an einem von Madelaine Albright geleiteten Institut arbeitet, habe ich über die Frage der Massenvernichtungswaffen und den Terrorismus referiert.

Wer ist ein Terrorist?

Ich begann meine Ausführungen mit der Frage, wer eigentlich ein Terrorist ist. Manche behaupten ja, ein Terrorist sei jemand, der Gewalt anwendet. Die jüngsten Entwicklungen in Usbekistan zeigen allerdings, dass auch zwischen Freiheitskämpfern und Terroristen nicht immer ein klarer Unterschied gemacht werden kann. Wir kennen diese Debatte zudem aus dem Nahen Osten, aus dem palästinensischen und vielen anderen Konflikten.
Zweifellos ist die Beurteilung des Terrorismus nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 in New York etwas schärfer geworden – sowohl seitens der USA als auch seitens Europa – und es besteht gesteigertes Interesse, dagegen vorzugehen.

Ursachen bekämpfen

Klar muss allerdings auch sein, dass es nicht nur um die Bekämpfung, sondern auch um die Ursachen des Terrorismus geht. In diesem Zusammenhang habe ich in den vergangenen Tagen ein interessantes Buch gelesen. Verfasst wurde es vom ehemaligen Leiter der Anti-Bin Laden-Abteilung des CIA – inzwischen wurde dieser aus dieser Funktion ebenso hinausgedrängt wie aus dem CIA. Das Buch mag eine etwas einseitige Analyse sein. Dennoch macht der Autor deutlich, dass es zwecklos sei, eine direkte Bekämpfung der Terroristen vorzunehmen, wenn man nicht gleichzeitig die Ursachen beseitigt.
Die Ursachen des Terrorismus liegen nicht in einem abstrakten islamistischen Fundamentalismus, sondern vielmehr in der starken Präsenz der westlichen, der amerikanischen Truppen auf der arabischen Halbinsel sowie in der Unterstützung Chinas, Russlands, Indiens im Kampf gegen islamistische Separatisten – beispielsweise in Tschetschenien oder in Kaschmir. Oder in der Unterstützung arabischer Diktaturen wie etwa in Saudi Arabien, wobei man dort zweifellos Verbündete sieht und man vor allem über sichere Ölquellen verfügt. Hier wäre es angezeigt, sich nicht in diesem Ausmaß vom Öl abhängig zu machen und stattdessen die Frage der Energieeinsparung viel mehr in den Mittelpunkt zu stellen.

Ultra-konservativer Kontra

Diese politische und vor allem militärische Präsenz Amerikas in vielen islamischen Ländern, die Unterstützung der USA von autoritären bis diktatorischen Regierungen, arbeitet der Autor als eine der wesentlichen Ursachen für den Terrorismus heraus.
Eine Analyse, die etwa von dem ultra-konservativen amerikanischen Abgeordneten Phil English in unserer Runde prompt gekontert wurde. English sprach vom Islamofaschismus, der sich nicht nur gegen Amerika richte, sondern gegen alles, was westlich ist – und betrachtete damit die Angelegenheit als erledigt. Andere Faktoren mögen eine gewisse Rolle spielen, seien aber, so English, ohne Bedeutung.

Akutproblem Massenvernichtungswaffen

Was die Massenvernichtungswaffen betrifft, stehen wir zweifellos vor einem immensen Problem. Auf der einen Seite gibt es eine Reihe von quasi legalen Atomwaffenbesitzern: die USA, Russland, Frankreich, Großbritannien, auch China. Auf der anderen Seite gibt es Länder, die mehr oder weniger unkritisiert und toleriert Waffen atomarer Natur entwickelt haben: Israel, Indien und Pakistan.
Und schließlich gibt es Länder, die zwar dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten sind, die aber zumindest die Voraussetzungen zur Anschaffung von Atomwaffen schaffen: in erster Linie Nordkorea und der Iran. Dabei ist es laut diesem Vertrag nicht verboten, Uran anzureichern, allerdings darf dies nur für zivile Zwecke und nur unter Aufsicht durch die Internationale Atombehörde geschehen.

Neufassung des Atomwaffensperrvertrages

Gerade in diesen Tagen wird versucht, dem Atomwaffensperrvertrag eine neue Fassung zu geben. Gegenwärtig wird in New York darüber verhandelt, und viele Kommentatoren haben gemeint, der Ausweg könne ausschließlich in einer starken Multilateralisierung bestehen. Dies würde etwa bedeuten, den Vorschlag der Atomenergiebehörde in Wien aufzugreifen und die Anreicherung von Uran an zentralen Überwachungsstellen vorzunehmen, in der Folge für die friedliche Nutzung dieses Urans an die einzelnen Länder weiterzugeben und auch dort wieder die Verwendung dieses angereicherten Urans zu kontrollieren. Dies scheint eine durchaus sinnvolle Vorgangsweise zu sein.
Ausschlaggebend wird aber zweifellos auch sein, dass die USA mit dem Iran und dessen Erfahrung kooperieren. Es ist gut, dass Frankreich, Großbritannien und Deutschland mit dem Iran über atomare Fragen verhandeln, aber das berechtigte Sicherheitsbedürfnis des Iran wird man nicht allein durch diese Länder bzw. durch Europa lösen können. Da müssten die USA über ihren Schatten springen und versuchen, dem Iran bestimmte Garantien zu geben.

Verhältnis USA – Iran

Wenn jetzt die Amerikaner im Irak sind, und auch in anderen Nachbarländern die amerikanische Präsenz immer stärker wird, dann bedeutet das für den Iran insgesamt – und nicht nur für die herrschende Schicht der Mullahs – auch ein Sicherheitsproblem.
Als Präsident Kasai, Afghanistans Präsident, bei uns im Europäischen Parlament zu Besuch war, saß ich beim Mittagessen neben seinem Außenminister Abdullah. Diesen hatte ich schon vor einiger Zeit getroffen, als er das Europäische Parlament mit dem afghanischen Rebellenführer Massoud besucht hatte. Massoud wurde inzwischen durch islamische Terroristen ermordet. Heute ist er Außenminister der gesamten afghanischen Regierung. Bei seinem Besuch in Brüssel stellte er fest, dass dieser Punkt ein heikles Gesprächsthema beim Besuch in den USA werden würde. Für eine wirklich langfristige Orientierung im Bereich des erweiterten, größeren Nahen Ostens würden eine Entspannung zwischen dem Iran und den USA sowie gewisse Sicherheitsgarantien für den Iran zweifellos sehr sinnvoll sein.

Entscheidende Wahlen

Momentan finden im Iran die Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahlen statt, und daraus resultiert auch eine gewisse nationalistische Aufpeitschung im Iran selbst. Dadurch entsteht wiederum ein ziemliches Hin und Her bezüglich der Aussagen, ob der Iran die Anreicherung von Uran einseitig wiederaufnehmen wird oder nicht. Zu hoffen ist, dass es nach den Wahlen – der frühere Präsident Rafsanjani hat eit die besten Chancen, Präsident zu werden – zu einer entsprechend moderaten Außenpolitik des Irans kommt.
Das Regime, die Art und Weise, wie nach wie vor viele Bewegungen die Freiheit und die Demokratie im eigenen Lande unterdrücken, ist mir in keiner Weise sympathisch. Dennoch ist klar, dass ein militärischer Anschlag gegen den Iran – ob von Israel, von den USA oder von beiden geführt – die Konfliktsituation im Nahen Osten nur weiter massiv anheizen würde. Und genau das sollte unter allen Umständen vermieden werden.

Annäherung

Insgesamt haben die Gespräche in Salt Lake City gezeigt, dass die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen – vielleicht auch eine Folge der neuen Regierung Bush – in der Außenpolitik ein gewisses Entgegenkommen gegenüber Europa signalisierten und auch moderater in ihren Ansprüchen waren. Allerdings, die Frage des Iran und die Frage des Terrorismus haben doch einerseits eine gewisse Hilflosigkeit und andererseits eine gewisse Orientierung an den scharfen Worten von Bush und seinen Leuten gezeigt, vielleicht sogar ein gewisses Nachhinken gegenüber Bush bzw. den moderateren Tönen von Bush oder Condolezza Rice, die man in der letzten Zeit gehört hat.
Die USA sind aus meiner Sicht politisch noch weit davon entfernt, sich zum Multilateralismus zu bekennen. Das zeigt nicht zuletzt die Nominierung von John Bolten zum Vertreter der USA bei den Vereinten Nationen – etwas, das von den Demokraten und auch von vielen ehemaligen und gegenwärtigen Diplomaten der USA selbst heftig bestritten wird.

Freiheit ist ein universeller Wert

Die konservative Außenpolitik wird zweifellos fortgesetzt werden. Bush hat sich gerade in den vergangenen Wochen bei Besuchen in Lettland, in Moskau, vor allem aber in Georgien als Held der Freiheit feiern lassen. In diesem Zusammenhang kann ich nur an das anschließen, was Timothy Gordon Ash vor kurzem geschrieben hat: Man sollte den Kampf für die und den Ruf nach Freiheit nicht Georg Bush bzw. seiner Agenda überlassen.
Ob jedoch Europa aus den eigenen Erfahrungen heraus in einem viel stärkeren Ausmaß mit den Freunden und Nachbarn sprechen und ihnen signalisieren kann, dass es auch in ihrem Interesse ist, wenn es in der Ukraine zur Demokratisierung kommt, bleibt abzuwarten. Ebenso wie die Frage, ob es in Georgien, Aserbeidschan und anderen Ländern wie Armenien zu Demokratie und mehr Freiheiten kommt. Die Freiheit ist kein amerikanischer Wert, sie ist ein universeller Wert. Diesen müssen wir gerade aus europäischer Sicht massiv vertreten und dürfen ihn nicht der Regierung Bush überlassen.

Einfluss der Religion

Freiheit bedeutet allerdings auch eine Freiheit im Inneren, und auch in diesem Punkt gibt es massive Unterschiede zwischen den USA und Europa – nicht nur, was beispielsweise die Gefangenen in Guantanamo betrifft. Auch die rückwärtsgewandte, religiöse Beeinflussung der Politik spielt eine Rolle. Hier bestehen zweifellos auch Zusammenhänge mit dem alten und dem neuen Papst. Der Einfluss des Vatikans, der die Bischöfe in den Vereinigten Staaten von Amerika dazu bewogen hat, sich nicht für den Katholiken Kerry, sondern für den Nichtkatholiken Bush auszusprechen, weil Kerry in der Frage der Abtreibung eine tolerante Haltung an den Tag legte, ist noch in Erinnerung. Und nicht zufällig hat Papst Benedikt einen amerikanischen Kardinal zu seinem Nachfolger als Chef der Glaubenskongregation bestellt.
Man sollte die politische Auswirkung der Verbindungen zu fundamentalistisch-religiösen Kreisen im Christentum und die zum Teil bestehenden Kontakte mit fundamentalistisch jüdischen Kreisen, insbesondere in Israel, sowie die Differenzen, die es in einzelnen Glaubensfragen gibt, nicht unterschätzen.

Eine eigenständige europäische Politik

Aus meiner Sicht sollte man sich keine Illusionen über eine geänderte Politik von Bush und den USA machen, sondern die bestehenden Nuancen zur Kenntnis nehmen und diese unterstützen. Und man sollte eine Politik aus europäischer Sicht entwickeln, die dort, wo sie Gemeinsamkeiten mit den USA sieht, diese auch international verstärkt, aber doch unabhängig von den Vereinigten Staaten versuchen, vor allem mit den großen, sich neu entwickelnden Märkten China, Indien, etc. Kontakte herzustellen.
Nie allerdings ohne darauf hinzuweisen, dass letztendlich Demokratie und Freiheit wichtige Entwicklungsfaktoren sind, nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung, sondern vor allem auch für die politische und militärische Stabilität Dabei genügt uns Demokratie nicht, denn Demokratie führt nicht automatisch zum Frieden und zur Freiheit. Wir brauchen auch eine sehr positive Einstellung zur Freiheit. Und Freiheit heißt natürlich auch Toleranz und Respekt für die Andersdenkenden – das Fundament der europäischen Einigung.
Salt Lake City, 15.5.2005