Unabhängigkeitsbestrebungen

Die Unabhängigkeit Montenegros von Serbien könnte dazu führen, dass sich beide Länder besser auf ihre eigenen Probleme konzentrieren können anstatt sich permanent gegenseitig aufzureiben und darüber zu diskutieren, wie die Zusammenarbeit funktionieren soll.
Am gestrigen Sonntag flog ich am frühen Nachmittag mit der AUA in die montenegrinische Hauptstadt Podgorica. Die Maschine war voll besetzt, und ich konnte bereits während des Fluges vernehmen, dass viele TeilnehmerInnen jener Tagung, zu der auch ich eingeladen worden war, ebenfalls diesen Flug nach Podgorica gebucht hatten.

Unabhängiges Montenegro

Von Podgorica fuhren wir mit einem Autobus durch eine wunderschöne Landschaft zum Konferenztagungsort Sveti Stefano an der Adriaküste. Das Landschaftsbild war durch Seen und schwarze Berge, was ja der Name Montenegro ausdrückt, geprägt.
Bereits am Abend fand eine Diskussion statt, bei der sich verschiedene VertreterInnen, vor allem aus der Region, mehr oder weniger deutlich für die Unabhängigkeit Montenegros von Serbien aussprachen. Zumindest legten sie ihr Einverständnis und ihre Position gegenüber der Unabhängigkeit ohne Bedenken oder Sorgen dar.

UnterstützerInnen

Eingeladen waren in erster Linie VertreterInnen jener Staaten, die sich selbst aus dem ehemaligen Jugoslawien herausgelöst und für unabhängig erklärt haben. Dazu zählten der frühere Präsident von Slowenien, Milan Kucan, die Ministerpräsidenten von Mazedonien, Buckovski und von Bosnien-Herzegowina, Terzic sowie die Außenministerin von Kroatien, Grabar-Kitarovic.
Ein früherer ungarischer Außenminister meinte bei der Diskussion, dass die Montenegriner vor allem deshalb die Unabhängigkeit verdienen, weil sie schon in früheren Zeiten gegen das osmanische Empire gekämpft haben. So gab jede/r TeilnehmerIn seine Hinweise auf Montenegro als unabhängigen Staat als Beitrag zu einer Neugestaltung der Region.

Die Hauptakteure

Beim Abendessen sprach mich der mazedonische Ministerpräsident Buckovski an und lud mich ein, nach Mazedonien zu kommen. Ich führte auch kurze Gespräche mit der kroatischen Außenministerin, die ich schon seit längerem kenne, und mit dem montenegrinischen Außenminister Vlahovic, der mich einmal in Wien besucht hat und mit dem ich auch schon auf einem Podium diskutiert habe.
Vlahovic hat zwar dieses Treffen in Sveti Stefano nicht selbst organisiert, war aber doch einer der Hauptakteure – ebenso wie der montenegrinische Ministerpräsident und frühere Staatspräsident Djukanovic, der Hauptbetreiber der Unabhängigkeit.

Zwei parallele Staaten

Heute Morgen fanden dann fachorientierte Podien statt. Ich war eingeladen worden, über den Beitrag Montenegros zur regionalen Stabilität zu sprechen bzw. die Frage zu beantworten, ob eine eventuelle Unabhängigkeit Montenegros die Stabilität der Region gefährden würde. Ich war nie ein großer Anhänger der Idee, dass sich Montenegro unbedingt von Serbien loslösen muss. Ich registriere aber einen sehr starken Willen vieler MontenegrinerInnen, das zu tun.
Es würde außerdem ungeheure Anstrengungen bedeuten, in Montenegro genug Vertrauen gegenüber Serbien herzustellen. De facto ist die Staatengemeinschaft Serbien-Montenegro, wie mir der montenegrinische Außenminister immer wieder verdeutlicht, keine Gemeinschaft. Es handelt sich vielmehr um zwei separate Staaten, die parallele Wege gehen.

Bremser Serbien

Montenegro fühlt sich vom größeren Serbien missverstanden. Das Land verweist zudem stets darauf, dass Serbien wirtschaftliche Reformen nur sehr zögerlich durchführt und in der Frage der Zusammenarbeit mit Den Haag nicht voll kooperiert. Montenegro sieht seine politische und wirtschaftliche Entwicklung durch diese zögerliche Haltung Serbiens behindert.
Auch ich habe in früheren Gesprächen mit serbischen VertreterInnen, zuletzt mit Präsident Tadic in Brüssel und in Athen, den Eindruck gewonnen, dass es im Fall der Unabhängigkeit Montenegros keine großen Störungen geben wird. Man kann im Gegenteil vielleicht sogar davon ausgehen, dass sich dann beide Länder besser auf ihre eigenen Probleme konzentrieren können anstatt sich permanent gegenseitig aufzureiben und darüber zu diskutieren, wie die Zusammenarbeit von Serbien und Montenegro funktionieren soll.

Mehrheitsfindung

Ich habe mich in Sveti Stefano auch dazu geäußert, wie groß die Mehrheit sein müsste, um sicherzustellen, dass es sich um eine klare Willensbekundung der MontenegrinerInnen für die Unabhängigkeit handelt. Ich wurde in den vergangenen Wochen und auch nach meinem Referat bei dieser Konferenz von JournalistInnen immer wieder gefragt, von welchem Prozentsatz ich dabei ausgehe, um von einem klaren und auch rechtlich konsequenten Abstimmungsergebnis sprechen zu können.
Ich habe immer die Ansicht vertreten, dass es hinsichtlich der Teilnahmezahl kein besonderes Quorum für die Gültigkeit eines Referendums geben sollte. In Mazedonien etwa ist das befriedigend geregelt. 50% der Wahlberechtigten müssen sich am Referendum beteiligen, damit es Gültigkeit erlangt.

55%-Marke

Zur Höhe der abgegebenen Stimmen, die im Falle eines Ja zur Unabhängigkeit führen, habe ich selbst 55% ins Gespräch gebracht, um eine qualifizierte Mehrheit, die über die 50%-Marke hinausreicht, sicherzustellen. Ich gebe allerdings zu, dass auch dieser Wert willkürlich ist. Was passiert, wenn 54% mit Ja gestimmt haben? Darf dann die Trennung nicht durchgeführt werden, weil eben die 55% nicht erreicht wurden?
Andererseits könnte man argumentieren: Wenn man nicht einmal 55% erreicht hat, dann wird der Wunsch der Bevölkerung nicht so stark sein, dass die Trennung unbedingt durchgeführt werden muss. Es wird sich, worauf man sich einigt. Die MontenegrinerInnen selbst wären daran interessiert, lediglich die übliche 50%-Marke heranzuziehen.

Keine klaren Regeln

Der Vertreter von Solana bei dieser Konferenz, ein slowakischer Diplomat, meinte, es müssten 55% sein, die ein Ja zur Unabhängigkeit abgeben. Dem wurde entgegengehalten, dass sich die Slowakei von der Tschechischen Republik ohne ein Referendum und nur durch eine Abstimmung im Parlament getrennt hat. Daran zeigt sich, dass es für diesen Prozess eigentlich keine klaren Regeln gibt. Vielfach handelt sich auch um Fragen der politischen Machtverhältnisse.
Am Ende der Konferenz lud mich der montenegrinische Außenminister zu einem Mittagessen ein, bei dem Details über die zukünftige Zusammenarbeit besprochen haben. Insgesamt war es einen spannende Tagung und für mich persönlich eine gute Gelegenheit, wieder mit den ExpertInnen aus der Region zusammenzutreffen. Außerdem liegt Sveti Stefano direkt am Meer, und für mich ist es immer wieder im wahrsten Sinne des Wortes berauschend, das Rauschen des Meeres und die Wellen zu hören. Auch wenn das Wetter noch nicht wirklich frühlingshaft war, so hat mich doch die Schönheit dieser Küste und der Region bezaubert.

Sveti Stefano, 20.2.2006