Und immer wieder: Volksabstimmung

Nun geht es darum, der Bevölkerung „reinen Wein“ einzuschenken und zu erklären, warum eine Volksabstimmung zu Vertragsänderungen in der EU nicht ansteht.
In der Debatte um die Regierungsbildung spielt (und ich hoffe, bald wird man sagen können: spielte) die Forderung der SPÖ nach einer Volksabstimmung über „wesentlich Österreich berührende“ Vertragsänderungen im Rahmen der EU eine zumindest nach außen hin entscheidende Rolle.

Akt des Populismus

Da einige meiner Äußerungen im Zusammenhang mit einem Regierungsprogramm einer SPÖ/ÖVP-Koalition manchmal missverstanden wurden, möchte ich nochmals folgendes festhalten: Das Zustandekommen der Forderung nach einer Volksabstimmung war ja selbst äußerst problematisch. Weder wurde diese Frage innerhalb der SPÖ diskutiert, man hatte ja Monate hindurch eine solche Forderung vehement abgelehnt. Auch die Bekanntgabe des diesbezüglichen Meinungsschwenks über einen Brief an die Krone wurde weithin kritisiert. Man kann nicht anders als festzustellen, dass es sich um einen Akt des Populismus handelt, insbesondere wenn man sich das Schicksal vergangener nationaler und regionaler Volksabstimmungen in Österreich ansieht.
Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass im Falle solcher nationaler Volksabstimmungen – und in der EU gibt es auf absehbare Zeit nicht anderes – auch über das Schicksal anderer Länder abgestimmt wird. Im Falle unseres Beitritts zur EU haben die ÖstereicherInnen nur über ihr eigenes Schicksal abgestimmt und haben die Entscheidung und das weitere Vorgehen anderer Länder in der EU nicht beeinflusst.

Unklarheiten

Positiv hingegen – und das ist mir persönlich sehr wichtig zu unterstreichen – war und ist, dass die Bereitschaft zu einer Volksabstimmung ein deutliches Signal an die Bevölkerung bedeutet, in Hinkunft grundsätzliche Veränderungen der „Verfassung“ der EU mit den BürgerInnen zu diskutieren und sie in diesen Prozess zu involvieren.
Dabei war allerdings nicht jedermann klar, dass der schon ratifizierte Vertrag von Lissabon nicht einer Volksbefragung unterzogen werden sollte. Und überdies war und ist unklar, wann „wesentliche“ Interessen Österreichs betroffen sind. Insofern war auch die Idee, den vagen und nicht ausreichend definierten Beschluss der SPÖ in ein Verfassungsgesetz umzuwandeln – was glücklicherweise nicht gelang – absurd.

„Reinen Wein“ einschenken

Was wahrscheinlich den wenigsten bewusst war und ist, ist die Tatsache, dass wir in den nächsten Jahren kaum einen grundsätzlichen, neuen Vertrag der EU zur Beratung und Beschlussfassung bekommen werden. Entweder wird der Vertrag von Lissabon von den noch wenigen ausstehenden Ländern und vor allem von Irland ratifiziert, eventuell mit einigen geringfügigen Zusatzerklärungen, oder wir müssen noch auf Jahre hinaus auf Basis der jetzigen Vertragsverhältnisse in der EU arbeiten. In diesem Fall müssen wir uns überlegen, wie wir auch ohne Vertragsänderung und der entsprechenden Rechtsbasis die EU effizienter, handlungsfähiger und demokratischer machen können. Denn das war und ist das Ziel und wäre das Ergebnis des Reformvertrags.
Nun geht es darum, der Bevölkerung „reinen Wein“ einzuschenken und zu erklären, warum eine Volksabstimmung zu Vertragsänderungen in der EU nicht ansteht. Was aber ansteht, ist eine kritische Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Politiken der EU und den zukünftigen Aufgaben. Jedenfalls ist das die Aufgabenstellung, vor der jede europäische Regierung in den nächsten Jahren steht.

Transparenz und Dialogbereitschaft

Und da wir gerade in Österreich vor einer Regierungsbildung stehen und ein Programm für maximal fünf Jahre zu erstellen ist, muss man sich auf die realen Probleme konzentrieren und nicht auf fiktive. (Im Übrigen haben sich meine öffentlichen Aussagen zur Volksabstimmung immer auf die nächste – fünfjährige – Regierungsperiode bezogen). Andernfalls geht man nämlich genau am Problem vorbei, das ja durch das Versprechen einer Volksabstimmung angegangen werden sollte, nämlich die Bevölkerung an der Ausgestaltung der EU zu interessieren und zu involvieren. Und damit ist diese Frage nicht nur ein Testfall für die SPÖ, wie die ÖVP immer wieder betont, sondern mindestens genauso für die ÖVP.
Es gilt jetzt also, das Positive am Signal einer Volksabstimmung in eine reale, nachhaltige Politik umzusetzen, nämlich in eine Politik der Transparenz und Dialogbereitschaft, was die verschiedenen Politikinhalte der EU betrifft. Wer gebetsmühlenartig immer nur nach der Volksabstimmung ruft, für die es keinen unmittelbaren Anwendungsfall gibt, verfehlt das Ziel, die Bevölkerung an der EU-Politik aktiv zu beteiligen.

Wien, 26.10.2008