Und wieder ein Krisenherd

Extremistische Albaner haben in dem an den Kosovo angrenzenden Teil Mazedoniens durch Attentate und Besetzungen von Dörfern erneut den Frieden und die Stabilität in der Region gefährdet. 
Die vergangenen zwei Tage habe ich in Skopje, der Hauptstadt Mazedoniens, verbracht. Anlass meines Aufenthaltes war eine Konferenz des „Netzwerkes für Parlamentarier Süd-Ost-Europas“ gemeinsam mit dem Europaparlament – eine Konferenz, wie wir sie schon einmal in Zagreb hatten.
Thema diesmal war die Frage der grenzüberschreitenden Kriminalität, insbesondere der illegale Frauenhandel und die Frage der Migration bzw. die Situation der Flüchtlinge und der Flüchtlingsrückkehr in diese krisengeschüttelte Region.

Illegaler Frauenhandel

Zum Thema Frauenhandel referierte unter anderem die frühere Frauenministerin Helga Konrad, die sich derzeit auf Auftrag der OSZE bzw. des Stabilitätspaktes für den Kampf und für die Aktionen gegen den Frauenhandel einsetzt. Sie hat ein sehr gutes und klares Referat gehalten, das den Wandel der Dringlichkeit des Problems in der gesellschaftlichen und der politischen Wahrnehmung aufgezeigt hat. Nicht zuletzt sie war es, die als Frauenministerin gemeinsam mit Anita Gradin eine Konferenz in Wien ins Leben gerufen hat, um dieses Thema auch wirklich zu einem europäischen Thema zu machen. Zu einem Thema der Europäischen Union, aber auch zu einem Thema der Beziehungen der Europäischen Union mit den auch sonst betroffenen Ländern, vor allem den Herkunfts- und den Durchgangsländern.
Es ist interessant zu sehen, und auch darauf haben Helga Konrad und andere RednerInnen hingewiesen, dass Frauen, die diesem Handel zum Opfer fallen, zum Großteil zwischen 16 und 24 Jahre alt, durchaus auch gebildet sind und auch sehr viele von ihnen Kinder haben. Diese Frauen werden mit allen möglichen verheißungsvollen Angeboten gelockt. Das große Geld ist in diesen armen Ländern verständlicherweise immer ein Magnet, und wenn man sehr arm und verzweifelt ist, dann wird auch die Realität anders wahr genommen und man fällt auf viele illusorische Versprechungen herein.
Untersuchungen belegen überdies, dass nicht immer von einer erzwungenen Prostitution die Rede sein kann, sondern sich manche auch erhoffen, das große Geld zu machen.

Europa muss eingreifen

In allen Fällen sind es aber Schlepper und ungemeine Verbrecher, die die Notsituation vieler Frauen ausnützen und sie in die westlichen Länder führen, zum Teil wie Sklavinnen halten und zum Teil auch noch stolz darauf sind. Erst unlängst habe ich in den Medien Berichte gelesen, wo sich auch einige dieser Frauenhändler fotografieren liessen, weil sie sich der Tatsache bewusst sind, dass sie nicht verfolgt werden.
Wahrscheinlich schmieren sie die Polizei und die Justizbehörden, aber auf jeden Fall geht hier ein sehr ungustiöser Handel mit Frauen und Kindern vor sich, der eine rasche und durchgreifende Aktion der Polizeibehörden in der Europäischen Union, aber eben auch in unseren Nachbarländern verlangt. Ich glaube, dass Europa unter anderem gerade dafür da ist, solche kriminellen Aktivitäten über die einzelnen nationalen Grenzen hinweg zu unterbinden.

Flüchtlingsrückkehr

Bei der Frage der Flüchtlingsrückkehr gab es einige positive Signale. So dürften im vorigen Jahr alleine in Bosnien-Herzegowina dreimal so viel Flüchtlinge in ihren ursprünglichen Heimatort zurückgekehrt sein als im Jahr zuvor. Allerdings heißt das nicht all zu viel, da die Zahlen noch immer relativ gering sind – jedenfalls zu gering, um von einem durchgreifenden Erfolg zu sprechen.
Es war auch die Rede davon, dass es keinen Zwang zur Rückkehr gibt. Es gibt ein Rückkehrrecht, und das darf man den Menschen nicht nehmen, aber man sollte durchaus auch das Angebot der Integration am neuen Wohn- und Standort machen. Vor allem dann, wenn die Aufenthaltsländer insbesondere in der Region bereit sind, unter der Voraussetzung gewisser finanzieller Unterstützung diese Integration vorzunehmen. Wo immer sich die Flüchtlinge befinden, ergibt sich zwangsweise das große Problem einer horrenden Arbeitslosigkeit, die ihnen weder in den Aufenthaltsländern noch in den Ländern ihres Ursprungs, also in jenen Ländern, wohin die Flüchtlinge eventuell zurückkehren, wirklich die Chance einer vollen Teilnahme am gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Leben ermöglicht.

Erneute Gefährdung der Stabilität

Man sieht, dass diese verschiedenen Fragen in einander greifen und nur ein ständiger wirtschaftlicher Fortschritt, Investitionen in die Infrastruktur, die dafür Sorge tragen können, dass die Region insgesamt einen Aufschwung erlebt, sinnvoll sind. Dazu ist es natürlich notwendig, dass es Frieden und Stabilität gibt. Aber gerade dieser Frieden und diese Stabilität ist in dieser Region, insbesondere in Mazedonien, gefährdet.
Die Extremisten unter den Albanern haben in den an den Kosovo angrenzenden Teil verschiedene Attentate durchgeführt und Dörfer besetzt. Sie sind vom Kosovo aus eingedrungen. Einerseits wollen sie sich ein für sie frei verfügbares Ausgangsfeld für ihre Attacken in Südserbien schaffen und hier eine Verbindungslinie für Versorgung und Nachschub zwischen dem Kosovo und Südserbien schaffen. Wahrscheinlich geht es nicht nur um Waffenlieferung, sondern auch um Verbindungen mit dem Schmuggel.

Wo bleibt die internationale Gemeinschaft?

Wie auch immer – es ist völlig inakzeptabel, dass ein Land wie Mazedonien, das sich vor allem auch während des Kosovokrieges vorbildhaft verhalten und das – mit ohnehin schon etwa einem Drittel Albanern in der Bevölkerung – noch viele Kosovoflüchtlinge empfangen hat, nun für diese vorbildhafte Haltung noch bestraft wird. Die internationale Gemeinschaft müsste alles unternehmen, um diesem Unwesen Einhalt zu gebieten, aber bisher sind die Signale eher sehr zurückhaltend.
Die KFOR-Truppen, die in den angrenzenden Kosovo-Gebieten agieren, sind Amerikaner, und diese sind nicht wirklich bestrebt, sich im Schutz der Bevölkerung gegen die Extremisten zu engagieren. Es ist wirklich grotesk, dass Amerika bereit ist, massiv Bomben abzuwerfen und den Albanern zu helfen, aber nicht bereit ist, kleinere Aktionen zu setzen, um den albanischen Terroristen das Handwerk zu legen.

Konflikte vorprogrammiert

Doris Pack, die den Vorsitz im Netzwerk von Skopje inne hatte, und ich sind am gestrigen Abend vom Präsidenten der Republik, Trajkovsky, empfangen worden und haben ihm unsere Unterstützung und unseren festen Willen zugesichert, in dieser Frage klare Worte zu sprechen, was wir ja auch schon gestern vor der Presse getan haben.
Trajkovsky war ruhig, aber er hat natürlich zum Ausdruck gebracht, dass diese Aktivitäten ihn und das Land in eine sehr schwierige Lage bringen und auch die Gefahr in sich bergen, dass es zu Schwierigkeiten zwischen der mazedonischen, der slawischen und der albanischen Bevölkerung im Lande kommt. Sicherlich hängen diese Unruhen und Attentate auch damit zusammen, dass vor wenigen Tagen anlässlich eines Gipfels der Balkanländer der Präsident Jugoslawiens, Kostunica, und der Präsident von Mazedonien ein Grenzabkommen abgeschlossen haben, nach dem die Grenze zwischen Jugoslawien und Mazedonien endgültig geregelt worden ist.

Kleiner Grenzzwischenfall

Auf der Tagung kam es hinsichtlich der Grenzen auch zu einem kleinen Zwischenfall. Von österreichischer Seite war man sehr aktiv im so genannten Grazprozess, also in der Entwicklung von Erziehungsmodellen und Erziehungskooperationen zwischen den einzelnen Ländern der Region.
Es wurde eine Broschüre vorgelegt, in der sich der Grafiker offenbar als Korrektor der bestehenden Grenzen verstanden hat. Er hat nicht nur den Kosovo als eigenständigen Staat eingezeichnet, sondern den Kosovo auch noch so vergrößert, dass es überhaupt keine Berührungspunkte mehr zwischen Mazedonien und Serbien gibt. Er hat gewissermaßen Südserbien schon dem Kosovo zugeschlagen.
Wahrscheinlich war es nur Naivität des Grafikers, aber wer die Bedeutung von Grenzen und Geografie in dieser Region kennt, weiß, dass so etwas natürlich auch zu einer sehr unguten Stimmung beiträgt.
Griechenland und Mazedonien haben sich über diese Art der Präsentation der Geografie und der Grenzen in dieser Region jedenfalls lautstark beschwert.

Reform des Mediengesetzes

Heute Nachmittag haben Doris Pack und ich einen Besuch beim Ministerpräsidenten Georgievski gemacht. Er mag ein Nationalist sein, aber er betreibt trotzdem eine sehr anständige und besonnene Politik und hat trotz der derzeitigen Krisensituation Ruhe und Selbstsicherheit ausgestrahlt. Man kann nur hoffen, dass diese Ruhe und Besonnenheit zumindest solange andauern, bis die internationale Gemeinschaft sich zur aktiven Einmischung gegen die Extremisten entschliesst.
Den mazedonischen Ministerpräsident habe ich auch auf einen Vorschlag für ein Gesetz hinsichtlich der Regelungen von Medien angesprochen – diese wurden in letzter Zeit von internationalen Kreisen, aber auch von der Opposition kritisiert. Ich habe ihn gebeten, Augenmerk auf diesen Punkt zu legen und Änderungen vorzunehmen. Er hat mir geantwortet, dass das fragliche Gesetz bereits am heutigen Vormittag zurückgezogen worden ist und er jetzt internationale Meinungen einholt, bevor das Gesetz dem Parlament zugeleitet wird.

Brücke zur Opposition

Wie erwähnt wurde ich von der Opposition darauf aufmerksam gemacht. Ich bin nämlich etwas früher nach Mazedonien gekommen, nicht zuletzt auf Wunsch einiger Botschafter der Europäischen Union in Mazedonien, denen das Verhältnis zwischen Regierung und Opposition nicht sehr gut zu sein schien. Sie haben dafür vor allem die Opposition verantwortlich gemacht, die aus ihrer Sicht zu sehr die Arbeiten des Parlaments blockiert und den Präsidenten noch immer nicht vollständig anerkennt.
So haben die Botschafter mich gebeten, auf die Opposition etwas Einfluss zu nehmen, denn es handelt sich um eine Partei, die sich der Sozialdemokratie sehr nahe fühlt und mit uns gute Kontakte hat. Sie ist als Partei aus der ehemaligen kommunistischen Partei hervorgegangen, hat aber natürlich inzwischen schon viele jüngere Funktionärinnen und Funktionäre, die mit der alten kommunistischen Partei nichts zu tun haben.

Demokratische Spielregeln einhalten

Das Gespräch führte ich mit zwei weiblichen Abgeordneten, die ich sehr gut kenne, eine davon eine sehr junge, dynamische Abgeordnete, die die Dinge etwas „moderner“ sieht. Ich habe sie sicherlich nicht überzeugt, dass sie an ihrer kritischen Haltung gegenüber der Regierung zwar festhalten sollen, vielleicht aber doch ein paar demokratische Spielregeln etwas stärker einhalten sollten. Und zum Beispiel den Präsidenten anzuerkennen, selbst wenn es Unregelmässigkeiten bei der Wahl gegeben hat. Er hat sich sehr bemüht, der Präsident aller Mazedonier zu sein und sollte anerkennt werden, auch wenn das vielleicht dem einen oder anderen Parteimitglied Schwierigkeiten macht.
Hinsichtlich der Blockade mancher parlamentarischer Arbeit verstehe ich die Position der Opposition, weil sie die Zustimmung zu Gesetzen, die eine 2/3 Mehrheit benötigen, von einem Entgegenkommen der Regierung abhängig macht – insbesondere was die Änderung des Wahlgesetzes und auch die Schaffung eines Antikorruptionsgesetzes betrifft.
Eindeutig habe ich der Oppositionspartei empfohlen, auch mit uns als europäische Sozialdemokraten mehr Kontakt zu halten, da wir vielleicht doch einerseits ihre Argumente besser verstehen und andererseits auf Kritik, die aus den Reihen der Botschafter oder der Regierung kommt, stärker beantworten können. Auf der andern Seite glaube ich, haben wir vielleicht auch die Möglichkeit, bei dem einen oder anderen Punkt etwas mäßigend auf die Opposition einzuwirken. Das ist natürlich insbesondere in einem armen Land, das sich auf die Anpassung des Landes auf europäische Standards und sehr, sehr langfristig auch auf die Aufnahmeverhandlungen und letztendlich vielleicht auch irgendwann einmal die Mitgliedschaft der Europäischen Union vorbereitet, nicht einfach. Gerade in solchen Phasen, die natürlich länger dauern, kann eine Opposition nicht immer nur streichelweich sein, allerdings muss man auch darauf Bedacht nehmen, dass das Image des Landes insgesamt nicht unter einer allzu heftigen Oppositionspolitik leidet.

Gemeinsam statt einsam

Die Regierung hat allerdings die Aufgabe, die Gesprächsbasis mit der Opposition zu verbessern und ihr auch ein Angebot der Kooperation zu machen. Insgesamt sehe ich das Verhältnis zwischen Regierung und Opposition nicht tragisch. Es würde aber der Konsensfindung in einem Land, das ohnedies etwa durch die ethnische Frage gespalten ist, nämlich zwischen der albanischen- und der Mehrheitsbevölkerung, und sich außerdem in einer sehr kritischen geografischen Lage befindet, dienen und sich für die Zukunft des Landes sicherlich günstig auswirken.  
Skopje, 27.2.2001