Unruhige Zeiten

 Je öfter ich nach Skopje komme, desto mehr wird mir die Trennung zwischen den Mazedonisch sprechenden und dem Albanisch sprechenden Bevölkerungsteilen bewusst.
Mazedonien ist noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Ein Wissenschafter, der sich mit Krisen, insbesondere am Balkan beschäftigt, hat die Situation auf den Punkt gebracht: „Die unruhige Minderheit (der Albaner) ist durch eine unruhige Mehrheit (der Mazedonier) in Mazedonien abgelöst worden“.

Im vergangenen Jahr wurde das Abkommen von Ohrid geschlossen und Zug um Zug durch entsprechende Beschlüsse im Parlament umgesetzt – mit vielen Mühen, unendlichem Bauchweh und jeder Menge Konfliktstoff zwischen der Albanisch sprechenden Minderheit und der Mazedonisch sprechenden Mehrheit, aber auch zwischen den Parteien, die diese beiden Gruppen vertreten. Ein wirklicher Versöhnungsprozess ist weiterhin nicht erkennbar.

Trennung statt Zusammenwachsen

Je öfter ich selbst nach Skopje komme, desto mehr wird mir die Trennung zwischen den Mazedonisch sprechenden und dem Albanisch sprechenden Bevölkerungsteilen bewusst. Die beiden Gruppierungen sind weder durch Stacheldraht noch durch sonstige bauliche Elemente getrennt. Aber der Fluss, der durch Skopje fließt, zieht eine klare und natürliche Trennung zwischen den beiden unterschiedlichen ethnischen Bevölkerungsteilen in diesem Land und dieser Stadt. Inwiefern und wann es zu einem Zusammenwachsen kommen wird und ob das Abkommen von Ohrid es der Minderheit ermöglichen kann, sich verstärkt in der eigenen Sprache auszudrücken, ist eine Frage, die man aus heutiger Sicht noch nicht beantworten kann.

Auch in der nahe gelegenen Stadt Tetovo sind die Wunden noch nicht verheilt. Tetovo war eines der Zentren des albanischen Widerstandes. Es gab hier eine – mehr oder weniger – illegale „Universität“. Und hier wurde schliesslich den Wünschen und Vorstellungen der Albaner entsprochen und eine private, d.h. von der Europäischen Union, aber zum Teil auch von Amerika finanzierte Universität geschaffen. Diese unterrichtet nach einem Gesetz, das das Parlament in Skopje beschlossen hat, vor allem in albanischer Sprache, wenn auch einige Gegenstände in Mazedonisch gelehrt werden müssen, um eine Integration der Universität in Mazedonien insgesamt zu erreichen.

Die Universität von Tetovo

Die Tetovoer Universität wurde Campusartig angelegt – mit bunten Häusern, die von einer Waldviertler Firma erbaut worden sind. Sie macht einen freundlichen und angenehmen Eindruck, ebenso wie die führenden Köpfe inklusive dem Rektor. Diese stehen allerdings unter dem Druck der albanischen Nationalisten, insbesondere jener der nahe gelegenen, nach wie vor bestehenden albanischen Pseudo-Universität. Die Zusammenarbeit mit den Universitäten in Pristina, also im Kosovo, und in Tirana ist zudem sehr eng, was auch verständlich ist. Andererseits gibt es Bemühungen, rein Mazedonisch sprechende StudentInnen an die Universität zu binden sowie zusätzlich auch in englischer Sprache zu unterrichten.

Die Universität von Tetovo könnte, wenn Europa weiterhin zu ihr steht und sie selbst dem Druck der Nationalisten Stand hält, der Nukleus eines modernen Mazedoniens werden, das den Albanern Rechte zugesteht, die über das bisher übliche Ausmaß hinausgehen, und gleichzeitig an der Integration in die mazedonische Gesellschaft interessiert ist.

In der Umgebung von Tetovo gibt es nach wie vor unzählige zerstörte Häuser. Und viele Albaner und Mazedonier konnten noch nicht in ihre Häuser zurückkehren, weil die von der Europäischen Union zur Verfügung gestellten Mittel ganz einfach nicht ausreichend sind, um entsprechende Renovierungen vorzunehmen. Wenn nun am 15. September dieses Jahres Wahlen stattfinden sollen, dann wäre es allerdings zielführend, dass zu diesem Zeitpunkt bereits möglichst Viele in ihre Häuser zurückgekehrt sind, um auch den Wahlvorgang zu erleichtern. Es geht aber auch darum, dass die Sicherheit gewährleistet ist. Geld allein genügt nicht, wenn die Menschen, die in ihre Häuser und Dörfer zurückkehren, sich dort nicht sicher fühlen können.

Ob die vielen Schüsse, die man hier in der Nacht hört, Freudenschüsse, wie manche meinen, oder doch eher Warnungs- bzw. Einschüchterungsschüsse sind, kann ich als Außenstehender schwer beurteilen. Die hier stationierten NATO-Truppen vollbringen zwar gute Arbeit, sind allerdings in ihren Einsatzmöglichkeiten beschränkt, dienen sie doch in erster Linie dem Schutz der internationalen Beobachter. Dennoch werden sie – zumindest vom bisher Kommandierenden – so eingesetzt, dass sie auch zur erhöhten Sicherheit in den Dörfern und Städten dienen – und zwar alleine durch ihre Präsenz. Diese Entscheidung konnte der zuständige General allerdings nur gegen die Weisungen und eine sehr enge Auslegung des Mandats durch die Chefs der NATO durchsetzen.

Behindernde Bürokratie

Ich weiß nicht, ob es erfreulich oder bedrückend ist, dass vom Kommandierenden selbst dargestellt worden ist, wie ineffizient und behindernd die Bürokratie auch in den militärischen Behörden der NATO sein kann. Man denkt derzeit darüber nach, den Einsatz nicht mehr durch die NATO, sonder durch die Europäische Union leiten zu lassen. Der Widerstand Ankaras und danach auch Griechenlands hat dies bisher allerdings verhindert, denn die Verwendung von NATO-Ressourcen durch die Europäische Union setzt die Zustimmung aller NATO-Partner voraus. Ankara konnte in diesem Fall zwar ein Kompromiss abgerungen werden, der allerdings die Griechen nicht zufrieden gestellt hat. Und ich fürchte fast, dass, solange die Zypern-Frage nicht gelöst ist, das auch so bleiben wird.

So leitet also – leider – die NATO und nicht die Europäische Union diesen Einsatz. Dies in Mazedonien durchzuführen, wäre ein schöner Modellfall gewesen. Dass der Name des Landes nach wie vor umstritten ist, indem Griechenland immer noch darauf beharrt, dass es als „Frühere Jugoslawische Republik Mazedonien“ benannt wird, ist aus meiner Sicht grotesk und trägt keinesfalls zur Integration und Identitätsfindung bei.

Ich hoffe trotzdem, dass auch diese Hürden überwunden und die kommenden Wahlen mehr Ruhe und Stabilität bringen werden, sodass man sich endlich auf die wirklichen und lebenswichtigen Aufgaben in diesem Landes konzertieren kann.
Skopje, 1.6.2002