Unsichere Ukraine – Wohin geht die Reise?

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Mit Yulia Tymoschenko

Seit langem bin ich wieder in der Ukraine. Viel hat sich leider nicht geändert. Auch wird nach wie vor vor der Rada, also dem ukrainischen Parlament, demonstriert. Zwar hat jetzt die Partei der Regionen mit Präsident Yanoukovich und Ministerpräsident Azarov, der auch den Vorsitz der Partei übernommen hat sowie mit einer Koalitionsmehrheit im Parlament eine große Machtfülle, die sie auch weidlich ausnützt. Die Kluft zwischen ihnen und der zersplitterten Opposition ist aber nach wie vor sehr groß. Und zwar ist Timoschenko nach wie vor eine starke Führungspersönlichkeit, aber nach der Niederlage bei den letzten Präsidentenwahlen und auf Grund eines permanenten Streits mit dem früheren Staatspräsidenten Juschtschenko, ihrem Partner bei der „Orangen Revolution“, hat ihr Ruf sehr gelitten. Die permanenten Streitereien haben auch zu einem äußerst mageren Ergebnis ihrer Regierungstätigkeit geführt. Und generell dürfte für viele BürgerInnen die Ergebenheit in ihr Schicksal und die Resignation wieder gestiegen sein.

 Rückschritt

Jetzt wäre damit eine große Gelegenheit gegeben, dass die Partei der Regionen – gegen die die Orange Revolution ja durchgeführt wurde – ihre Vergangenheit überwindet und zu den Vollstreckern der Grundwerte und Ziele dieser Revolution wird. Und zwar ohne die Politik der Spaltung in einen guten Westen und einen bösen, russophilen Osten. Und ohne einer überstürzten Politik in Richtung EU und vor allem Nato. Und damit, ohne Russland zu entfremden. Aber das heißt natürlich, dass die Grundsätze der Demokratie, der politischen Transparenz nicht nur respektiert, sondern auch zunehmend umgesetzt werden müssen.

Leider waren die jüngsten Lokalwahlen keine Bestätigung dieser Verpflichtung. Die Vorbereitung der Wahlen war schlecht und ein neues Wahlgesetzt wurde durch das Parlament, die Rada, durchgepeitscht und musste dann noch rasch geändert werden. Mit einigen Tricks wurde in einem Teil der Wahlbezirke ein Teil der Opposition von der Teilnahme ausgeschlossen. Etliche KandidatInnen und Mitglieder der Wahlkommissionen wurden unter Druck gesetzt. Nicht, dass dies ganz neu und nicht auch früher unter der jetzigen Opposition geschehen ist. Aber erstens sollte dies vorbei sein und zweitens dürften diese Methoden wieder stärker eingesetzt worden sein. Und das ist ein Rückschritt.

Oligarchen sind präsent

Das macht auch unsere Aufgabe als europäische Sozialdemokratie schwierig. Denn wir haben ja ein Arbeitsabkommen mit der Partei der Regionen abgeschlossen. Ich habe darauf bestanden, dass wir uns nicht vorzeitig an diese Partei binden, nicht zuletzt auf Grund der dunklen, zumindest grauen Vergangenheit dieser Partei. An keine Partei in der Ukraine würde ich mich binden. Aber da die anderen größeren Parteien sich der Europäischen Volkspartei angeschlossen haben, blieb uns keine andere Partei „übrig“. Und die realistische Haltung zu einer gleichgewichtigen Haltung zu Russland und zur EU ist uns auch besonders sympathisch.

Aber wir müssen natürlich darauf schauen, dass die Grundsätze der Demokratie die Grundlage für die Arbeit der Partei der Regionen ist. Und das betrifft nicht nur die Art und Weise, wie Wahlen abgehandelt werden, sondern auch die Rolle und den Einfluss der zahlreichen Oligarchen. Und da gibt es keine Anzeichen, dass deren Aktionen wirklich zurückgedrängt werden, was unbestritten nicht leicht ist, da viele direkt oder über Mittelsmänner/frauen im Parlament vertreten sind.

Hohe Erwartungen

Begonnen hat unser Besuch  damit meine ich den Besuch der parlamentarischen Delegation zur Ukraine) wie üblich mit einem Gespräch mit den verschiedenen Botschaftern der EU-Mitgliedsländer unter der Leitung des EU-Botschafters Teixeira, den ich noch aus Mazedonien kenne, wo er vor vielen Jahren die EU-Kommission vertreten hat. Die allgemeine Meinung war eher kritisch, was die jüngsten Entwicklungen betrifft, den Ablauf der vor wenigen Tagen stattgefundenen Lokalwahlen inbegriffen. Allgemein wurde die Bedeutung des Arbeitsübereinkommens unserer Fraktion mit der Partei der Regionen als wichtig erachtet.

Allerdings wurden daran auch hohe Erwartungen geknüpft, dass wir nämlich diese Partei durchaus auf den richtigen, europäischen Weg führen. Keine leichte Aufgabe, wenn man an die zaristischen und sowjetischen Traditionen denkt, die auch heute noch immer wieder ihre Spuren hinterlassen. Allerdings werden diese Verhaltensweisen seitens der jetzigen Regierung mit Mitteln der modernen public relations gemischt.

„Spezieller Sicherheitsdienst“

So wurde uns das Angebot gemacht, den inzwischen auch in den internationalen Medien bekannt gewordenen Chef des „Speziellen Sicherheitsdienstes“ SBU, Valeriy Khoroshkovsky, zu treffen. Natürlich ergriffen wir diese Gelegenheit. Er kam zu uns in die EU-Vertretung. Er ist in der Tat sehr smart, das Gegenteil dessen, was man sich unter einem Geheimdienstchef vorstellt. Ich befragte ihn detailliert nach der Beschattung und Befragung von Journalisten, zum Beispiel von Konrad Schuller von der FAZ und nach der parlamentarischen Kontrolle. Er erwiderte, dass seine Hauptaufgabe der Kampf gegen die Korruption sei und alle Aktivitäten nur in diesem Zusammenhang zu sehen sind. Für die anderen Dinge sei die Polizei verantwortlich. Im Übrigen könne ihn das Parlament jederzeit befragen.

Aber auch die Tatsache, dass er im „Obersten Justizrat“ sitzt, hänge mit der Korruptionsbekämpfung zusammen. Er müsse dafür sorgen, dass kein korrupter Richter nominiert wird. Und die Tatsache, dass er einen Fernsehsender besitzt, habe bisher noch zu keinem Interessenskonflikt geführt. Außerdem sei anzufügen, dass er bereits vom Vorgänger und Gegner des jetzigen Präsidenten, also von Präsident Juschtschenko, als Vizechef des Sicherheitsdienstes nominiert wurde. Also alles in Ordnung, oder?

Mitgliedsperspektive

Unmittelbar nach Khoroshkovsky trafen wir den Innenminister, der bestätigte, dass es mit dem Sicherheitsdienst eine gute Zusammenarbeit gebe und keine Grauzonen der Kompetenzen, wie ich vermutete. Für die Visaliberalisierung seien im Übrigen die Vorbereitungen weit vorgeschritten. Mit Außenminister Kostayantyn Gryshchenko besprachen wir vor allem den zukünftigen EU-Ukraine Gipfel in Brüssel. Auf meine Frage hin unterstrich der Außenminister die Notwendigkeit, in einem zukünftigen Abkommen mit der EU auch die Mitgliedsperspektive zu erwähnen, wie langfristig diese auch immer sei. Vor allem für die internen Diskussionen zwischen Regierung und Opposition wäre es wichtig, dieses Ziel außer Streit zu stellen. Und das ist sicher eine schwierige Frage.

Ich persönlich unterstreiche diese Perspektive, allerdings muss sie bei uns und in der Ukraine als sehr langfristige verstanden werden. Und die Ukraine muss wissen, dass viele Reformen und Veränderungen auf dem langen Weg dorthin notwendig sind, wie immer das Ziel aussieht, ist es erst einmal erreicht.

Energiegespräche mit Russland

Vom Außenminister ging es direkt zu Ministerpräsident Mykola Azarov. Er wirkt eher wie ein Technokrat und spricht immer nur Russisch, die Sprache des Landes, in dem er geboren und ausgebildet worden ist. Ich hatte ihn ja schon vor einigen Wochen mehrmals in Brüssel gesehen. Ich fragte ihn nach dem neuesten Stand der Energiegespräche mit Russland. Er berichtete von den jüngsten Gesprächen mit Premierminister Putin, und meinte, er konnte ihn überzeugen, dass am 22. November ein Dreiergipfel zu Energiefragen mit der EU und Russland stattfinden sollte.

Das wäre sicherlich ein guter Anfangspunkt für eine intensivere energiepolitische Zusammenarbeit zwischen dem Gas-Produzenten Russland, dem Transitland Ukraine und den Konsumentenländern der EU. Eine engere und faire Zusammenarbeit zwischen den Dreien wäre für alle von Vorteil, vor allem könnte sie für die europäischen KonsumentInnen eine sichere Gasversorgung bedeuten.

Treffen mit Yulia Tymoschenko

Vom Amt des Ministerpräsidenten ging es zurück zur EU-Botschaft, wo wir mit mehreren VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen vor allem die Probleme bei den jüngsten Wahlen besprachen. Naturgemäß waren sie sehr kritisch und zweifellos werden wir ihre Anmerkungen und Kritikpunkte sehr ernst nehmen, decken sie sich im Wesentlichen mit den Beobachtungen der EU-BotschafterInnen. Dann allerdings trafen wir die schärfste Kritikerin der gegenwärtigen Mehrheit, nämlich die frühere Premierministerin Yulia Tymoschenko. Am Anfang unseres Abendessens war sie nicht zuletzt auf Grund ihrer Heiserkeit noch etwas zurückhaltend. In der Folge jedoch produzierte sie viele „Dokumente“, die einen systematischen Wahlbetrug beweisen sollten. Natürlich waren ihre einzelnen Argumentationen und „Beweise“ für uns nicht nachvollziehbar und man wird sehen, inwieweit sie zu Gericht gehen und die Wahlen in einzelnen Gemeinden anfechten wird.

Was letztendlich von diesem Abendessen blieb, ist der Eindruck einer starken Persönlichkeit, die sie sicher nach wie vor ist. Ob es aber reicht, dass sie wieder einmal Ministerpräsidentin oder gar Präsidentin des Landes wird, bleibt abzuwarten. Natürlich ging sie weder auf ihre eigenen Fehler noch auf ihre Verknüpfungen mit der Oligarchie des Landes ein. Auf meine Frage hin, ob sie die letzten Präsidentenwahlen im Rückblick doch als fair ansehe, meinte sie lächelnd, dass sie ja Partei sei. Aber sie deutete an, dass Wahlgesetzänderungen, die die Mehrheit vor dem zweiten Wahlgang beschloss und die ihr Widersacher aus der Orangen Revolution Präsident Juschtschenko unterzeichnete, sie den Wahlsieg gekostet haben. Wir konnten uns jedenfalls erinnern, dass sie den Wahlausgang zuerst vehement, dann jedoch nur mehr halbherzig anfocht und das gegen die Meinung aller ernst zu nehmenden Beobachter, die die Wahlen als korrekt und fair ansahen – im Gegensatz zu den jüngsten Lokalwahlen.

Gemischt-parlamentarische Sitzung

Am nächsten Morgen trafen wir dann noch einen Oppositionsführer der allerdings als Einziger für seine Partei im Parlament sitzt. Er war nicht sehr gut auf Yulia zu sprechen. Wahrscheinlich nimmt sie ihn nicht sehr ernst. Aber er hatte immerhin bei den jüngsten Wahlen sehr gut abgeschnitten und landesweit den dritten Platz belegt. Auf die Frage, warum er im Gegensatz zu Tymoschenko die Wahlen für im wesentlich korrekt bezeichnete, meinte er trocken: „Julia hat die Wahlen verloren, ich hab sie gewonnen.“ Dieser Ausspruch sagt viel über das politische Klima aus. Wer gewinnt, ist zufrieden, wer verliert, kritisiert die Mängel der Wahlen und der Demokratie schlechthin.

Danach ging es ins Parlament zur eigentlichen gemischt-parlamentarischen Sitzung. Dabei mussten wir an den lauthals demonstrierenden BürgerInnen vorbeigehen. Sie protestierten gegen das vorgeschlagene Steuergesetz, das ihrer Meinung nach die kleinen und mittleren Unternehmungen besonders belastet.

Beziehungen EU-Ukraine

Im Parlament diskutierten wir mit dem stellvertretenden Ministerpräsident Tigipko die Beziehungen EU und Ukraine, wobei ich ihn aufforderte, die Bedingungen für Investitionen aus der EU, die sie dringend brauchen, zu verbessern. Steuerklarheit und weniger Bürokratie sowie generell Transparenz sind gefragt. Nach ihm kam Parlamentspräsident Volodymyr Lytvyn aus der Koalition, aber nicht aus der Partei der Regionen, der vor allem die Opposition der Obstruktion beschuldigte und die Blockade der Sitzungen durch Besetzung des Präsidiums und des Rednerpults beklagte.

Eine junge Abgeordnete der Opposition sprach sich ebenfalls gegen diese Methoden der Obstruktion aus. Dann nahm die Sitzung ihren üblichen Verlauf. Ich allerdings hatte schon seit Längerem eine Verpflichtung in Berlin angenommen und verließ mit einem polnischen Kollegen, der nach Warschau flog, vorzeitig das Parlament.

Tiefe Widersprüche

Geblieben ist mir ein sehr widersprüchlicher Eindruck oder vielmehr der Eindruck von tiefen Widersprüchen zwischen Regierung und Opposition. Aber keiner der führenden PolitikerInnen, die wir trafen, hat das alte politische Regime überwunden. Wäre die Ukraine nicht so ein wichtiges und großes Land und noch dazu zwischen der EU und Russland gelegen, würden wir uns nicht so intensiv mit diesem Land beschäftigen.

Aber dieser unser Nachbar ist zu wichtig, um ihn zu vernachlässigen und die EU tut gut daran, dass wir uns trotz aller Widrigkeiten und Schwierigkeiten sehr um dieses Land bemühen. Das gilt im Besonderen auch für die sozialdemokratische Fraktion. Im Übrigen bin ich froh, dass Österreich einen sehr klugen und versierten Botschafter in der Ukraine hat.

Kiew, 4.11.2010