Unter Dach und Fach

Die Eisenbahn-Reform ist auf die Schienen gebracht – es ist ein guter Kompromiss entstanden, der ein klares Signal in Richtung einer begrenzten, aber doch spürbaren Öffnung im Bereich des Güterverkehrs gesetzt hat. 
Es ist 23.00 Uhr Abends und wir haben es endlich geschafft: Das Eisenbahnpaket ist unter Dach und Fach. Es bedarf zwar noch der formellen Zustimmung im Plenum des Europäischen Parlaments, aber der Rat hat dem Verhandlungsergebnis einstimmig und unsere Delegation mit großer Mehrheit zugestimmt.

Verhandlungsmarathon

Um 16.30 Uhr begann der Dialog zwischen dem französischen Verkehrsminister, der derzeit Ratsvorsitzender ist, und der Parlamentsdelegation unter Vorsitz des Vizepräsidenten und mit den beiden Berichterstattern Jazembovski und mir. Natürlich war auch die Kommission dabei, zu diesem Zeitpunkt aber nicht die Kommissarin de Palacio selbst, da sie an den Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der Inthronisierung des spanischen Königs teilnahm. Am Tag zuvor war ein schon bekannter und beliebter früherer Minister in Katalonien von ? ermordet worden. Und so gab es an diesem Tag in Spanien nicht nur Freude, sondern auch Trauer. Auch wir Abgeordneten haben im außenpolitischen Ausschuss des Europaparlaments des ungeheuren Anschlages nicht nur auf eine Person, sondern auf die Toleranz und Demokratie allgemein gedacht.
Doch zurück zum Eisenbahnpaket. Der Dialog hat nicht aufregend begonnen. Nach einiger Zeit wurde uns nach einer Sitzungsunterbrechung ein Angebot gemacht, das eigentlich ohne Substanz war. Wir beharrten darauf, dass es, nachdem alle Detailregelungen vereinbart werden konnten, ein fixes Datum geben müsse, bis der gesamte grenzüberschreitende Güterverkehr liberalisiert werden sollte. Der französische Verkehrsminister meinte, das könne er nicht tun und gab uns daher keine Rückendeckung. Im Rat hatten wir natürlich schon anderes „läuten“ gehört und blieben daher bei unserer Forderung.

Zieldatum für Liberalisierung

In der Sitzungsunterbrechung, in der wir uns auch mit den übrigen Mitgliedern der parlamentarischen Fraktion trafen, habe ich klar und deutlich meine Meinung geäussert: Gibt es ein einigermaßen realistisches, vernünftiges Datum für die Liberalisierung des Güterverkehrs, dann bin ich dafür, dass wir zustimmen. Gibt es dieses Datum nicht, dann sollten wir heute keine Einigung erzielen, sondern müssen weiter verhandeln.
Als wir uns schließlich wieder mit dem Minister im kleinen Kreis trafen, gab es das erste Mal eine Formulierung mit einem Zieldatum: Sieben Jahre nach in Kraft treten, also etwa im Jahr 2009, soll der gesamte grenzüberschreitende Güterverkehr für alle europäische Eisenbahnunternehmungen verfügbar sein, die Kapazität müsste ab dann ausgeschrieben werden – nicht diskriminierend und transparent. Diese Formulierung war noch etwas vage. Man hätte daraus lesen können, dass es nur bei positiver Begutachtung der Kommission zu diesem Schritt käme. Ich habe daher vorgeschlagen, die Einfügung von „in jedem Fall sieben Jahre nach in Kraft treten des Eisenbahnpaketes“ vorzunehmen. Das heißt spätestens zu diesem Zeitpunkt, eventuell schon früher, wenn sich Rat und Kommission dahingehend einigen können.

Positives Signal

Der Minister nahm meinen Vorschlag an, die Kommission hat ihn unterstützt – und damit war der Weg frei für eine Vereinbarung. Sicher hat es noch weiterer Diskussionen bei uns in der parlamentarischen Delegation bedurft, der Minister musste sich mit allen Ländervertretern zusammensetzen. Aber etwa um 22.00 Uhr kam die Abordnung der 15 Mitgliedsländer mit einem positiven Signal. Wir konnten also in der Sitzung eine offiziell Vereinbarung treffen und damit war der schwierige Verhandlungsprozess zwischen Rat und Parlament abgeschlossen.
Ich bin sehr glücklich darüber, und zwar nicht deshalb, weil es für mich einfach angenehm war, die Sorge um dieses Paket, an dem ich mitwirken konnte, loszuwerden. Ich glaube vielmehr, dass nach einer anfänglichen totalen Weigerung des Rates, auf die wesentlichen Punkte des Parlaments einzugehen, ein guter Kompromiss entstanden ist, der ein klares Signal in Richtung einer begrenzten, aber doch spürbaren Öffnung im Bereich des Güterverkehrs gesetzt hat und hier vor allem für den grenzüberschreitenden Güterverkehr.

Von der Strasse auf die Schiene

Ich könnte mir vorstellen, dass es schon in den nächsten Jahren schneller weitergeht als hier vereinbart – aber diese Vereinbarung ist jedenfalls ein Signal auch nach außen hin, auch an die Eisenbahnunternehmungen, dass sie sich ab jetzt nach den europäischen Grundsätzen zu orientieren haben, dass sie Zug um Zug nicht privatisieren sollen, sondern den anderen europäischen Eisenbahnen die Chance geben, sich um die Kapazitäten zu bewerben – mit dem Ziel und hoffentlich auch dem Effekt, dass die Preise tendenziell sinken und mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert wird.

Abbau der Wettbewerbsverzerrungen

Allerdings – ich hätte nichts dagegen, und das habe ich auch klar formuliert und die Formulierung in wesentlichen Teilen in den Kompromiss hinübergerettet, wenn es eine Angleichung der Umweltkosten gibt. Nur sollte diese gleichzeitig auf der Schiene und der Straße stattfinden, und dann kann es eben auch zu einer Erhöhung der Tarife kommen. Das könnte auch zu einem Gewinnanteil führen, der es möglich macht, die Infrastruktur zunehmend aus dem Markt heraus zu finanzieren. Aber all das ist nur in gleichen Schritten von Schiene und Straße denkbar, und nicht bei Wettbewerbsverzerrungen zwischen Schiene und Straße. Im Gegenteil: Es gilt, diese Wettbewerbsverzerrung, die zwischen den beiden Verkehrsträgern schon existiert, abzubauen.

Die Eisenbahn-Reform ist jedenfalls auf die Schienen gebracht. Und ich kann mich jetzt wieder vermehrt außenpolitischen Fragen zuwenden. Morgen geht es weiter nach Stockholm – zur nächsten Ratspräsidentschaft, wo eine Sitzung einer kleinen Gruppe des außenpolitischen Ausschusses tagt. 
Brüssel, 22.11.2000