Ursache und Wirkung

Es sind immer die selben Ursachen, die anlässlich gewisser spektakulärer Anlässe zu entsprechenden Unruhen führen. Und plötzlich springen die Funken über und entfachen wie bei trockenem Stroh ein Feuer. 
Während der Hungerstreik in der Türkei auf die politische Situation in der Türkei aufmerksam macht, der Balkan noch immer nicht zur Ruhe gekommen ist und Mazedonien überlegt, das Kriegsrecht auszurufen, sind auch in Algerien wieder neue Unruhen ausgebrochen.
Und zwar ist wieder einmal die Kabylei getroffen. Bereits 1980 kam es zu starken Unruhen. Dann wieder im Jahr 1989, im Jahr 1997 – ich habe in meinem ersten Buch darüber geschrieben – und schliesslich jetzt wieder.

Geduldsfaden ist gerissen

Die Lehre der Geschichte: Die Algerier sind ein geduldiges Volk, aber Elend, Armut, Hoffnungslosigkeit und der konkrete Anlassfall – der Tod eines Jungen auf einer Polizeistation – haben den Geduldsfaden reißen lassen. Die Menschen sind auf die Straße gegangen, wurden von der Gendarmerie attackiert, und selbst die stärker organisierten politischen Organisationen, nicht zuletzt die Sozialistische Partei, konnten sie nicht mehr beruhigen.
Inzwischen hat die RCD zu einer großen Manifestation in der Kabylei aufgerufen, die interessanterweise nicht nur geduldet, sondern über die auch im offiziellen Fernsehen berichtet wurde. Bei der RCD handelt es sich um eine linksliberale Partei, die von einem Rechtsanwalt, der selber viele Jahre im Gefängnis gesessen ist, gegründet wurde. Vor kurzem trat diese Partei auch im Sinne einer nationalen Einheit in die Regierung ein, sie ist aber mittlerweile wieder aus der Regierung ausgeschieden.

Regierungsprojekt gescheitert

Die Idee, eine Partei, die in Konkurrenz zur FSF – also den Sozialisten – steht, in die Regierung zu nehmen, sollte das Verantwortungsbewusstsein der RCD zeigen. Man wollte ausserdem den Kampf der Regierung und vor allem Präsident Bouteflikas gegen die Terroristen islamistischer Herkunft unterstützen. Die Tatsache allerdings, dass diese Regierung schwieg, als Gendarmen den jungen Mann in der Polizeistation der Region in der Kabylei erschießen liess, hat dazu geführt, dass die Position RCD innerhalb der Regierung unhaltbar geworden ist.

Ethnische Brandgefahr

Es sind immer die selben Ursachen, die anlässlich gewisser spektakulärer Anlässe – einerseits die UCK-Attacken, anderseits der Tod eines jungen Menschen auf einer Polizeistation – zu entsprechenden Unruhen führen. Plötzlich springen die Funken über und entfachen wie bei trockenem Stroh ein Feuer.
Sogesehen sind wir in Europa und in unserem Umkreis permanent von Konflikten bedroht. Und zwar überall dort, wo die ethnische Frage in den unterschiedlichsten Formen zum Ausdruck kommt: bei den Kurden, den Albanern, den Basken und in der Kabylei.

Kein Patentrezept

Es gibt kein Patentrezept, und die Konflikte sind auch nicht völlig identisch. Es gibt ethnische Konflikte, die in der Mischung mit Arbeitslosigkeit und Armut eine gefährliche explosionsbereite Mischung ergeben. Und es gibt Konflikte wie im Baskenland, wo Armut und Arbeitslosigkeit jedenfalls keine grössere Rolle spielen als in manchen anderen Regionen Spaniens.
Das ethnische Element hat unbestritten ein gewisses Eigengewicht, und es bedarf einer starken Überzeugungskraft, um das ethnische Element und das ethnische Gewicht zurückzudrängen.  
Wien, 6.5.2001