USA Tagebuch 2/III: Der neue Afghanistankurs

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Washington

Die Ankündigung von Präsident Obama, die Truppen in Afghanistan wesentlich zu verstärken, hat hier in den USA zu sehr unterschiedlichen Reaktionen geführt. Manche bewundern den Mut, andere wieder kritisieren diese Entscheidung und sprechen von Obamas Vietnam. Auch bei etlichen Demokraten im Kongress gibt es kritische Fragen bis zur Ablehnung. Dann wieder meinen Kommentatoren, dass der Kongress immer noch allen Kriegen zuerst zugestimmt und sie in der Folge, als sie sich nicht so gut entwickelt haben, abgelehnt hat. Nur Präsidenten bekennen sich zu ihrer Verantwortung.

Truppenverstärkung und Stärkung der zivilen Gesellschaft

Zum neuen Afghanistankurs hatten wir eine interessante Diskussion mit einer der Expertinnen aus dem Holbroke Büro, das die Entscheidung von Präsident Obama vorbereitet hat. Und in der Tat: Zumindest vom Ansatz her handelt es sich um einen neuen Zugang. Trotz des vermehrten Einsatzes von Soldaten ist die Gesamtstrategie eine stärker zivile. Viel von dem, was schon lange gefordert wurde, soll jetzt verwirklicht werden: mehr lokale Verantwortung, Unterstützung der Landwirtschaft und konkrete Programme – weg vom Mohnanbau hin zu anderen landwirtschaftlichen Produkten –, mehr Berücksichtung der Zivilbevölkerung bei der Terrorismusbekämpfung etc. Auch für das benachbarte Pakistan soll die zivile Hilfe wesentlich ausgebaut werden. Man sollte also nicht nur die Forderung nach Truppenverstärkung sehen, sondern auch den neuen Schwerpunkt der Stärkung der zivilen Gesellschaft. Allerdings ist das in einem Land wie Afghanistan eine ungemein schwierige Aufgabe.
Nun könnte man einwenden, dass man all das Geld, das für das Militär ausgegeben wird, vor allem für die Aufstockung in zivile Programme fließen sollte. Und da ist auch was dran. Dem wird entgegengehalten, dass der Ausbau der Infrastruktur ohne Sicherheit im Land keinen Sinn macht. Und das ist auch einzusehen, denn Infrastruktur wie Schulen oder Krankenhäuser zu bauen, die dann wieder zerstört werden, macht wirklich keinen Sinn. Dennoch bin ich nicht überzeugt, dass die neue Strategie aufgeht. Vor allem kommt das stärker zivile und sanftere Konzept wahrscheinlich um Jahre zu spät.

Bereitschaft zu militärischen Interventionen aufgeben

Allerdings ist es leichter, die Obama Entscheidung zu kritisieren, als eine Alternative anzubieten. Denn wir alle, die die Dinge realistisch sehen, wollen keine Wiederkehr der Talibans. Vor allem wollen wir kein Regime, das der Al Quaida einen neuen Unterschlupf gewährt. Aber wahrscheinlich kann da eine neue Afghanistanpolitik alleine nicht helfen. Jedenfalls aus der Sache heraus und aus Sympathie für Obama bleibt zu hoffen, dass der Abzug der Truppen wirklich 2011 beginnen kann. Und dass das Land eine gewisse Stabilität erfährt. Aber das hängt nicht zuletzt von der Entwicklung in Pakistan ab.
In Wirklichkeit müsste Amerika bereit sein, die Bereitschaft zu militärischen Interventionen und den Glauben an deren Wirksamkeit aufzugeben. Das ist für eine Weltmacht, zumal eine militärische, allerdings nur schwer zu machen. Es erfordert jedenfalls mehr an Umorientierung als Obama bereit ist zu unternehmen. Vor allem ist die Frage, inwieweit die Bevölkerung und natürlich auch die Medien bereit sind, mitzugehen.

Sanktionen sind keine Lösung

In Bälde kann sich ein neuer Testfall ergeben. Nämlich dann, wenn überlegt wird, was mit einem Iran zu tun ist, der sich weigert, mit der internationalen Gemeinschaft in der Frage der atomaren Energie zusammenzuarbeiten. Auch das haben wir mit Vertretern des Außenministeriums diskutiert. Allerdings ist Amerika in dieser Frage genauso ratlos wie wir in Europa. Zu hoffen bleibt, dass uns eine andere militärische Intervention in einem islamischen Land erspart bleibt. Vor allem würde von einem Friedensnobelpreisträger Obama wenig übrig bleiben.
Und Sanktionen? Kann sich die internationale Gemeinschaft auf wirksame Sanktionen einigen, fragte ein republikanischer Abgeordneter und meinte primär die Europäer. Aber das ist eher eine Frage die Russland, China, Indien, die Türkei etc. betrifft. Darüber stellt sich die grundsätzliche Frage, was überhaupt „wirksame“ Sanktionen sind. Mir fallen wenige Länder ein, wo Sanktionen Länder in die Knie gezwungen haben. Oft haben sie das Gegenteil gebracht: sie haben die Bevölkerung zusammengeschweißt. Auch für den Iran ist das zu erwarten.

Washington, 4.12.2009