Verkehrspolitische Neuorientierung

Durch die EU-Erweiterung rückt Österreich in die Mitte des neuen Europas und es ergeben sich zunehmende Verkehrsströme, die unser Land queren. Diesem zusätzlichen Verkehrsbedarf müssen vor allem gut ausgebaute Bahnstrecken angeboten werden.
Diese Woche wurde das zweite Eisenbahnpaket im Vermittlungsverfahren zwischen Rat und Parlament abgeschlossen. Wir kamen Dienstag Abend ziemlich rasch zu einem Ergebnis, nachdem klar war, dass die Liberalisierung im grenzüberschreitenden Personenverkehr jetzt nicht geregelt werden sollte. Sowohl die Mehrheit im Parlament als auch im Rat war gegen eine Überfrachtung dieses Reformpakets mit unüberlegten und übereilten Liberalisierungsschritten.
Jetzt geht es einmal um einen gemeinsamen europäischen Güterverkehrsmarkt sowie um die technischen und sicherheitsmäßigen Harmonisierungen, um auch den Eisenbahnen einen Schub nach vorne zu geben. Damit sollte ein Teil der Benachteiligungen der Bahn abgebaut werden. Dem freizirkulierenden LKW in ganz Europa muss ein flexibleres, kostengünstiges Bahnsystem gegenübergestellt werden.
Was die Umweltauswirkungen betrifft ist die Bahn noch immer benachteiligt, aber bei den politischen Strömungen in Europa, die derzeit dominieren, können wir nicht auf volle Gerechtigkeit und Fairness für die Eisenbahn warten. Die jetzige Regelung, die auch den Arbeitnehmern eine angemessene Mitsprache bei der Entwicklung der technischen und Sicherheitsnorm gibt, stellt jedenfalls einen Fortschritt dar.

Wegekostenrichtlinie

In den vergangenen Tagen haben wir im Verkehrsauschuss wichtige Weichen gestellt. So ging es um die Wegekostenrichtlinie, also jenes Gesetz abgestimmt, das die zulässige Mauthöhe auf Österreichs Straßen regelt. Die Vorschläge des Berichterstatters Cocilovo, mit dem wir Österreicher in den vergangenen Tagen viel gesprochen haben, haben eine klare Mehrheit gefunden. Allerdings sind sie – noch – nicht geeignet, die Maut als verkehrspolitisches Instrument einzusetzen. Zwar bin ich froh, dass die extrem marktwirtschaftlichen Ideen der rechten nicht durchgekommen sind, aber das alles hilft uns noch nichts.
Grundsätzlich richtet sich die Maut gemäß dem Beschluss im Verkehrsausschuss nach den noch nicht abgeschriebenen Errichtungskosten. Das würde für Österreich, aber insbesondere für den Brenner eine drastische Senkung der Maut pro Kilometer und damit der Mauteinnahmen bedeuten. Nur bei 25%-Zuschlag zur Querfinanzierung darf eine fiktive Maut auf der Basis der gesamten Errichtungskosten den Berechnungen zugrunde gelegt werden.

Variationen

In den Verhandlungen zwischen Parlament und Rat, um noch vor Ende April in erster Lesung eine endgültige Beschlussfassung zu erreichen, muss Österreich eine Lösung erreichen, um eine solche Konsequenz zu verhindern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei genauer Einhaltung der bestehenden Rechtslage wahrscheinlich ohnedies die Brennermaut abzusenken sein würde.
Variante 1: Die ASFINAG-Lösung wird dem Konzessionsmodell gleichgestellt, welches diesen strengen Bestimmungen ausgenommen ist.
Variante 2: Bereits eingehobene Mauten können aufgrund der bestehenden Rechtslage weiter berechnet werden.
Variante 3: Nach dem Modell der Schweiz darf Österreich im Brennergebiet eine höhere Maut einheben, wenn die Mittel vollständig für den Bau des Brenner-Basistunnels verwendet werden. Dies vor allem angesichts des „Konkurrenzverhältnisses“ zu den Schweizer Strecken, die in den nächsten Jahren teurer und zunehmend Verkehr an die billiger werdende Brennerroute abtreten werden.
Variante 4: Die Europäische Kommission wird beauftragt, mit Österreich auf der Brennerstrecke einen Modellversuch zur Berücksichtigung der externen Kosten (vor allem Luftverschmutzung) durchzuführen.

Neue Bedürfnisse

Jede dieser Varianten, vor allem aber die Kombination von Varianten, könnte Österreich helfen, in erster Linie eine weitere Verschlechterung der Situation am Brenner zu verhindern. Jetzt gilt es seitens des Ministeriums, genaue Berechnungen vorzulegen, um für die nächsten Auseinandersetzungen gut gerüstet zu sein.
Durch die Erweiterung der Europäischen Union rückt Österreich in die Mitte des neuen Europas. Durch die Ausdehnung des Binnenmarktes nach „Osteuropa“ ergeben sich damit zunehmende Verkehrsströme, die unser Land queren. Diesem zusätzlichen Verkehrsbedarf müssen vor allem gut ausgebaute Bahnstrecken angeboten werden. Diese würden überdies den Wirtschaftsstandort Österreich aufwerten und dabei gleichzeitig das hohe Umweltbedürfnis der ÖsterreicherInnen berücksichtigen.
Eine übergeordnete Nord-Südquerung im Westen des Landes (Brennerstrecke) ist dabei zu wenig. Sowohl von Prag kommend über Budweis – Linz und in den Süden (Kärnten/ Steiermark) als auch der Ausbau der Nord-Süd/Verbindung über Wien, also die Semmeringstrecke und die Strecke Graz – Maribor wären solche wichtige Verbindungen im Interesse Österreichs, unserer Nachbarn und ganz Europas.

Vorstoß der österreichischen MEPs

Die österreichischen EU-Abgeordneten haben diesbezügliche Anträge zuerst im Regional- und Verkehrsausschuss und dann im Plenum des Europäischen Parlaments durchgesetzt. Leider wurden sie in den nachfolgenden Verhandlungen zwischen Rat und Parlament – laut Mitteilung der EU-Kommission – durch die österreichische Bundesregierung nur mangelhaft bzw. überhaupt nicht unterstützt. Dies berichtete der Berichterstatter .Bradbourn und die Kommission im diesjährigen Verkehrsausschuss.
Besonders bedauerlich ist auch die ablehnende Haltung von Slowenien und Ungarn hinsichtlich der Strecke Graz – Maribor. Wozu soll eine regionale Partnerschaft gut sein, wenn bei wichtigen österreichischen Projekten unsere Nachbarn nicht nur ihre eigene Politik verfehlen (Strecke Laibach – Budapest), sondern sich sogar gegen eine wichtige Nord-Süd-Verbindung wehren.
So bleibt nur die Strecke Prag – Linz übrig, um in die TEN-Prioritätenliste aufgenommen zu werden. Das ist zwar ein besseres Ergebnis, als die Regierung in den Verhandlungen mit dem Rat zustande gebracht hat, aber weniger, als bei klarer und eindeutiger Positionierung Österreichs über die letzten Jahre hinweg möglich gewesen wäre.
Wien, 28.3.2004