Verkehrspolitisches Armutzeugnis

Im Zuge der Erweiterung ist zu verhindern, dass ein zusätzlicher massiver Ansturm von LKWs auf den Straßen unsere Umwelt zusätzlich belastet. 
Heute habe ich auf Einladung der Vertretung des Europäischen Parlaments in Österreich an einer Diskussion zum Verkehrsbereich im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung teilgenommen. Meine Gedanken haben sich dabei im Spannungsverhältnis zwischen der Europäischen Verkehrspolitik auf der einen Seite und der Vorbereitung Österreichs auf die Erweiterung auf verkehrspolitischem Gebiet auf der anderen Seite bewegt.

Sonderfall Österreich

Österreich als Transitland mit einer besonders umweltsensiblen Bevölkerung hat aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten, die verkehrs- und umweltpolitischen Interessen im Zuge der Erweiterung wahrzunehmen. Einerseits kann Österreich verlangen, dass es zu Sonderregelungen kommt, wie es auch beim Alpantransit der Fall war. Und andererseits kann Österreich im Rahmen der europäischen Verkehrspolitik die Stärkung des umweltfreundlichen, öffentlichen Eisenbahn- und Schiffsverkehr unterstützen und hier eine noch klarere Akzentuierung verlangen.
Was nun die erste Alternative betrifft, so muss man feststellen: Durch Ausdehnung des Ökopunktesystems Sonderregelungen oder Kontingente einzufordern, wird immer schwieriger. Vor allem dann, wenn sie über einen gewissen längeren Zeitraum hinaus gehen. Daher sollte man sich auf eine klare verkehrspolitische Zielsetzung und die Durchsetzung dieser Zielsetzung konzentrieren – und das kann durchaus mit vorübergehenden Ausnahmeregelungen verbunden sein.

Auflage für Erweiterungsländer

In diesem Sinne habe ich zur Stellungnahme, die Kollege Rack für den Erweiterungsbericht des Europäischen Parlaments des vorigen Jahres gemacht hat, einen Antrag gestellt, der folgendermaßen lautet: „Ziel der Gesamteuropäischen Verkehrspolitik vor und nach dem Beitritt der Kandidatenländer muss es sein, insbesondere den Güterverkehr so weit wie möglich auf die Schiene zu transferieren; dabei sind aber spezielle Transitregelungen vor allem in Übergangsphasen nicht auszuschliessen.“
Dies wurde von Kollege Rack akzeptiert sowie vom Ausschuss und schliesslich auch vom Plenum des Parlaments beschlossen. Ich meine, diese Forderung muss, auf einen Punkt gebracht, das Hauptziel der österreichischen Regierung bzw. der österreichischen Vertreter insgesamt sein, um im Zuge des Beitritts die angestrebten verkehrspolitischen Zielsetzungen durchzusetzen. Heute sind wir mitbestimmendes Mitglied der EU, während wir vor dem Beitritt noch Bittsteller waren und Forderungen zwar stellen, aber nicht in jenem Ausmass durchsetzen konnten, wie wir das jetzt können. Jetzt, da wir Mitglied der Europäischen Union sind, ist unsere Zustimmung zum Erweiterungsprozeß insgesamt, aber vor allem auch zur Erweiterung mit einzelnen Ländern notwendig und daher sind auch unsere Einflussmöglichkeiten grösser.

Verlagerung auf die Schiene

Die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene ist also ganz unbestritten der Hauptpunkt. Daneben geht es natürlich auch um verschiedene andere Bereiche, etwa um die Verlagerung von der Straße auf die Wasserstraße oder den kombinierten Verkehr, um die einzelnen Verkehre besser abzustimmen. Das hauptsächliche und durchschlagende Ziel ist und bleibt aber die Verlagerung von der Straße auf die Schiene.
In den vergangen Jahren ist eine Reihe von Richtlinien, aber auch gesetzlichen Maßnahmen auf europäischer Ebene entschieden worden, die diese Richtung zumindest in Ansätzen unterstreichen und verfolgen. Erwähnen möchte ich zum Beispiel das sogenannte Eisenbahneninfrastrukturkonzept, das Kollege Jarzembowski und ich selbst durchgebracht haben und das in wenigen Tagen im Europäischen Parlament entgültig beschlossen werden soll. Im Vorfeld gab es ja ein zunächst sehr kontroverses, aber schliesslich mit Erfolg abgeschlossenes Vermittlungsverfahren zwischen dem Rat und dem Europäischen Parlament.

Stufenweise Liberalisierung

Ziel unseres Pakets war und ist es, eine maßgeschneiderte, das heißt stufenweise Liberalisierung, insbesondere auf dem Gebiet des Güterverkehrs, zu formulieren. Nationale Monopolstellungen, die zu unflexibler Handhabung des Güterverkehrs und zu hohen Tarifen geführt haben, sollen in Zukunft aufgegeben werden müssen, weil es bezüglich des Güterverkehrs auf der Schiene Wettbewerb gibt. Jedes europäische Eisenbahnunternehmen hat die Möglichkeit, die Infrastruktur zu benützen – gegen entsprechendes Benützungsentgeld natürlich – und damit ist auch ein Wettbewerb zwischen nationalen, aber eben auch ausländischen Eisenbahnunternehmungen möglich. Wir erwarten uns duch diese Aktion eine höhere Bereitschaft der Eisenbahnunternehmungen, flexible und kundenorientierte Lösungen sowie niedrigere Tarife im Güterverkehr anzubieten.

Start frei für Interoperabilität

Ausserdem haben wir uns in besonderem Ausmaß mit der sogenannten Interoperabilität beschäftigt. Dabei geht es um die Notwendigkeit, Eisenbahnunternehmungen miteinander, vor allem auch technisch, stärker zu verknüpfen und sich auf ein gemeinsames System – zum Beispiel bei den Sicherungssystemen, bei der Abwicklung des grenzüberschreitenden Verkehrs etc. – zu einigen. In diesem Punkt ist noch viel zu tun. Die technische Interoperabilität ist aufgrund einzelner Strecken und der Zugskategorien zwar in Angriff genommen – ob es sich um den Eurostar von Frankreich und Belgien und London oder um den Thalis von Frankreich nach Belgien, Holland bzw. Deutschland handelt. Aber die vollständige und gut funktionierende Interoperabilität ist in Europa immer noch eher eine Seltenheit als eine Selbstverständlichkeit. Das muss sich eindeutig ändern!

Arbeitsrecht und -zeitlösungen

Ein weiteres Beispiel ist die arbeitsrechtliche und -zeitliche Situation. Einerseits ist zwischen Schiene und Straße in dieser Frage keine Gleichheit gegeben. Die Arbeitsregelungen im Bereich der Straße sind lockerer, kaum kontrolliert, und wir wissen, dass das natürlich auch dazu beiträgt, dass es öfters zu Unfällen kommt. Jedenfalls ist vom Personal und von der arbeitsrechtlichen Seite die Bahn benachteiligt.
Hinzu kommt, dass durch ein Unterlaufen mit billigsten Arbeitskräften aus Osteuropa, insbesondere aus Bulgarien, einige Unternehmer auf der Straße selbst ihren Kolleginnen und Kollegen eine unfäre Konkurrenz machen. Ein Symbol dafür ist der deutsch Transportunternehmer Willi Betz. Nach ihm ist gewissermaßen auch eine Regelung genannt, die vorsieht, dass diese Art der extremen unfairen Konkurrenz durch unselbständige und zum Teil durch scheinselbständige billige Arbeitskräfte aus dem Ausland unterbunden werden sollen.
Sicherlich ist es immer problematisch, Konkurrenz zu behindern, aber es ist genau so problematisch, eine absolut unfaire Konkurrenz zuzulassen und damit zuzusehen, wie die Wettbewerbsbedingungen extrem und krass verzerrt werden.

Wegekostenregelungen

Ein weiterer Bereich, der in diesem Zusammenhang erwähnt werden muss, ist die Art und Weise, wie die Kosten, die im Transport entstehen, sich auch in den Tarifen niederschlagen. Die Wegekosten, also die tatsächlichen Kosten, beeiflussen zum Teil bei der Bahn sehr wohl auf direktem Weg die Tarife. Bei der Straße ist das weitgehend nicht der Fall, insbesondere bei den sogenannten externen Kosten, das heißt die Belastung der Umwelt, der Lärm etc. Faktoren, die bei der Straße weitaus viel schwerer wiegen als bei der Bahn, werden in der Straßenbenützung bzw. bei eventuellen Straßenbenützungsgebühren keineswegs berücksichtigt. Vor allem gibt es in der Europäischen Union keine Straßenbenützungsgebühr, die sich an der tatsächlichen Belastung und Abnützung der Straße von LKWs orientiert.
Interessanterweise ist eine solche Regelung in der Schweiz vereinbart worden. Die Schweiz lässt das zu und verwendet noch dazu das Geld auch zum Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Das Groteske daran ist, dass für die Europäische Union das, was in der Schweiz zulässig ist und akzeptiert wird, nicht zulässig ist. Eine solche leistungsbezogene Schwerverkehrsabgabe wäre aber absolut notwendig, um auch in dieser Frage der Kostenwahrheit Rechnung zu tragen, und auch das würde dem öffentlichen Verkehr und dem Verkehr auf der Schiene zu gute kommen.

Beihilfenregelung

Drittens wird derzeit die sogenannte Beihilfenregelung diskutiert, das heißt die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen die öffentliche Hand auch anderen Transportunternehmungen oder Transportinfrastrukturen Beihilfen geben darf. Auch hier sollte klar sein, dass diese Beihilfen zu keiner weiteren Verzerrung führen dürfen, sondern zu einer Entzerrung beitrage müssen. Es soll also durchaus auch möglich sein, unter gewissen Bedingungen gerade dem öffentlichen Verkehr Beihilfen zu geben, weil eben der öffentliche Verkehr durch die Nichtanrechnung der externen Kosten benachteiligt ist. Natürlich ist es nicht unser Ziel, auf Dauer Beihilfen zu geben, sondern Ziel ist die Deckung der Kosten inklusive der Umweltkosten.
Man sieht also, dass es eine Reihe von Maßnahmen und Zielsetzungen gibt, die der Europäischen Union schon zueigen sind, die es aber noch entsprechend zu stärken und zu unterstützen gilt. Was immer es auch an sonstigen Maßnahmen gibt, etwa die massive Stärkung und Förderung des kombinierten Verkehrs mit dem Schwerpunkt der Schiene, man wird in den nächsten Jahren nicht umhinkommen zu verhindern, dass ein zusätzlicher massiver Ansturm der LKWs auf den Straßen – jenen Österreichs, aber auch anderer EU-Länder – unsere Umwelt zusätzlich belastet.

Glaubwürdigkeitsproblem für Österreich

Mit welcher Glaubwürdigkeit kann Österreich eine solche Politik auch tatsächlich vertreten? In dieser Frage habe ich meine großen Zweifel. Erstens hat Österreich zwar de facto auf Grund einer ausgebauten Bahn und von entsprechenden Maßnahmen in den vergangenen Jahrzehnten einen relativ hohen Anteil des Güterverkehrs auf die Bahn gebracht.
Wenn man betrachtet, in wie weit Österreich zur aktuellen Stunde diese Politik der Verlagerung als wirkliche Zielsetzung verfolgt und die Kostenwahrheit tatsächlich umsetzen möchte und wie der Ausbau der Infrastruktur der Bahnhöfe derzeit erfolgt, dann wird man bitter enttäuscht. Vor kurzem hat das zuständige Verkehrsministerin in Österreich gemeint, es sollten mit dem Geld nur die notwendigsten Arbeiten gemacht werden, etwa die Verbesserung der sanitären Anlagen. Diese Aussage zeigt die ganze Armseligkeit der gegenwärtigen Verkehrspolitik. Wer glaubt, mit dem Verbessern der sanitären Anlagen – wie notwendig sie auch sein mögen – könne man sich verkehrspolitisch auch auf die Erweiterung vorbereiten, der ist an Naivität nicht mehr zu schlagen.

Zerschlagung der ÖBB

Hinzu kommt, dass man sich mit dem Hinweis auf angebliche Regelungen bzw. zwingende Vorschriften in der Europäischen Union an die Zerschlagung der österreichischen Eisenbahnen, also der ÖBB, macht. Sicherlich sind viele Reformen notwendig. Ein getrennter Rechnungskreis im Infrastrukturbereich zur Abgrenzung des Unternehmensbereiches ist absolut notwendig. Aber zu glauben, mit Instrumenten, die in der Bundesrepublik Deutschland gescheitert sind – mit einer fast vollständigen organisatorischen und rechtlichen Zergliederung der Bahn – könne man Reformpolitik betreiben, erliegt aus meiner Sicht einem großen Irrtum. Bestehende Synergieeffekte fallen weg, die Bahnen, anstatt sich auf ihre Aufgaben von Morgen zu konzentrieren, beschäftigen sich mit sich selbst und verwenden ihre kostbare Zeit nicht dazu, den Kunden besseren Service zu bieten, sondern sich selbst zu organisieren und zu reorganisieren.

Trauriges Bild

Aus meiner Sicht zeigt die österreichische Verkehrspolitik ein sehr trauriges Bild. Sie hat eingentlich schon in den vergangenen Jahren wenig unternommen, um wirklich zu investieren. In diesem Zusammenhang ist das Beispiel Bratislava recht plakativ. Die Investition in die Bahn hat – und das mag auch Schuld unserer Partner in Bratislava sein – dazu geführt, dass man nun vom Zentrum in Bratislava länger nach Wien braucht als das vor der Investition der Fall war. Manche Investitionen in die Straße, in Rad- und Fußwegüberbrückungen von Grenzflüssen sind einfach unterblieben, sind zum Teil am Widerstand der lokalen Bevölkerung gescheitert, zum Teil dauert es wahnsinnig lang, bis man auf Landes- und Bundesebene bereit ist, den Wünschen der Bevölkerung Folge zu leisten.

Mehr Geld, mehr Mut, mehr Weitsicht

Auch das ist ein Merkmal für unsere Verkehrspolitik: Wir machen Investitionen im negativen Sinn von der Zustimmung der Bevölkerung abhängig. Wenn die Bevölkerung dagegen ist, machen wir nichts, wenn die Bevölkerung aber dafür ist, machen wir vielfach auch nichts oder das wenige, das wir tun, nur sehr zögerlich und sehr langsam.
Dieses Globalbild ist festzuhalten, unbeschadet mancher Detailmaßnahmen, die sicherlich da und dort getroffen worden sind. Insgesamt fehlt allerdings einer kohärenten, auch nach außen hin glaubwürdigen Verkehrspolitik das Geld, der Mut und die politische Weitsicht.  
Wien, 22.1.2001