Vor der Weichenstellung

Wir als europäische SozialdemokratInnen wollen für unsere WählerInnen einige deutliche Verbesserungen, vor allem auf sozialem Gebiet, und zu diesem Zweck benötigen wir auch einige KommissarInnen aus der Sozialdemokratie mit entsprechenden Kompetenzen.
Noch immer haben wir auf europäischer Ebene keine Weichenstellung für die Arbeit der nächsten Jahre getroffen. Alle warten gespannt auf die Entscheidung der Iren beim Referendum Anfang Oktober.

Eine schwierige Sache

Auf der anderen Seite steht noch immer die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament aus. Für uns SozialdemokratInnen ist das eine schwierige Sache. Wir wissen, dass vor allem durch die Mehrheit im Rat, also bei den Regierungschefs, nur ein Konservativer, und noch dazu ein schwacher, eine Chance hat. Darum hat man sich auch wieder auf Barroso verständigt.
Und durch die Mehrheitsverhältnisse bei den Regierungen wird auch die zukünftige EU-Kommission schwarz dominiert sein. Und zwar um einiges stärker als es den Mehrheitsverhältnissen im EU-Parlament entspricht. Aber Barroso – oder wer immer Kommissionspräsident sein wird – braucht eine breite Mehrheit der Mitte, möchte er ein einigermaßen ausgewogenes Programm durchziehen. Wenn er noch dazu eine eben solche Mehrheit für seine Wahl im EU-Parlament anstrebt, dann braucht er ebenfalls viele sozialdemokratische Stimmen.

Eine sozialere Politik

Wir als europäische SozialdemokratInnen wiederum wollen für unsere WählerInnen einige deutliche Verbesserungen, vor allem auf sozialem Gebiet, und zu diesem Zweck benötigen wir auch einige KommissarInnen aus der Sozialdemokratie mit entsprechenden Kompetenzen. Barroso als Kommissionspräsidenten abzulehnen bereitet uns als solches keine Schwierigkeiten. Aber wir wollen ja für unsere BürgerInnen eine bessere und vor allem eine sozialere Politik der EU einfordern. Und darum geht es vor allem bei den Gesprächen mit Barroso und letztendlich bei der Entscheidung über die EU-Kommission. Denn mit der Rechten hat er auf alle Fälle eine Mehrheit. Aber dementsprechend würden auch die politischen Maßnahmen der EU-Kommission aussehen.

Maximal eine Enthaltung

Das Gespräch, das ich mit Martin Schulz bei Barroso hatte, diente genau dem Zweck, ihn zu einer stärker sozial ausgerichteten Politik zu bewegen. Diese Notwendigkeit war ihm nach unserem Gespräch sicher klarer als vorher. Denn er hatte sich immer noch eine Zustimmung der SozialdemokratInnen zu seiner Wahl erhofft. Wir machten deutlich, dass maximal eine Enthaltung bei dieser Wahl erwartet werden kann, und das auch nur bei Erfüllung einiger grundsätzlicher Forderungen. Denn erst wenn er zu einem späteren Zeitpunkt die KommissarInnen mit ihren Kompetenzen vorstellt, können wir beurteilen, ob eine bessere Politik zu erwarten ist als in den vergangenen fünf Jahren.

Bei Italiens Staatspräsident Napolitano

Die gesamten Fragen einer zukünftigen Kommissionsarbeit und des Verhältnisses zum Rat wollten Martin Schulz und ich am Wochenende in Rom mit einem der erfahrensten und engagiertesten europäischen Politiker, dem italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano besprechen. Martins Flug wurde jedoch gecancelt, und so ging ich allein zum italienischen Staatspräsidenten, der vor wenigen Jahren noch unserer Kollege im EU-Parlament gewesen ist. Auch er ist betroffen von der schlechten Stimmung gegenüber der EU, die von vielen PolitikerInnen und Medien noch geschürt wird. Und auch er sieht wenige PolitikerInnen, denen Europa ein echtes Anliegen ist. Über die wenigen Anderen und deren Chancen, eine größere Rolle zu spielen, habe ich mich mit ihm in Rom unterhalten.

Groteske Debatte

Damit ergibt sich ein grundlegendes Dilemma für uns im EU-Parlament. Der Unwille vieler Regierungen, Europa eine Chance zu geben, drückt sich nicht nur in der Entscheidung für Barroso aus, sondern auch in vielen politischen Inhalten: von der mangelhaften finanziellen Ausstattung im Rahmen des EU-Budgets bis zur gering akkordierten Wirtschafts- und Steuerpolitik. Und die groteske Debatte um den österreichischen EU-Kommissar zeigt erst recht den Vorrang der parteipolitischen Überlegungen vor der Frage, was Europa braucht und im Übrigen auch wen Österreich in der EU Kommission braucht.

Keine Grundlage für eine Zustimmung

Da helfen auch einige wohlklingende Formulierungen nicht, die Barroso in einem Brief an die EU-Abgeordneten geschickt hat, um sie zu überzeugen, ihn – und zwar schon jetzt im September – zu wählen. Natürlich freuen mich die darin enthaltene stärkere Betonung des Sozialen und der Hinweis auf mehr Spielraum für die Länder in der Gentechnikpolitik. Barroso fordert außerdem eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung und ein wirksames europäisches Finanzaufsichtssystem. Aber konkrete Maßnahmen und Gesetzesvorschläge, insbesondere auf sozialpolitischem Gebiet, gibt es nicht. Ich halte jedenfalls das vorliegende Papier – noch – für keine Grundlage für eine Zustimmung zu Barroso als Kommissionspräsident.

Wien, 6.9.2009