Vorfrühling in Paris

Auch wenn es in Paris eigentlich um die „Kandidatur der Türkei zur EU und die Kurdische Frage“ ging, blieb trotzdem Zeit genug, über die Entwicklung in Südosteuropa nachzudenken. 
Es tut gut, wieder einmal in Paris zu sein – in dieser lebendigen, pulsierenden, immer gleich spannenden und doch sich immer verändernden Stadt. Besonders gerne halte ich mich in St. Germain de Prés auf, jenem Stadtviertel, in dem viele „Pariser“, Künstler, Philosophen, Literaten etc. gelebt bzw. gearbeitet und diskutiert haben. Ich denke an Sartre, Simone de Beauvoir, Camus und viele andere. Der Boden und die Hausfassaden strahlen geradezu den Geist dieses Lebens der Zwischen- und Nachkriegszeit aus, dieses Ringen um die Wahrheit, um die intellektuelle und künstlerische Redlichkeit.

Von der österreichischen Realität eingeholt

Es ist warm in Paris, ein verfrühter Frühlingstag, und ich warte, angelehnt an einer windgeschützten Hausmauer nahe der Rue de Seine, im Freien auf mein Essen.
Nach Paris geführt hat mich eine Einladung des hiesigen Kurdischen Instituts. Ich soll gemeinsam mit mehreren anderen „Experten“ auf einem Kolloquium über die „Kandidatur der Türkei zur EU und die Kurdische Frage“ das Wort ergreifen.
Auch den Ort der Veranstaltung finde ich attraktiv: das „amphitéatre Richelieu“ der Universität Sorbonne. Von der Rue de Seine bis zur Sorbonne sind es nur 15 Minuten, und so habe ich noch Zeit, mich ein bißchen vorzubereiten und auch über die vergangenen Wochen nachzudenken.
Natürlich fallen mir diesbezüglich die Dutzenden Diskussionen ein, die ich zum Thema „Österreich“ zu führen hatte. Aber darüber will ich eigentlich jetzt hier im sonnigen Paris nicht schreiben. Ohnehin hat mich – kaum bin ich der Metro-Station St. Germain de Pres entstiegen – ein Plakat mit dem Namen Haider (siehe Photo) in die österreichische Realität zurückgeholt. Es ist offensichtlich von einer Pro-Haider-Gruppe „im Namen der europäischen Völker“ affichiert worden.

Strategien für Südosteuropa

Gottseidank hatte ich in den letzten Tagen auch ein bißchen Ablenkung durch die Beschäftigung mit Südosteuropa. Auf Einladung der griechischen Sozialdemokraten referierte ich im Rahmen einer Tagung in Saloniki. Der heftige Regen während der zweitägigen Konferenz erlaubte mir keine Spaziergänge am Meer entlang, so daß ich mich an diesem Wochenende vielen interessanten Gesprächen mit Politikern und Experten widmen konnte: mit dem Expräsidenten von Rumänien, den ich schon vor einiger Zeit in Bukarest traf, einem mir gut bekannten Berater der serbischen Opposition, einem Berater der ehemaligen kroatischen Opposition, die jetzt die Regierung stellt, etc. Viel Anlaß zur Hoffnung gibt der Balkan nicht, wenngleich Kroatien mit einem tollen Wahlergebnis aufwarten kann. Nach der erfolgreichen Parlamentswahl wurde als Draufgabe noch ein guter Mann zum Präsidenten des Landes gewählt. Einige meinten „spaßhaft“, nach der Rückkehr der Slowakei und Kroatiens in die Familie der Demokratien ist nun Österreich mit seiner neuen Regierung der „Outcast“ Mitteleuropas.
Jetzt muß Europa Kroatien helfen, seine schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu lösen und die Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen (die der Serben nach Kroatien, und die der Kroaten nach Bosnien-Herzegowina, insbesondere in die dortige serbische Teilrepublik). Wenn nur ein Teil der Flüchtlinge in fremden Häusern sitzen bleibt, kann das Rückkehrkarussell nicht gelingen.

Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen für Mazedonien

Ich selbst habe mich in den letzten Wochen vor allem mit dem Feinschliff meines Berichtes zu Mazedonien beschäftigt. Da Mazedonien sich in den vergangenen Jahren sehr gut entwickelt und sich vor allem während der Kosovokrise vorbildhaft verhalten hat, konnte ich der EU guten Gewissens empfehlen, ein „Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen“ mit diesem Land abzuschließen.
Dies sollte aus meiner Sicht das klare Ziel vor Augen haben, den Beitritt des Landes zur EU vorzubereiten. Allerdings lehnte ich alle Anregungen ab, Mazedonien aufzufordern, schon jetzt einen Aufnahmeantrag zu stellen. Mit mir war nämlich die überwiegende Mehrheit der Meinung, daß dies nur Illusionen wecken würde. Der „Weg nach Brüssel“ muß möglich und erstrebenswert sein, aber er ist sicher sehr, sehr weit.
Auch wenn dieser Bericht von vornherein nicht sehr kontroversiell war, so hat mich doch das Lob einiger Kolleginnen und Kollegen und vor allem die breite Zustimmung im Ausschuß und dann im Plenum gefreut.

Stabiltätspakt für den Wiederaufbau am Balkan

Erst dieser Tage war der Beauftragte für den Stabilitätspakt in Südosteuropa, Bodo Hombach, bei uns im außenpolitischen Ausschuß und bei einem Arbeitsessen mit den „Balkanexperten“ des Ausschusses.
Die Art der Bestellung dieses ehemaligen Beraters des deutschen Bundeskanzlers Schröder, und einige innerdeutsche Querelen, haben seine Arbeit und das Image des Stabilitätspaktes nicht gerade erleichtert bzw. verbessert. Auch ich habe die bisherige Arbeit mit Skepsis verfolgt. Allerdings war mein direkter Eindruck von Bodo Hombach weitaus besser als das über die Medien vermittelte Bild. Ich hoffe, daß vor allem die im Frühjahr stattfindende Geberkonferenz auch jene Mittel auftreiben wird, die der Balkan für seinen Wiederaufbau, vor allem aber für eine Neukonstruktion der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse braucht.
Dabei geht es um einige größere Vorzeigeprojekte bezüglich der Infrastruktur und um viele kleine Projekte, die Vertrauen in die Demokratie und in ein Zusammenleben mit den verschiedenen ethnischen Gruppen schafft. Man muß sich ja nicht gleich lieben, aber man sollte sich nicht umgekehrt die Köpfe einschlagen, wie dies gerade jetzt wieder in Mitrovica im Kosovo geschieht.
Dabei erinnere ich mich immer wieder an den Besuch im nach wie vor umstrittenen Krankenhaus und den deprimierenden Eindruck, den die Verhältnisse in dem Spital von Mitrovica auf mich gemacht haben.(siehe dazu auch meinen Bericht in den „Briefen aus Europa 14“)

Europas Sorgenkind, die Türkei

Aber weder Österreich noch der Balkan stehen auf der Tagesordnung der Veranstalter des heutigen Treffens in Paris, sondern die Türkei.
Leider hat die Türkei noch nicht wirklich positiv auf die Ernennung zum Beitrittskandidaten reagiert. Zuletzt gab es sogar eindeutig negative Maßnahmen: der Vorsitzende der Kurdenpartei HADEP und sein Vorgänger wurden wegen Kontakten zur PKK verurteilt und drei gewählte Bürgermeister, die vor nicht allzu langer Zeit sogar vom Staatspräsidenten empfangen worden waren, wurden ob solcher Kontakte zur PKK vor wenigen Tagen verhaftet. Anstatt nach der Verhaftung und Verurteilung des PKK-Führers Öcalan aus einer Position der Stärke den Weg des Friedens und der Versöhnung zu suchen, agiert die offizielle Türkei nach wie vor nach dem Freund-Feind-Schema.
Der Weg, der für die Türkei geebnet wurde, wurde von ihr also bisher noch nicht beschritten. Das enttäuscht mich persönlich stark, stimmt mich aber auch für die vielen „Europäer“ in der Türkei traurig. Aber weder wollen noch können wir die Türkei in die EU zwingen. Sie muß sich diese Mitgliedschaft selbst erringen – wenn sie es will!
 
Paris, 26.2.2000